Eine allzu aggressive Blutdrucksenkung können sich Ärzte in der Schlaganfall-Sekundärprophylaxe offenbar sparen: Der Nutzen ist eher bescheiden, dafür steigt die Gefahr, dass die diastolischen Werte zu stark fallen.

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Nach einem überstandenen Schlaganfall ist eine gute Blutdruckkontrolle zur Sekundärprophylaxe essenziell. Doch wie stark sollten Ärzte den Druck senken? Einige Subgruppenanalysen großer Studien deuten auf den besten Schutz vor erneuten Schlaganfällen bei Blutdruckwerten <120/80 mmHg hin. Randomisiert-kontrollierte "Treat-to-target-Studien" konnten einen Nutzen einer Therapie mit derart ambitionierten Zielwerten aber nicht klar bestätigen, jedenfalls nicht im Vergleich zu einer moderaten Drucksenkung. Zudem droht bei allzu tiefen diastolischen Werten ein Anstieg der kardialen Ereignisrate - Ärzte sollten also nicht nur auf den systolischen Wert schauen.

Studie mit rund 1.300 Patienten

Auch Neurologen um Dr. Kitagawa, Tokio, konnten in der Studie RESPECT mit rund 1.300 Hypertonikern nach einem Schlaganfall keinen signifikanten Nutzen einer intensiven Blutdrucksenkung nachweisen [1]. Die Hälfte erhielt eine Standardbehandlung, wobei Blutdruckwerte <140/90 mmHg erreicht werden sollten, bei Patienten mit Diabetes, Niereninsuffizienz oder KHK <130/80 mmHg. Die Übrigen bekamen eine intensivierte Therapie mit einem Zielwert <120/80 mmHg.

Im Schnitt erreichten Patienten mit intensivierter Therapie einen Wert von 127/74 mmHg, mit der Standardbehandlung 133/77 mmHg - die Differenz war also recht gering und übersetzte sich nicht in eine signifikant reduzierte Schlaganfallrate. Immerhin ging die intensive Behandlung mit deutlich weniger hämorrhagischen Insulten einher als die Standardtherapie (ein versus elf Ereignisse).

Die Neurologen warfen nun ihre Daten mit denen von drei weiteren Interventionsstudien zur intensiven Blutdrucksenkung in einen Topf. Über alle vier Studien und 2.450 Patienten gemittelt ergab sich ein knapp signifikanter Vorteil für die intensive Therapie: Damit sind 22% weniger erneute Schlaganfälle zu erwarten als unter der Standardbehandlung. Allerdings müssen 67 Patienten eine intensive statt einer konventionellen Behandlung erhalten, um einen erneuten Schlaganfall zu verhindern. Die Neurologen aus Tokio halten eine intensive Therapie (Zielwert <130/80 mmHg) dennoch für angebracht.

Zu niedrige diastolische Werte

Prof. Diener, Duisburg-Essen, sieht dies in einem Kommentar ähnlich: "Viele ältere Menschen können eine Senkung des Blutdrucks unter 120/80 mmHg nicht tolerieren." Der Nutzen einer intensiven Drucksenkung, so Diener, zeige sich eher bei der Verhinderung von zerebralen Blutungen als von ischämischen Insulten [2].

Unter einer intensiven Drucksenkung besteht zudem die Gefahr stark niedriger diastolischer Werte, die wiederum mit einem steigenden Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse einhergehen. In der wegweisenden Studie SPRINT, die zur Revision der US-Leitlinien führte, sank bei Hypertonikern mit intensiver Therapie und einem Zielwert <120/80 mmHg der diastolische Druck auf im Mittel nur noch 62 mmHg. Die Patienten profitierten zwar von einer reduzierten kardiovaskulären Ereignisrate, die Frage ist aber, ob dies auch für Hochrisikogruppen wie Schlaganfallpatienten gilt, so Neurologen um Dr. Chen, Peking [3]. Sie kommen anhand der BOSS-Studie zu dem Schluss, dass man es mit der Drucksenkung nicht übertreiben sollte.

Zu ehrgeizige Blutdruck-Zielwerte können gefährlich werden

In der Studie wurde der Blutdruck von über 2.300 Patienten nach Schlaganfall oder TIA gemessen. Knapp 340 Patienten erzielten diastolische Werte <70 mmHg, etwa 120 sogar <60 mmHg. Das waren vor allem diejenigen mit den niedrigsten systolischen Werten. Schauten sich die Ärzte die Zahl der Schlaganfallrezidive nach einem Jahr an, so zeigten sich keine Nachteile bei niedrigen diastolischen Werten, wohl aber bei einem zusammengesetzten Endpunkt aus Tod und kardialen Ereignissen: Dieser trat rund fünffach häufiger bei diastolischen Werten unter 60 mmHg auf als im Bereich von 70-80 mmHg.

Vor allem ältere Patienten schienen die niedrigen diastolischen Werte nicht gut zu vertragen. Allzu ehrgeizige Zielwerte könnten den diastolischen Druck in gefährliche Bereiche treiben. Thomas Müller

1. JAMA Neurol. 2019;76(11):1309-1318. doi:10.1001/jamaneurol.2019.2167

2. InFo Neurologie + Psychiatrie 2020; 22 (3): 20

3. Front Neurol 2020; 11: 356, doi: 10.3389/fneur.2020.00356