Epilepsien gehört neben spastischen Paresen und psychischen Verhaltensauffälligkeiten zu den häufigsten Begleiterkrankungen bei Menschen mit einer geistigen Behinderung. Dies ist nicht zuletzt einer der Gründe, warum diese besondere Patientengruppe häufig durch Epilepsiezentren medizinisch betreut wird. Diese oft historisch entstandenen und gewachsenen Versorgungsstrukturen werden gegenwärtig durch die berechtigten Forderungen nach inklusiven Behandlungsprozessen auf der einen Seite sowie neue Erkenntnisse hinsichtlich pathophysiologischer Krankheitsprozesse und innovativer (mittlerweile sogar kausaler) Therapieoptionen auf der anderen Seite inhaltlich wie strukturell herausgefordert.

Das vorliegende Themenheft der Zeitschrift für Epileptologie widmet sich in 6 Beiträgen den häufigen Begleiterkrankungen bei geistiger Behinderung:

In ihrem Artikel „Geistige Behinderung: Nomenklatur, Klassifikation und die Beziehung zu Epilepsien“ stecken die Autoren gewissermaßen den Rahmen für die nachfolgenden Artikel ab. Dabei schlagen sie eine Brücke vom oft eher trockenen Gebiet der Nomenklatur und Klassifikation über einen Exkurs über die Entstehung einer Intelligenzminderung hin zu hoch praxisrelevanten Fragen der Diagnostik. Hier finden sich Hinweise auf wichtige klinische Merkmale, die auf das Vorliegen eines spezifischen Syndroms hindeuten können, aber auch die zutreffende Empfehlung, möglichst frühzeitig diagnostische Weichen zu stellen.

Der Artikel „Ambulante und stationäre Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland“ beschreibt zunächst die häufigsten Komorbiditäten sowie die besonderen Herausforderungen bei der ambulanten und stationären Behandlung von Menschen mit geistiger und/oder mehrfach Behinderung in der deutschen Versorgunglandschaft. Darüber hinaus werden einzelne Versorgungsstrukturen einschließlich der neu zu gründenden Medizinischen Behandlungszentren für Menschen mit Behinderungen (MZEB) vorgestellt und sozialmedizinische Neuerungen durch das Bundesteilhabegesetz präsentiert.

In ihrem Artikel „Antiepileptika – Besonderheiten bei Menschen mit geistiger Behinderung“ beschreiben die Autoren zunächst Grundsätzliches wie Fragen der Zielsetzung und der Prognose einer antiepileptischen medikamentösen Behandlung. Es folgt eine steckbriefartige Charakterisierung einzelner Substanzen, die – soweit möglich – auf die Besonderheiten der betreffenden Patientengruppe eingeht. Ein Abschnitt des Artikels widmet sich den „orphan drugs“, von denen ein Teil vielleicht den Anfang der „precision medicine“ in der Epilepsiebehandlung darstellt.

In einem weiteren Artikel zur Epilepsiebehandlung – „Ist eine Akutbehandlung epileptischer Anfälle möglich und sinnvoll?“ – widmen sich die Autoren der Frage, inwieweit epileptische Anfälle mit Bedarfsmedikamenten behandelt werden sollten oder eben auch nicht. Hier spiegelt sich die klinische Erfahrung der Autoren wider, sie wollen aber mit dem Artikel und dem eingebetteten Literaturüberblick insbesondere auch Raum für eine weitergehende Diskussion über dieses Thema geben.

In ihrem Artikel „Epilepsiechirurgie bei Erwachsenen mit mentaler Retardierung“ präsentieren die Autoren zunächst den aktuellen Wissensstand über Indikation, operatives Vorgehen und Prognose epilepsiechirurgischer Eingriffe bei Menschen mit geistigen Behinderungen. Darüber hinaus bietet der Artikel praktische Informationen über die Selektion geeigneter Operationskandidaten und den typischen diagnostischen Workup. Ergänzt wird der Artikel durch instruktive Fallvignetten.

Zwei Artikel widmen sich dem Themenkomplex „Autismus-Spektrum-Störungen und Epilepsie“. Im Teil 1 stellen die Autoren die aktuelle Klassifikation der Autismus-Spektrum-Störungen, die Symptomatik im Entwicklungsverlauf, das Komorbiditätsspektrum, sowie das diagnostische und grundsätzliche therapeutische Vorgehen vor. Der Teil 2 behandelt genetische Aspekte, den Komplex der Intelligenzminderung bei Autismus-Spektrum-Störungen, altersgruppenspezifische Herausforderungen sowie die Behandlung von Patienten mit Autismus und Epilepsie.

Wir hoffen, mit der Auswahl der Beiträge dieses Heftes ein möglichst breites Interesse am Thema der Betreuung von Menschen mit geistiger- und Mehrfachbehinderung geweckt zu haben, und wünschen Ihnen viel Gewinn bei der Lektüre.

Frank Bösebeck und Christian Brandt