Auch die neuen KHK-Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie haben nun das Konzept der klinischen Vortestwahrscheinlichkeit (VTW) als zentralen Steuerungsmechanismus für die empfohlene Abfolge diagnostischer Maßnahmen übernommen.

Liegen Koronarläsionen vor?

Danach ist der erste Schritt bei Verdacht auf KHK die klinische Evaluierung der Wahrscheinlichkeit, mit der bei einem bestimmten Patienten relevante stenosierende Koronarläsionen vorliegen. Die Festlegung der VTW ist relativ einfach und richtet sich nach Alter, Geschlecht und Brustschmerz-Klassifikation.

Auf die Evaluierung der VTW folgt als zweiter Schritt die nicht-invasive Testung mit dem Ziel, die Diagnose stabile KHK zu sichern. Neu in den Leitlinien ist dabei die Abwertung des Belastungs-EKGs zugunsten einer direkten Wahl von bildgebenden Belastungstests. Bei niedriger VTW (< 15%) sehen die neuen Leitlinien allerdings keinen Bedarf an weiterer diagnostischer Abklärung. Das trifft etwa auf Frauen im Alter zwischen 30 und 49 Jahren mit atypischer Angina zu. Dass hier eine weiterführende Diagnostik als nicht sinnvoll erachtet wird, liegt an der eingeschränkten Spezifität der verfügbaren Ischämietests, aufgrund derer ein relativ hoher Anteil an falsch-positiven Befunden zu erwarten ist.

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Arzt bei der Echokardiographie. Diese Untersuchungsmethode ist in den KHK-Leitlinien aufgewertet worden.

© Klaus Rose

Auch bei hoher VTW (> 85%) empfehlen die Leitlinien den Verzicht auf weitere Ischämietests. Unter diese VTW-Kategorie fallen etwa Männer im Alter über 70 Jahre mit ausgeprägten typischen Angina-Beschwerden. Da hier die begrenzte Sensitivität der verfügbaren nicht-invasiven Ischämietests zur Folge hat, dass relativ häufig falsch negative Befunde zu erwarten sind, empfehlen die Leitlinien, unmittelbar von der Diagnose einer stenosierenden KHK auszugehen. Der Patient sollte dann direkt einer invasiven Koronarangiographie zugeführt werden.

Weiterführende Ischämiediagnostik

Bei der Gruppe der Patienten mit mittlerer VTW (15–85%) sehen die Leitlinien dagegen die Notwendigkeit einer weiterführenden Ischämiediagnostik gegeben.

Bei Patienten mit KHK-Verdacht und einer VTW von 15–65% kommt dafür weiterhin der EKG-Belastungstest (Fahrradergometer, Laufband) als einfaches und auf breiter Basis verfügbares Verfahren in Betracht.

MRT und CT stärker gewichtet

Bei Patienten mit höherer VTW (> 65%) votieren die ESC-Leitlinien mit Hinweis auf die niedrige Sensitivität jedoch explizit gegen eine Nutzung des EKG-Belastungstests zur Diagnosesicherung, da sich in diesem VTW-Bereich falsch-negative Befunde häufen würden.

Sowohl bei der Magnetresonanztomographie (MRT) als auch bei der CT-Koronarangiographie sind inzwischen große technische Verbesserungen erzielt worden. Beide nicht-invasive bildgebende Verfahren erhalten deshalb in den neuen Leitlinien mehr Gewicht als in der vorangegangenen Version. Die kardiale MRT kann demnach als alternative nicht-invasive Methode genutzt werden, wenn etwa schlechte Voraussetzungen für die Basisdiagnostik mittels Echokardiographie gegeben sind oder eine Strahlenexposition vermieden werden soll. Die koronare CT-Angiographie kommt als Alternative zu bildgebenden Belastungstests vor allem bei Patienten in Betracht, deren VTW-Werte im unteren intermediärem Bereich (15–50%) liegen.