Die Blutzuckereinstellung kann bei Diabetes eine Neuropathie nach sich ziehen. Welche Symptome auftreten können und wie diese zu behandeln sind, erläutern zwei Medizinerinnen am Fall einer 20-Jährigen.

Polydypsie, Polyurie und Gewichtsverlust führten eine 20-jährige Patientin in die McGill-Universitätsklinik in Montréal, wo ein Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde, der HbA1c-Wert lag bei 17%.

Nach drei Monaten war die Patientin mit einem HbA1c von 6,7% gut eingestellt.

Starker Schwindel und Übelkeit

Die Patientin klagte nun aber über starken Schwindel, dem eine orthostatische Hypotonie zugrunde lag. Mit Blick auf die beiden wichtigsten Differenzialdiagnosen, der Nebenniereninsuffizienz und der therapiebedingten Neuropathie, wurden die frühmorgendlichen Cortisolspiegel, der TSH-Wert sowie antineuronale Antikörper bestimmt und die Patientin in die neurologische Abteilung überwiesen. Währenddessen starteten die Endokrinologen eine Behandlung mit dem Alpha-Sympathikomimetikum Midodrin und dem Mineralokortikoid Fluocortison.

Die Laborwerte lagen zu diesem Zeitpunkt alle im Normbereich, allerdings war die Herzfrequenzvariabilität in Ruhe reduziert sowie die Herzfrequenzreaktion auf eine vertiefte Atmung bzw. das Valsalva-Manöver verstärkt, was für eine Dysfunktion des autonomen Nervensystems spricht. Damit war die Diagnose der therapiebedingten Neuropathie gesichert. Kurze Zeit später klagte die Patientin zudem über Schmerzen in den Armen. Gegen die Schmerzen und die Jahre zuvor diagnostizierte Angststörung rezeptierten die Ärzte Venlafaxin. Eine diagnostizierte proliferative Retinopathie bedurfte keiner Therapie.

Doch damit nicht genug: Sechs Monate nach Diabetesdiagnose kamen Übelkeit und Erbrechen hinzu. Die bildgebende Diagnostik blieb zunächst unauffällig. Da die Beschwerden aber auf Metoclopramid nicht ansprachen, entschloss man sich zu einer Magenentleerungsszintigrafie, in der sich eine Gastroparese bestätigte. Die empfohlene Gastroparese-Diät war von der Patientin nicht einzuhalten, die Behandlungsversuche mit u.a. Ondansetron, Domperidon, Erythromycin und Haloperidol blieben erfolglos. Lediglich die Botulinumtoxininjektion in den Pylorus zeigte einen Effekt. Vier Monate später manifestierte sich zudem eine Mikroalbuminurie bei normaler glomerulärer Filtrationsrate.

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10% der Diabetiker klagen nach einer zu schnellen Anpassung des HbA1c über neuropathische Beschwerden.

Wie ging es weiter?

Im Laufe der nächsten eineinhalb Jahre verbesserte sich das Beschwerdebild. Die orthostatische Hypotonie bedurfte keiner Medikation mehr, die Anzeichen der Retinopathie verschwanden und die Mikroalbuminurie kehrte zur Normalbuminurie zurück. Die neuropathischen Schmerzen sprachen gut auf die Venlafaxin-Therapie an, Übelkeit und Erbrechen blieben bestehen. Die Medikation mit Domperidon und Ondansetron setzte die Patientin daher fort und ergänzte bei Bedarf Haloperidol.

Symptomorientierte Behandlung

Eine übermäßig rasche Korrektur des HbA1c-Wertes berge bei Diabetikern stets die Gefahr einer Neuropathie, so die Medizinerinnen. Beide gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Den Daten eines Reviews aus dem Jahr 2015 zufolge hatten nicht weniger als 10% der Diabetiker nach einer raschen Änderung der Blutzuckereinstellung vermehrt über neuropathische Schmerzen sowie Symptome einer autonomen Neuropathie berichtet. Als rasche Blutzuckersenkung definiert war eine Veränderung des HbA1c-Wertes um mehr als 2% während drei Monaten.

Entsprechend sollte eine zu rasche Blutzuckersenkung vermieden werden, vor allem bei Patienten mit Risikofaktoren, wie Typ-1-Diabetes, weiblichem Geschlecht oder einer Essstörung.

https://doi.org/10.1503/cmaj.202091