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Die Notfallversorgung in deutschsprachigen Kliniken wird zunehmend interdisziplinär organisiert. Aus unterschiedlichsten Gründen haben sich Kliniken entschieden, Patienten mit notfallmedizinischem Handlungsbedarf an einer meist zentral gelegenen Anlaufstelle für Notfälle auf dem Klinikumsgelände zu versorgen, teilweise in Kooperation mit niedergelassenen Ärzten. Dort wird die Primärdiagnostik der Hilfesuchenden durchgeführt, die Therapie eingeleitet und dann die weitere ambulante bzw. stationäre Versorgung geplant. Diese logistische Entscheidung ermöglicht in großen Kliniken, betroffene Patienten mit zeitkritischem Handlungsbedarf symptomorientiert zu behandeln und schon zu Beginn des stationären Behandlungsprozesses entsprechend den Erfordernissen dem richtigen Behandlungsort zuzuweisen. Zudem müssen keine teuren und aufwendigen Strukturen an verschiedenen Orten einer Klinik vorgehalten werden: Es wird eine Eintrittspforte für alle Notfallpatienten garantiert.

Die Neustrukturierung der klinikgebundenen Notfallversorgung ist mit diversen, teils fachlichen Herausforderungen verknüpft, die in dieser innovativen Versorgungsstruktur adressiert werden müssen: Die fachliche Ausbildung von Ärzten hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich diversifiziert und in den Fachbereichen vertieft. Da sich Patienten aber nicht mit Diagnosen vorstellen, sondern mit Beschwerden oder Symptomen, die sich meist vielfältigen Diagnosen zuordnen lassen, ist ein fachlich qualifizierter „notfallmedizinischer Ansatz“ erforderlich, der in den aktuellen universitären Ausbildungsstrukturen nur unzureichend abgebildet ist. Das Leitthema der vorliegenden Ausgabe versucht diesen generalistischen Blickwinkel aufzunehmen und die Erstversorgung von Notfallpatienten mit fokalem neurologischem Defizit zu diskutieren.

Der notfallmedizinische Ansatz ist in universitären Ausbildungsstrukturen nur unzureichend abgebildet

Patienten, die sich in einer klinikgebundenen Notaufnahme vorstellen, weisen zu einem hohen Prozentsatz neurologische Beschwerden als Haupt- oder Nebensymptom auf, beispielsweise fokale sensomotorische Defizite, Kopfschmerzen, Schwindel, Verwirrtheit oder Bewusstseinsstörung. Grundlage für die korrekte evidenzbasierte Behandlung ist die korrekte Diagnosestellung. Neurologische Symptome können eine primär neurologische Ursache aufweisen, sind aber häufig auch sekundärer Ausdruck einer systemischen Störung, etwa einer Infektion, Intoxikation, Störung des Metabolismus oder akuten Herz-Kreislauf-Erkrankung. Deshalb wird auch in der Akutversorgung von Patienten mit neurologischen Symptomen empfohlen, zunächst eine strukturierte Erstdiagnostik durchzuführen, beispielsweise nach ABCDE-Schema (ABCDE Atemweg, Beatmung, „circulation“ [Kreislauf], [neurologische] Defizite, Exposition) im „primary survey“, dem sich eine strukturierte und umfassende Evaluation im „secondary survey“ anschließt.

Für dieses Leitthema haben verschieden Autoren notfallmedizinisch relevante Herausforderungen in der Erstversorgung von Patienten mit Symptomen eines Schlaganfalls zusammengestellt. Die Autoren haben großen Wert darauf gelegt, Aspekte mit Versorgungsrelevanz zu adressieren und diese in den fachspezifischen Kontext zu setzen. Wir denken, dass allen beteiligten Autorengruppen gelungen ist, diese Herausforderung zu meistern und den Lesern dieser Ausgabe von Notfall+Rettungsmedizin Inhalte in spannender und sehr aufschlussreicher Art und Weise zu präsentieren.

Die schnelle Erkennung eines Schlaganfalls hilft schon im präklinischen und klinischen Setting, die Weichen für die erforderliche Diagnostik zu stellen und daraus abgeleitet die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt einzuleiten. Die Autoren um L. Schuler und sein Team haben sich im ersten Beitrag mit der strukturierten Erfassung von Patienten mit einem „neurologischen Ereignis“ beschäftigt und diskutieren die verschiedenen Optionen des strukturierten Screenings sowie die Vor- und Nachteile dieser Instrumente. Zentral in dieser Diskussion ist das Statement, dass ein zerebrovaskuläres Ereignis eine Erkrankung mit zeitkritischem Handlungsbedarf ist (Slogan: „Time is brain“). Das korrekte Erkennen einer Schlaganfallsymptomatik und auch die Klassifikation des Schweregrads ermöglichen dem Rettungsdienstteam bereits in der Präklinik, die richtige Dispositionsentscheidung zu treffen (Zentrumsversorgung mit Option einer neuroradiologischen Intervention vs. Versorgung in einer möglichst nahegelegenen Klinik). Der schnelle Beginn der erforderlichen Therapie ist dabei entscheidend für den therapeutischen Erfolg.

Die Kollegen um M. Michael aus Nordrhein-Westfalen stellen uns in einer exzellenten Arbeit ausführlich vor, wie das „D-Problem“ des Schockraumpatienten adäquat adressiert werden kann. An erster Stelle steht das strukturierte Vorgehen, das – wie oben bereits erwähnt – mit dem „primary survey“ nach ABCDE-Schema beginnt. In einem sehr umfassenden Übersichtsbeitrag beschreiben die Autoren eine strukturierte Vorgehensweise, erklären verschiedene Aspekte der notfallmedizinischen Primärversorgung bei einem D‑Problem und diskutieren die erforderliche Vorgehensweise z. B. bei Störungen des Bewusstseins. Wichtig in diesem Kontext ist, dass diese Vorgehensweise im Team strukturiert geübt und eingelernt werden kann.

Die Kollegen um L.-B. Lakatos aus dem neurologischen Notfallteam des Luzerner Kantonsspitals stellen die Ursachen von „stroke mimics“ vor. Klassischerweise präsentieren sich Schlaganfälle mit plötzlichem Einsetzen sensomotorischer oder anderer fokaler Ausfälle, deren Ursache in einer zerebralen Durchblutungsstörung bzw. einer Hirnblutung liegt. Die Beschleunigung der Abläufe für diese zeitkritische Therapie hat die Wahrscheinlichkeit einer diagnostischen Fehlbeurteilung in der Akutphase erhöht. Der von den neurologischen Kollegen erstellte Beitrag stellt häufige Gründe von „stroke mimics“ vor und diskutiert sehr detailliert und anschaulich die diagnostischen Fallstricke im Rahmen einer interdisziplinären Notfallversorgung. Die Diskussion von „stroke chameleons“, also dem Beschwerdemuster eines Schlaganfalls, das nicht primär als Schlaganfall erkannt wird, hätte leider den Umfang des Beitrags gesprengt.

Last but not least geben B. Turowski u. J. Caspers vom Universitätsklinikum Düsseldorf einen aktuellen Einblick in die hochspezialisierten Optionen einer modernen, interventionellen Schlaganfalltherapie. Aus unserer Sicht ist dieser Beitrag für Notfallmedizin- und Rettungsdienstteams von hoher Relevanz, da erst dieser Einblick erklärt, warum die Versorgungsoptionen bei akutem Schlaganfall eine solche zeitkritische Relevanz aufweisen.

Wir hoffen, Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, mit diesem Leitthema eine gute Zusammenfassung aktueller Themenfelder der Schlaganfallversorgung mit einem breiten Themen- und Spannungsbogen zu präsentieren. Wir bedanken uns auf das Allerherzlichste bei den Autoren für deren hervorragende Beiträge, wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und würden uns sehr freuen, wenn Sie diese Zusammenstellung interessant und hilfreich für Ihre tägliche praktische Arbeit finden.

Mit den besten Grüßen

Prof. Dr. Michael Christ und

Prof. Dr. Michael Bernhard