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Klare Grenzen sind in Bedrohungssituationen wichtig.

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„Wer hat schon Patientenaggression erlebt?“, fragte Dr. Jens Hoffmann, Darmstadt. Im Saal der saarländischen Ärztekammer hebt ca. die Hälfte der etwa 100 Gäste die Hand. „Das sind schon sehr viele“, meint er und fragt weiter: „Wer hat schon Todesdrohungen erhalten und bewaffnete Patienten erlebt?“ Selbst da melden sich einige. „Die Gewaltbedrohung stellt ein wachsendes Problem dar“, so Kammerpräsident Dr. Josef Mischo auf der Fortbildung, die eine Konsequenz aus dem tödlichen Angriff auf eine niedergelassene Ärztin in Saarbrücken ist. Man habe reagiert: Gesundheitsministerium, KV und Kammern hätten hierfür eine Arbeitsgemeinschaft gegründet.

Gerade Ärzte haben es nach Hoffmann häufig mit Drohungen zu tun, weil die Patienten unter Stress stehen, oft psychisch krank und verzweifelt sind und sich selbst bedroht fühlen. Ursache für schwere Gewalt gegen Mediziner seien zu über 50% Wahnvorstellungen. Doch Ärzte können sich schützen: „Ziehen Sie klare Grenzen.“

Vorsicht bei heißer Aggression

Kommt ein Patient mit versteckten Drohungen, sollte es direkt angesprochen werden: „Wollen Sie mir drohen?“ Ärzte sollten sich Deeskalationstechniken aneignen. „Heiße Aggression steckt an“, erläuterte Hoffmann: „Man muss sich regulieren können.“ Zu den Tipps gehören auch Absprachen: Brüllt ein Patient den Arzt an, sollte immer ein Kollege schauen und fragen, ob alles ok ist. „Das muss man im Rollenspiel üben“, so Hoffmann. Nur Theorie vermitteln, sei zu wenig. So wurden auch Workshops zu Themen wie „Selbstbehauptung in Bedrohungssituationen“, „Agieren in Angriffssituationen“ und „Eigenschutz im Dienst“ angeboten.

Mehr Soziotherapeuten nötig

Soziotherapeutin und Frachkrankenschwester für Psychiatrie Maria Backes berichtete, Ärzte müssen mit schwierigen Patienten nicht allein dastehen. „Wir fahren direkt in das Lebensumfeld des Patienten und schauen uns die Situation an.“ Soziotherapeuten sicherten den Behandlungserfolg, z. B. durch Begleitung psychisch Kranker zum Facharzt und Hilfe bei bürokratischen Aufgaben. Sie können Patienten bis zu drei Jahre lang begleiten.

Fachärzte können dies per Rezept anfordern, Hausärzte per Vorverordnung. Das Problem: Im gesamten Saarland gibt es nach Backes Angaben nur fünf Soziotherapeuten. „Der Bedarf ist doppelt bis dreimal so hoch.“ Außerdem übernimmt ausgerechnet die größte Krankenkasse (AOK) nicht die Kosten (im Saarland 36 € pro Stunde).

Unterstützung erhalten Ärzte auch von der Polizei. „Wir bieten Praxisbegehungen an“, so Kriminaloberkommissar Rainer Both, Landespolizei Saarland. Man berate die Mediziner, wie sie sich gegen Einbrüche und Übergriffe schützen können.

Ein Thema sei auch das Verlassen des Gebäudes. Man könne den Weg zum Parkplatz gut ausleuchten oder absprechen, dass der Letzte die Praxis nie allein verlässt. Die Hauptrolle bei schweren Gewalttaten spiele die kalte Aggression. „Sie ist fokussiert, ruhig, strategisch geplant und die Emotionen sind ausgeschaltet“, erläuterte Both. „Hier funktioniert keine psychologische Deeskalation.“ Kalte Aggression baue sich oft in mehreren Stufen auf — von Fokussierung über Drohungen bis zu Probehandlungen und Vorbereitungen wie der Beschaffung von Waffen. „Zeigt sich ein hohes Risikopotenzial bei einem Patienten, ist ab einem bestimmten Punkt ein Netzwerk aus Polizei, Psychiater und Experten für Bedrohungsmanagement erforderlich.