Wenn Symptome und Befunde nicht wirklich passen, kann eine seltene Erkrankungen dahinterstecken. Gerade bei chronisch Kranken lohnt es sich, die Diagnose zu hinterfragen.

Eine Osteoporose ist manchmal keine, Gelenkschmerzen haben mit Rheuma nichts zu tun und Granulome nichts mit Tuberkulose. Keine Frage: Die Aufmerksamkeit für seltene Erkrankungen ist gewachsen. Ungewöhnliche Befundkonstellationen, Krankheitssymptome im "falschen" Alter oder unzureichendes Therapieansprechen veranlassen zum näheren Hinschauen. Die scheinbar gesicherte Diagnose wird noch einmal hinterfragt. Gründe dafür sind das Engagement von Organisationen wie der ACHSE e.V. (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen), erleichterte Zulassungsbedingungen für Orphan Drugs sowie Forschungs- und Therapieerfolge wie bei Mukoviszidose, Morbus Gaucher oder Amyloidose. Bundesweit gibt es viele Zentren für die schätzungsweise vier Millionen Betroffenen mit seltenen Krankheiten.

Am Beispiel der Hypophosphatasie verdeutlicht

Dass es sich gerade bei chronisch Kranken lohnt, noch einmal genauer hinzuschauen, zeigt das Beispiel der Hypophosphatasie. Die erbliche Stoffwechselstörung - nicht zu verwechseln mit Hypophosphatämie - finde sich bei mindestens 0,56% der rheumatologischen Patienten, berichten Dr. Pantelis Karakostas vom Universitätsklinikum Bonn und seine Kollegen [1].

Bei Hypophosphatasie (HPP) ist die Aktivität der alkalischen Phosphatase (ALP) dauerhaft erniedrigt. Die schwere Form wird autosomal-rezessiv vererbt, es gibt aber auch autosomal-dominant vererbte Mutationen im TNSALP (tissue-nonspecific alkaline phosphatase protein)-Gen. Die Patienten haben häufig Knochenbrüche und Frakturen heilen schlecht. Verwechslungsgefahr besteht vor allem mit Rachitis, Osteomalazie und Osteoporose. Ein Grund: Dauerhaft niedrige Serum-ALP-Spiegel würden, im Unterschied zu erhöhten ALP-Spiegeln, häufig übersehen, so Karakostas und Koautoren.

Die Forscher haben systematisch fast 2.300 Krankenakten aus der Bonner Rheumatologie nach erniedrigten ALP-Werten durchsucht und waren bei 30 Patienten (1,31%) mit persistierend niedrigem ALP fündig geworden. 13 wiesen Mutationen im ALP-Gen auf.

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Unklare Symptome, nicht passende Befunde: Bei der Diagnostik seltener Erkrankungen ist detektivischer Spürsinn gefragt.

Schlussfolgerung: Die HPP scheint besonders in der Rheumatologie unterdiagnostiziert zu sein. Die Bonner Internisten empfehlen die standardmäßige Bestimmung der ALP bei Rheumapatienten. Bei persistierend niedrigen Werten sollten zunächst sekundäre Ursachen ausgeschlossen und danach eine genetische Untersuchung veranlasst werden. HPP-Patienten können mit einer Enzymersatztherapie behandelt werden, antiresorptive Therapien sind kontraindiziert.

Was ebenfalls passieren kann, wenn sich Wissenschaftler intensiv mit seltenen Erkrankungen beschäftigen und sich diagnostische Möglichkeiten verbessern, ist, dass der Status einer "Orphan disease" verloren geht. Das zeigt das Beispiel der bis heute mysteriösen Sarkoidose (Morbus Boeck). Ihre Ursache ist ebenso ungeklärt wie ihre genaue Häufigkeit. Ein Grund dafür ist der sehr unterschiedliche Verlauf der granulomatösen Erkrankung, von akut, selbstlimitierend und nur wenige Wochen andauernd bis chronisch fibrosierend bei sehr unterschiedlichem Organbefall. Neuere epidemiologische Untersuchungen ergeben eine Prävalenz von etwa 160 pro 100.000 Einwohner [2]. Damit liegt die Häufigkeit über dem Schwellwert von 5/10.000, der in der Europäischen Union unterschritten werden muss, um als seltene Krankheit zu gelten.

1. doi: 10.1007/s00393-021-00994-5

2. doi: 10.1055/a-0847-9588