Summary
Astronomy and anatomy, for a long period at a standstill, mostly taught using old text books, gradually witnessed a reawakening. One began to trust one's own eyes, and the scientific view of the heavens and the dissected body satisfied both the needs of scientific enlightenment as well as people's curiosity and desire for sensation. In addition, the scientific view brought about an awareness of the individual's finiteness and his essential nothingness as well as an awe in the face of God's creation. In the 19th century, anatomy receded from public life, disappearing behind the closed doors of universities. From this perspective, only scientific, "expert" interest remained. Only in present times have the non-scientific views (mentioned above) been shown greater interest. It has become clear that anatomical exhibitions neither disturb the dead nor devalue their dignity, and these exhibitions have become popular worldwide. Not only do they satisfy peoples curiosity and desire for sensation, but also confront the individual with his existential vulnerability. Man's conception is now open to various interpretations, but seldom do historical, anatomical or pathological museums of medicine satisfy this human yearning to know, not to mention the pecuniary aspects of such institutions.
Zusammenfassung
Nach rund tausend Jahren Stillstand in der Astronomie und Anatomie, die fast nur mit alten Texten unterrichtet wurden, lernte man zu Beginn der Neuzeit, wieder den eigenen Augen zu trauen. Dabei bewirkte der forschende Blick auf den gestirnten Himmel und in den geöffneten Körper außer belehrender Aufklärung auch befriedigte Neugierde, angenehm schaudernden Nervenkitzel, demütige Selbsterkenntnis des Einzelnen als sterblichen und unerheblichen Lebewesens sowie andächtige Ehrfurcht vor der göttlichen Schöpfung. Nach dem Rückzug der Anatomie aus der Öffentlichkeit hinter die Mauern der Universitäten im 19. Jhd. blieb von diesen Perspektiven nur noch das wissenschaftliche Experteninteresse übrig. Erst in der Gegenwart werden außerwissenschaftliche Sichtweisen wieder stärker als Interessen eigenen Rechts gewürdigt, nachdem feststeht, dass anatomische Ausstellungen weder die Totenruhe stören noch die Totenwürde verletzen. Weltweit erfreuen sich anatomische Ausstellungen großer Beliebtheit bei der Bevölkerung aber nicht nur, weil sie deren neugierige Angst- und Schaulust stillen, sondern auch weil sie den Einzelnen mit den zerbrechlichen Voraussetzungen der eigenen Existenz konfrontieren und dabei offen bleiben für die vom persönlichen Standpunkt der Betrachter abhängigen Menschenbilder. Bedauerlicherweise wird dieses Bedürfnis der Menschen von den etablierten medizinhistorischen, anatomischen und pathologischen Museen kaum gesehen, geschweige denn einen Nutzen für sich daraus gezogen.
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Wetz, F. Der Körper – Eine Sehenswürdigkeit Zankapfel Anatomie. Wien Med Wochenschr 157, 210–218 (2007). https://doi.org/10.1007/s10354-007-0413-y
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