Nahezu jeden Tag werden wir in der Sprechstunde mit Fragen zum Thromboserisiko unter Einnahme von oralen Kontrazeptiva bzw. unter einer Hormontherapie konfrontiert. Dieser Risikofaktor ist insbesondere durch die zahlreichen Presseartikel der letzten Jahre so stark in den Fokus geraten, dass eine verzerrte Wahrnehmung entstanden ist. Während vor 10 Jahren zumeist nur die Vorteile von oralen Kontrazeptiva und (peri‑)menopausalen Hormontherapien wahrgenommen wurden, sehen heute viele Frauen – aber auch Kolleginnen und Kollegen – diese hormonellen Therapien primär durch die „Risikobrille“.

Zunehmend mehr junge Frauen wünschen vor Beginn einer oralen Kontrazeption eine Thrombophilieabklärung

Das hat dazu geführt, dass eine steigende Zahl junger Frauen „aus Angst und Sorge“ und selten aufgrund bekannter eigener oder familiärer Gerinnungsstörungen vor Beginn einer oralen Kontrazeption eine ausführliche Abklärung möglicher erworbener und hereditärer Thrombophilien wünscht. Das lebenslange Thromboserisiko ist aber vielfach als gering einzuschätzen – insbesondere bei Mutationen mit relativ schwacher prokoagulatorischer Wirkung, beispielsweise bei einer Mutation im Plasminogen-Aktivator-Inhibitor(PAI)-Gen. Zudem erfährt die Patientin durch die Diagnosestellung eine Stigmatisierung, die sie das ganze Leben, so auch während der Schwangerschaft und im Wochenbett, begleitet.

Gleichzeitig wird in der Presse über die Schicksale von jungen Frauen mit schweren Komplikationen nach tiefer Beinvenenthrombose oder Apoplex unter oraler Kontrazeption berichtet, ohne mögliche bereits vor Verschreibung vorhandene Risikofaktoren zu nennen. In diesem Spannungsfeld ist es von zentraler Bedeutung, die unterschiedlichen prokoagulatorischen Auswirkungen der einzelnen erworbenen und hereditären Thrombophilien ebenso wie die einzelnen Inzidenzen zu beleuchten, um Risikopatientinnen identifizieren und adäquat beraten zu können. Im Beitrag von J.-D. Studt werden deshalb die einzelnen Gerinnungsstörungen ausführlich erörtert und diagnostische Pfade dargelegt.

Die Beiträge von S. Segerer u. R. Bauersachs sowie von M. Pollak u. M. Nagler beschäftigen sich intensiv mit der Fragestellung der Gabe von oralen Kontrazeptiva bei Vorliegen von Gerinnungsstörungen und führen sowohl die Unterschiede in Abhängigkeit von den eingesetzten Sexualsteroiden als auch die Unterschiede bezüglich der Darreichungsform (beispielsweise oral, vaginal, transdermal und intramuskulär) aus.

Die Gerinnung spielt auch bei der Genese von Fehlgeburten eine Rolle. In diesem Zusammenhang wurde kürzlich von der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG, OEGGG, SGGG) eine neue S2k-Leitlinie zur „Diagnostik und Therapie bei habituellen Spontanaborten“ entwickelt. Im Beitrag von N. Rogenhofer u. M.K. Bohlmann wird dargelegt, bei welcher Abortpatientin eine gerinnungsphysiologische Abklärung zu empfehlen ist. Zahlreiche Interventionsstudien haben in den letzten Jahren gezeigt, dass eine generelle Heparinisierung der Abortpatientinnen zu keiner Steigerung der Lebendgeburtenrate führt und somit die Bedeutung des Gerinnungssystems beim Auftreten von Fehlgeburten eher überschätzt wurde.

Im abschließenden Beitrag von B. Toth, A. Rank, B. Böttcher u. M. Ludwig wird das weite Feld der Hormonersatztherapie bei Frauen mit erworbenen und hereditären Gerinnungsstörungen anhand der aktuellen Literatur diskutiert.

Wir hoffen, Ihnen in dieser Ausgabe Beratungsinhalte, aktuelle Daten und Handlungsempfehlungen für den Alltag an die Hand zu geben, und verbleiben mit herzlichen Grüßen aus Innsbruck und Zürich.

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B. Toth

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B. Imthurn