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„Diabetes-Distress beeinhaltet eine erhöhte Diabetesbelastung, erhöhte Depressivität und die klinisch manifeste Depression. In diesem psychologischen Dreieck bewegen sich viele Diabetiker, wobei sich die einzelnen Komponenten gegenseitig bedingen und auch überlappen, sodass die Abgrenzung oft schwer ist“, sagte Prof. Bernhard Kulzer von der Diabetes-Klinik Bad Mergentheim. Diabetiker haben im Vergleich zu Stoffwechselgesunden ein deutlich reduziertes Wohlbefinden, wobei zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetikern kein wesentlicher Unterschied besteht. 29% aller Typ-1-Diabetiker haben ein schlechtes Wohlbefinden und 9% eine Depression, beim Typ-2-Diabetes sind es 35% bzw. 14%. Dazu kommt ein hoher Anteil von Typ-1-Diabetikern (44%) und Typ-2-Diabetikern (25%) mit hohen diabetesbezogenen Belastungen, Diabetes-Distress. „Fast jeder zweite Typ-1-Diabetiker und jeder vierte Typ-2-Diabetiker gibt an, aufgrund des Diabetes hoch belastet zu sein“, so Kulzer. In einer Längsschnitterhebung bildete sich der Diabetes-Distress bei einem Drittel der Betroffenen wieder zurück, doch bei zwei Dritteln persistierte die krankheitsbezogene Belastung. Von den Patienten, die primär keinen Distress angaben, entwickelten im Verlauf nur 7,5% einen solchen. Und bei hohem Distress steigt das Risiko für eine erhöhte Depressivität um das 2,6-Fache und diese hält auch deutlich länger an. „Erhöhte Belastungen im Zusammenhang mit der Diabeteserkrankung oder deren Behandlung sind ein Risikofaktor für das Auftreten und das Fortbestehen einer erhöhten Depressivität“, so Kulzer. Umgekehrt steigert die Depressivität das Risiko für erhöhten Distress um das 2,2-Fache. Eine erhöhte Depressivität könnte die Ursache dafür sein, dass der Diabetes oder seine Therapie als belastender empfunden wird. Diabetiker ohne Distress entwickeln in 70% keine Depression, Distress ohne Depression findet sich nur bei 17,8%.

Auswirkungen auf das Outcome

Sowohl der diabetesbezogene Distress als auch die depressive Symptomatik beeinflussen das klinische Outcome ungünstig. Der Distress macht sich vorrangig bei der glykämischen Kontrolle wie dem HbA1c-Wert und der Adhärenz negativ bemerkbar, bei depressiven Patienten gibt es vor allem Probleme beim Selbstbehandlungsverhalten wie Ernährung, Bewegung und Blutzuckerkontrollen. „Nur für den Diabetes-Distress, aber nicht für die Depression zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang mit den HbA1c-Werten“, so Kulzer. Auch eine Verbesserung beim HbA1c-Wert nach Schulung sei mit dem Diabetes-Distress, nicht aber mit der Depression assoziiert.

Regelmäßiges Monitoring

In der Leitlinie wird mit dem Empfehlungsgrad A empfohlen, Diabetiker regelmäßig, mindestens einmal pro Jahr und in kritischen Krankheitsphasen wie bei der Manifestation von Folgeerkrankungen auf das Vorliegen einer subklinischen oder klinischen Depression zu screenen. Auch sollten die diabetesbezogenen Belastungen mittels Fragebogen regelmäßig erfasst werden. Dabei sollte auf diabetesspezifische und -unspezifische Risikofaktoren für eine Depression geachtet werden. Zu ersteren gehören weibliches Geschlecht, alleine lebend, jüngeres Lebensalter und niedriger sozioökonomischer Status. Diabetesspezifische Risiken sind hoher HbA1c-Wert, Folgekomplikationen, Hypoglykämien, Insulintherapie bei Typ-2-Diabetikern, Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Therapie und Distress.

Selbstmanagement und Diabeteskompetenz verbessern

„Die effektivste Präventionsmaßnahme gegen Distress und Depression ist die Schulung“, so Kulzer. Denn dadurch werden die wahrgenommenen Stressoren abgebaut und die Ressourcen gestärkt. Die Schulung verbessert das Selbstmanagement durch eine Erhöhung der Diabeteskompetenz und die Verbesserung von Problemlösefertigkeiten. Dazu kann auch eine Vereinfachung der Therapie gehören. Andererseits werden durch die Schulung die Bewältigungsmöglichkeiten verbessert, der Patient erlernt die Akzeptanz von Gefühlen. Auch kann der Austausch mit anderen Patienten und dem Diabetesteam helfen, gedankliche Automatismen zu durchbrechen, die den Distress unterhalten. Auch eine kognitive Verhaltenstherapie reduziert das Auftreten von klinischen Depressionen. „Der Diabetiker muss einen positiven Umgang mit Fehlern und Problemen erlernen, das schützt vor Distress und Depressivität“, so Kulzer.