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Kurativ therapieren oder nicht? Eine anspruchsvolle Aufgabe für den behandelnden Arzt.

© Science Photo Library / Agentur Focus

In der Alterskategorie der 65- bis 80-jährigen Patienten mit Prostatakarzinom ist die korrekte Indikationsstellung für eine kurative Therapie eine höchst anspruchsvolle ärztliche Aufgabe. Die meisten Leitlinien fordern eine vom Karzinom unabhängige Lebenserwartung von mindestens 10 Jahren. Die Abschätzung der verbleibenden Lebenszeit ist im individuellen Fall allerdings sehr schwierig, selbst unter Zuhilfenahme von Komorbiditätsklassifikationen wie z. B. dem Charlson-Score. Des Weiteren wird kontrovers diskutiert, ob die Biologie des Prostatakarzinoms mit zunehmendem Alter aggressiver oder milder verläuft.

Was bringt die radikale Prostatektomie?

Idealer wäre es, die Prostatakarzinomdiagnose bei Leuten, die für eine kurative Therapie im Vorhinein nicht in Frage kommen, gar nicht zu stellen. Wie das Prostata-spezifische Antigen (PSA) differenziert und sinnvoll in der Vorsorge angewendet werden könnte, zeigt eine prospektive Fallkontrollstudie aus Schweden mit 1167 Männern, die über 25 Jahre lang verfolgt wurden. Betrug das Serum-PSA im Alter von 60 Jahren 1 ng/ml oder weniger, entwickelten sich bei nur 0,5% dieser Männer im späteren Verlauf Metastasen.

Die skandinavische Prostatakarzinomgruppenstudie Nr. 4 (SPCG-4) stellt in einer prospektiv randomisierten Studie den Wert der radikalen Prostatektomie bei über 65-jährigen Männern in Frage. Sowohl das Gesamtüberleben als auch das karzinomspezifische Überleben war in den Gruppen „radikale Prostatektomie“ und „watchful waiting“ nahezu identisch. Da es sich um eine post-hoc-Subgruppenanalyse handelt, ist ein Selektionsbias allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen. Andererseits zeigt eine populationsbasierte Kohortenstudie aus dem Surveillance Epidemiology and End Results (SEER)-Register eine nicht unerhebliche karzinomspezifische Mortalität bei über 65-jährigen Männern mit einem lokalisierten Prostatakarzinom und einem Gleason Score 8-10. In dieser Gruppe von Patienten mit einem medianen Alter von 78 Jahren findet wahrscheinlich eine Unterbehandlung statt.

Hochbetagte: keine lokale Therapie

Bei Männern über 80 Jahren ist eine lokale Therapie die absolute Ausnahme. Dies zeigt auch der klinische Alltag, indem der Anteil der über 80-Jährigen in den grossen publizierten Serien zur radikalen Prostatektomie unter 1% ist. Bei der perkutanen Radiotherapie sind zwar das mediane Alter und der Altersrange etwas höher als bei der Operation, aber der Anteil dieser Männer ist immer noch im tiefen einstelligen Prozentbereich.

Generell sollte bei über 80-jährigen Männern primär schon keine Prostatavorsorge durchgeführt werden. Leider finden aber auch akzidentelle PSA-Bestimmungen statt, was bei asymptomatischen Patienten aber nicht zu einer Prostatabiopsie führen sollte. Die EORTC-Studie 30.891 (frühe vs. verzögerte Hormontherapie beim klinisch lokalisierten Prostatakarzinom) hat gezeigt, dass ein Benefit der Androgendeprivation nur besteht bei PSA-Werten über 50 ng/ml und/oder einer PSA-Verdoppelungszeit von unter 12 Monaten. Da die antiandrogene Therapie mit einem deutlich erhöhten Sturzrisiko einhergeht, setzt man so behandelte Männer sturzbedingt einem deutlich erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko aus. Konsequenterweise sollte man bei den über 80-jährigen Patienten mit klinisch lokalisiertem Prostatakarzinom und nicht stark erhöhten PSA-Werten nicht in einen therapeutischen Aktivismus verfallen und „ein bisschen etwas“ machen (z. B. Hormone, Kryotherapie, hochintensiver fokussierter Ultraschall). Der gut aufgeklärte Patient wird bei intaktem Patienten-/Arztverhältnis verstehen, dass ein reines Watchful Waiting in seiner Situation aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage am sinnvollsten ist.

Fazit für die Praxis

Die Indikation für eine lokale Therapie bei 65- bis 80-jährigen Patienten mit klinisch lokalisiertem Prostatakarzinom sollte gut überlegt und restriktiv gestellt werden. Bei asymptomatischen Patienten mit PSA unter 50 ng/ml ist auch die Androgendeprivation keine Alternative.