Die Frage, ob ihre Kinder im Internet Pornos gucken, würden die meisten Eltern wahrscheinlich entschieden verneinen. Zahlen zum Thema sprechen jedoch Bände. So belegt eine Studie aus dem Jahr 2009, dass hierzulande 93% der männlichen 17-Jährigen schon einmal pornografische Filme oder Bilder konsumiert haben. Das durchschnittliche Alter bei Erstkontakt liegt bei elf Jahren, berichtete Dietrich Riesen, Berater bei der Fachstelle „Return — Mediensucht“ in Hannover.

Aktuellere Zahlen zur Prävalenz gibt es laut Riesen kaum; das Thema sei tabuisiert und entsprechend „forschungsarm“. Man muss aber aufgrund der technischen Entwicklung von einer hohen Dynamik ausgehen. Mittlerweile besitzen 99% der Jugendlichen zwischen 13 und 19 ein internetfähiges Handy. Im Schnitt verbringen sie fünfeinhalb Stunden täglich vor einem Bildschirm — viel Zeit, viel Versuchung.

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Pornos können negative Folgen für Jugendliche haben.

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Porno-Fans sind männlich

Laut Riesen sind es überwiegend männliche Jugendliche, die online Pornos konsumieren. Dies habe mit typischen sexuellen Erregungsmustern zu tun. Knapp 42% der 16- bis 19-jährigen Jungen sehen sich einer großen Online-Befragung zufolge wöchentlich Pornos an, etwa jeder Fünfte geht dafür sogar täglich ins Netz. Bei den Mädchen liegt der Anteil mit wöchentlichem Konsum bei ca. 10%, täglich klicken sich nur 1,4% ein.

Die hohe Prävalenz bei den Jungen erklärt der Sexualpädagoge auch mit der leichten Verfügbarkeit: „Der Opa musste noch in den Sexshop. Aber heute wird Pornografie kostenlos und anonym im Kinderzimmer konsumiert.“ Auch Altersbeschränkungen spielten kaum mehr eine Rolle. Viele einschlägige Plattformen fordern Nutzer unter 18 Jahren zwar auf, die Seite zu verlassen. „Aber ich möchte einen 16-Jährigen sehen, der dann auf ‚Leave‘ klickt“, meinte Riesen.

Häufig fange alles mit Neugier an. Die Jugendlichen wollen austesten, was sich in den Untiefen des Internets verbirgt. Viele klicken die Pornos auch aus Langeweile oder zur Kompensation von Unzufriedenheit an — und häufig auch zum Stressabbau. Oft seien es auch die Peers, die einen zum Gucken drängten.

Und dann gebe es Jugendliche, so Riesen, die konsumieren, um „schmerzhafte Gefühle zu betäuben“. Er berichtete von einem 13-Jährigen, der in der Schule regelmäßig gemobbt wurde. Dieser war dazu übergegangen, Gewaltpornos anzusehen. Dabei habe er sich vorgestellt, dass „diejenigen, die mich immer gemobbt haben, geschlagen werden“.

Dass übermäßiger Pornokonsum langfristig schaden kann, legen Studien nahe. Riesen mahnte, dass die häufige extreme Ansprache des Belohnungssystems im Gehirn relativ rasch zu einer Gewöhnung führe. Daraus könne sich schließlich eine Sucht mit allen klassischen Elementen entwickeln — von der Toleranz über den Kontrollverlust bis zur Entzugssymptomatik. Die Zahl der Pornosüchtigen in Deutschland werde auf 600.000–800.000 geschätzt — Riesen glaubt aber, dass es mehr sind.

Aufs Körperliche reduziert

Für Jugendliche, die oft noch auf der Suche nach sexueller Orientierung sind, ist diese Entwicklung doppelt problematisch. Einerseits bekommen sie ein äußerst negatives Frauenbild präsentiert, andererseits lernen sie, Sex ausschließlich auf den Körper zu beziehen. Der Vergleich mit den unermüdlichen männlichen Darstellern führe zu Minderwertigkeitsgefühlen, was auch Erektionsprobleme nach sich ziehen könne.

Empfehlungen für die Therapie der Online-Sexsucht sind bislang rar. Riesen plädiert für eine Beratung, die sich möglichst individuell an den Bedürfnissen des Klienten orientiert. So könne man z. B. an den Schuldgefühlen und der Selbstabwertung arbeiten, am Schamgefühl, an den Themen Beziehung und Einsamkeit. Wichtig seien Ausstiegshilfen, etwa die Anleitung zu anderen Wegen, Sehnsüchte zu stillen.