Vor einem Jahr hat Bremen als erstes und bisher einziges Bundesland eine qualifizierte Leichenschau für alle Verstorbenen eingeführt. Seitdem muss im Zwei-Städte-Staat jeder Leichnam nach der ersten ärztlichen Todesfeststellung zusätzlich durch einen speziell ausgebildeten Leichenschauarzt untersucht werden.

Nach dem ersten Jahr mit diesem zweistufigen Verfahren steht fest: Anders als erwartet, hat die genauere Untersuchung der Leichen kein übersehenes Tötungsdelikt aufgedeckt.

Bleibt jedes zweite Tötungsdelikt unentdeckt?

Bisher schätzen manche Rechtsmediziner, dass in Deutschland jedes zweite Tötungsdelikt unentdeckt bleibe, weil etwa Hausärzte wegen fehlender rechtsmedizinischer Erfahrung nicht jede unnatürliche Todesursache erkennen könnten.

Aus Pietät gegenüber den Hinterbliebenen würden sie oft darauf verzichten, die Verstorbenen zu entkleiden und hin- und herzuwenden. Selbst in Kliniken fallen Morde manchmal jahrelang nicht auf, wie der Fall des Delmenhorster „Todespflegers“ Niels H. zeigt. Er soll im Verlauf von fünf Jahren über hundert Patienten ums Leben gebracht haben, bis er als Mörder entlarvt wurde.

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Die zweite Leichenschau soll verhindern, dass Tötungsdelikte übersehen werden.

© Patrick Lux / dpa / lno

Die Todesursachenstatistik wird valider

Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Rechtsmediziner-Vorwürfe und der aktuellen Ermittlung gegen Niels H. führte Bremen zum 1. August 2017 die verpflichtende qualifizierte Leichenschau ein. Nach dem ersten Jahr findet der stellvertretende Sprecher der Bremer Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD), dass sich die Neuregelung bewährt habe. Keine vertuschten Tötungen zu entdecken, „ist ja auch ein Ergebnis“, sagte Malte Hinrichsen.

Die qualifizierte Leichenschau verbessere somit die Todesursachenforschung und -statistik. Außerdem würden diejenigen Ärzte entlastet, „die die bloße Todesfeststellung übernehmen“. Allerdings hat die neue Vorschrift nicht so viel verändert wie zunächst gedacht. Denn auch schon vor der Reform von 2017 wurden Verstorbene immer dann genauer untersucht, wenn sie eingeäschert werden sollten. Wie bekannt wurde, betraf dies 80% der jährlich rund 8000 Sterbefälle im kleinsten Bundesland.

Für die verpflichtende Leichenschau wurden extra drei neue Stellen geschaffen, wie Ressortsprecher Hinrichsen erläuterte.

In einem Interview mit „Radio Bremen“ schilderte der Leiter der Bremer Rechtsmedizin, Dr. Olaf Cordes, den Ablauf der qualifizierten Leichenschau: „Ich fange am Scheitel an und gehe dann bis zur Sohle runter. Man guckt sich am Kopf Verletzungen an, und dann schaue ich an der gesamten Körperoberfläche nach Hämatomen oder im schlimmsten Fall Stich- oder Schussverletzungen.“ Außerdem würden sämtliche Körperöffnungen inspiziert.

„Künftig noch besser von den Toten für die Lebenden lernen“

Den ersten Anstoß für die Bremer Neuregelung hatte die Justizministerkonferenz der Bundesländer gegeben: Eine von ihr eingesetzte Arbeitsgruppe forderte schon 2009 eine „grundsätzliche Entkoppelung der Todesfeststellung von der Leichenschau“, also ein zweistufiges Verfahren wie jetzt an der Weser.

Die Flächenländer scheuten bisher davor zurück, weil der Aufwand dafür zu groß ist. Aber das überschaubare Bremen erprobt das Verfahren jetzt für zunächst zwei Jahre in der Praxis.

Da die qualifizierte Leichenschau den Behörden auch einen genaueren Überblick über die Todesursachen verschafft, „können wir künftig noch besser von den Toten für die Lebenden lernen“, sagte eine grüne Bürgerschaftsabgeordnete 2017 bei der Verabschiedung des Gesetzes.

In Einzelfällen kommen die Rechtsmediziner direkt in das Haus, in dem der Patient verstorben ist, nämlich dann, wenn von vornherein der Verdacht auf eine Straftat besteht. Dies war auch schon vor der Neuregelung der Fall.