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Am 26. September 2022 verstarb Walter Feucht, langjähriger Ordinarius für Obstbau an der Technischen Universität München in Weihenstephan, im gesegneten Alter von 93 Jahren.

Walter Feucht wurde am 30. Januar 1929 im württembergischen Rottweil geboren. Zunächst absolvierte er eine landwirtschaftliche Lehre, später studierte er Agrarwissenschaften an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim. Am dortigen Institut für Obstbau und Gemüsebau, das seinerzeit von Prof. Rudloff geleitet wurde, promovierte er 1955 und fertigte bis 1962 seine Habilitationsschrift an. Er erhielt die Venia Legendi (Lehrbefugnis) für das Fach Obstbau.

In seinen frühen Forscherjahren befasste er sich mit der Topografie und der Ortsnatur der fruchtenden Organe beim Baumobst. Er erkannte, dass die Bildung von Blütenknospen von der relativen Lage zu wachsenden Früchten und Langtrieben beeinflusst ist, und ging diesem Zusammenhang pflanzenphysiologisch nach. Wie er es sein gesamtes Forscherleben lang tat, stellte er dabei die exakte Beobachtung der Natur der Obstgehölze an den Anfang. Mit Akribie, Fleiß und Umsicht dokumentierte er die Beobachtungen. Auf dieser Basis suchte er nach Regelmäßigkeiten, Mustern und Zusammenhängen in den beobachteten Merkmalen, entwickelte Theorien zur Erklärung derselben und überprüfte diese gewissenhaft. Stets war er dabei bedacht, die Pflanze – eingebettet in ihre Umwelt – ganzheitlich im biologischen Sinn zu verstehen; zugleich und in gleichwertiger Weise hatte er die Bedeutung für die obstbauliche Praxis im Blick. Grundlagenforschung und anwendungsbezogene Gartenbauwissenschaften waren für ihn ein Leben lang ineinander verwoben, sich ergänzend und einander fördernd.

1963 ging Walter Feucht nach Chile, um einen Lehrauftrag an der Universität in Santiago zu übernehmen. Die in diesen Jahren gesammelten Erfahrungen gab er später vielen Studentengenerationen weiter. 1968 trat er eine Professur am Institut für Obstbau der Universität Gießen an. 1976 wurde er auf den Lehrstuhl für Obstbau der Technischen Universität München in Freising-Weihenstephan berufen. Er leitete ihn mehr als 20 Jahre lang, bis 1999 das Fachgebiet Obstbau mit seinem ehemaligen Schüler Dieter Treutter neu besetzt wurde.

Die Pflanzenphysiologie stand im Mittelpunkt seiner Arbeiten. Wenn es etwa darum ging, schwachwuchsinduzierende Unterlagen für Süßkirschen zu selektieren, stellte er grundlegende Forschungen zu den Vorgängen an der Veredlungsstelle an. So gelang es ihm und seinem Team, die Ursachen für die Veredlungsunverträglichkeit bei Süß- und Sauerkirschen zu beschreiben. Die Rolle von Phytohormonen für die Steuerung von Entwicklungsprozessen im Obstgehölz fielen ihm bereits in seinen Hohenheimer Arbeiten auf. In Weihenstephan gelang es ihm erstmals, Obstgehölze in vitro zu etablieren und zu vermehren. Hier bedurfte es Pionierarbeit und des Verständnisses der Wirkung von Phytohormonen. Das System „in vitro“ wurde für ihn für Jahrzehnte zum Modell für viele Forschungsarbeiten an den verschiedensten Pflanzen. Er abstrahierte es bis zu den Kalluskulturen, an denen er durch Hinzufügen und Weglassen verschiedenster Nährmedienbestandteile deren physiologische Wirkung zu beschreiben vermochte. Das Mikroskop zählte zu seinen wichtigsten Arbeitsgeräten. Stundenlang konnte er hinter den Okularen sitzen und Frischpräparate ebenso wie fixierte und mit dem Mikrotom in subzellulär dünne Schnitte zerlegte pflanzliche Gewebeproben betrachten und analysieren. Dabei entwickelte er wichtige Verfahren zum Nachweis verschiedener Inhaltsstoffe. Steckenpferd wurden die Polyphenole, die in den 1970er- und 1980er-Jahren von der Fachwelt als Abfallprodukte des pflanzlichen Stoffwechsels abgetan wurden. Seiner schwäbischen Sturheit ist es zu verdanken, dass er sich vom geltenden Mainstream nie beeinflussen ließ – und so auch seine Forschungen zu den Polyphenolen unbeirrt vorantrieb, ob nun Forschungsgelder dafür aufgetrieben werden konnten oder auch nicht. Bezeichnend war, dass er sich nie damit begnügte, bestimmte Phenole in verschiedenen Geweben von Obstgehölzen (und anderen Pflanzen) chemisch qualitativ und quantitativ nachzuweisen, sondern er verlangte immer danach, diese auf zellulärer und subzellulärer Ebene zu lokalisieren und ihre Funktion für die Pflanze zu beschreiben. Dies wurde zu seinem Hauptlebenswerk. Heute – dreißig Jahre später – hat die wissenschaftliche Gemeinschaft die Bedeutung phenolischer Verbindungen für die Pflanze und für die Ernährung des Menschen erkannt und akzeptiert. Ein Wegbereiter hierfür war Walter Feucht.

Langjährige wichtige Begleiter in seinem Weihenstephaner Berufsleben waren Diplomgärtner Hermann Schimmelpfeng, der das Versuchsfeld leitete und mit dem er unter anderem die Umstellung des fränkischen Süßkirschenanbaus auf kleinkronige Baumformen mitgestaltete, und Dieter Treutter, der Feuer fing an der Begeisterung Feuchts für pflanzliche Phenole und dem bahnbrechende Erfolge in der chemischen Analytik dieser Naturstoffe glückten. Schließlich wiesen Feucht und Treutter nach, dass phenolische Verbindungen z. B. an der Schorfresistenz des Apfels maßgeblich beteiligt sind und eine bedeutende Rolle bei der Abwehr von Feuerbrandinfektionen spielen. Gelingt es der Pflanze, während oder hinreichend schnell nach der Infektion durch einen Schaderreger bestimmte Phenole zu synthetisieren und an der Infektionsstelle zu akkumulieren, kann sie die Ausbreitung des Pathogens verhindern. Phenole spielen also eine entscheidende Rolle bei der induzierten Resistenz. Man muss konstatieren, dass die Weihenstephaner Forscher damals für ihre Erkenntnisse durchaus belächelt wurden. Ihre Kritiker wurden eines Besseren belehrt. Heute sind Verfahren, mit denen die natürliche Resistenz der Kulturpflanzen gesteigert werden kann, nicht nur im ökologischen Obstbau nicht mehr wegzudenken.

Die Lehre war für Walter Feucht nie eine lästige Verpflichtung. Der Obstbau-Professor nutze die Vorlesungen geradezu, auf der Grundlage handfester Forschungsergebnisse die Lücken im bestehenden Wissen aufzuzeigen und die Studentenschaft dafür zu begeistern, diese schnellstmöglich zu schließen. Beinahe genüsslich hinterfragte Feucht auch die in der obstbaulichen Praxis üblichen Verfahren und stellte alternative Konzepte vor, was bisweilen zu heiteren Diskussionen führte. So gelang es ihm, den Blick seiner Studenten zu weiten und ihnen aufzuzeigen, dass es in eine Sackgasse führen kann, bestehende Konzepte nicht zu hinterfragen – eine exzellente Vorbereitung auf ihr späteres Berufsleben. Walter Feucht war für Generationen von Studenten – nicht nur wegen seiner hageren Gestalt, seiner immer weißer strahlenden zerzausten Haare, seiner leicht heiseren, nicht lauten, aber ausdrucksstarken Stimme und seines dem wissenschaftlichen Nachwuchs freundlich zugewandten Auftretens – der Inbegriff eines Vollblutwissenschaftlers, Vorbild für kritisches Denken und faktenbasierte Analyse sowie fachlicher Impulsgeber.

Nach seiner Emeritierung blieb Walter Feucht der Wissenschaft verbunden. Mitunter hatte man sogar den Eindruck, er blühe – jeglichen administrativen Verpflichtungen entbunden – neu auf in seinem wissenschaftlichen Tatendrang. Tagtäglich war er am Institut. Meist fand man ihn hinter dem Mikroskop sitzend. Sein Wohnhaus lag direkt neben dem Weihenstephaner Staudensichtungsgarten, in dem sich auch bedeutende Gehölzsammlungen befinden. So führte ihn der Weg oft zunächst in den Staudengarten, wo er Lebendpräparate sammelte, die er dann – im Institut angekommen – sogleich mikroskopisch untersuchte. Gegenstand seiner Untersuchungen waren nicht nur Obstgehölze: Auch vor Mammutbäumen, Eiben oder Tee machte seine Neugier nicht halt. Es gelang ihm tatsächlich nachzuweisen, dass Catechine – bestimmte phenolische Verbindungen – in bestimmten Phasen des pflanzlichen Wachstums im Zellkern vorkommen. Jahrelang hielten ihm Kritiker vor, seine Beobachtungen seien Artefakte, die erst beim Anfärben der Catechine entstehen, um sie im Mikroskop sichtbar zu machen. Sturheit, Beharrlichkeit, Fleiß und die Fähigkeit, von ihm durch Beobachtung als real erkannte Begebenheiten energisch gegen Kritik zu verteidigen, brachten ihn schließlich zum Ziel, auch diese Erkenntnisse in anerkannten Fachzeitschriften zu publizieren – neben den ungezählten anderen, die seinem Spätwerk vorausgingen.

Sein Bedürfnis, auch nach dem Abendessen noch einmal „ins Institut hochzugehen“, hielt bis ins hohe Alter an. Nur die Beaufsichtigung seiner Enkel konnten ihn – zumindest halbtagesweise – von der Präsenz am Institut abhalten. Walter Feucht war nicht nur ein exzellenter Wissenschaftler, er war auch ein humorvoller Mensch. Es gab kaum eine Feierlichkeit am Institut, die er nicht mit einem vorgetragenen und kommentierten Gedicht erheiterte. Er blieb stets ein bescheidener und nahbarer Mensch. Wenn es etwas gab, das ihn seitens des Universitätsbetriebs bedrückte, war es das mit den Jahrzehnten aufkommende Missverständnis, die Gartenbauwissenschaften könnten den Ansprüchen der modernen Universität an die Wissenschaftlichkeit nicht genügen. Er in seiner Person und in seinem wissenschaftlichen Werk ist geradezu der Gegenbeweis für diese mitunter bis heute vertretende Hypothese.

Dr. Michael Neumüller, Dr. Johannes Hadersdorfer und Dr. Sybille Michaelis