Die Vorbereitung auf einen Massenanfall von Verletzten (MANV) war bis zum Ende des 20. Jahrhunderts durch Konzepte der Katastrophenmedizin geprägt, die im Wesentlichen auf Vorbereitungen und Vorhaltungen für den Kalten Krieg oder sonstigen Großschadensereignissen beruhten. Diejenigen Kollegen, die sich inhaltlich und wissenschaftlich mit dieser Thematik beschäftigten, waren – entsprechend dem damaligen Zeitgeist – häufig dem Vorwurf des Militarismus und der Inhumanität ausgesetzt.

Das Flugzeugunglück von Rammstein im Jahr 1988 mit 70 Toten und 1000 Verletzten führte unter anderem dazu, dass sich die deutsche Notfallmedizin zunehmend mit der Abarbeitung eines MANV befasste und gesellschaftspolitisch befassen konnte. Bei dem Zugunglück von Eschede im Jahr 1998 mit 101 Toten und 88 Verletzten kamen die zwischenzeitlich entwickelten notfallmedizinischen Konzepte für ein Großschadensereignis erfolgreich zum Einsatz.

Die Anschläge vom 11. September 2001 führten dazu, dass sich die deutsche Notfallmedizin auf Terroranschläge vorbereiten muss, die sich im taktisch-strategischen Vorgehen an den Besonderheiten der asymmetrischen Kriegsführung orientiert.

Für die Fußballweltmeisterschaft 2006 entwickelten viele Behörden, Organisationen und Krankenhäuser detaillierte Pläne für einen MANV, um die Vorgaben der FIFA für ein Großschadensereignis mit der erforderlichen Versorgung von 2 % der Stadionbesucher zu erfüllen.

Im Rahmen der Finalisierung der S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung im Jahr 2015 haben wir als Verantwortliche für die Koordination des Kapitels 1.10 Massenanfall von Verletzten (MANV) feststellen müssen, dass wegen der nicht ausreichenden Evidenz keine Schlüsselempfehlungen erstellt werden konnten. Umso mehr freut es uns, dass wir Ihnen mit diesem und dem folgenden Heft der Zeitschrift Notfall- + Rettungsmedizin relevante Beiträge zur dieser Thematik zur Verfügung stellen können.

Hauer et al. berichten mit ihrem ausführlichen Erfahrungsbericht über den Terroranschlag vom Breitscheidplatz in Berlin vom 19.12.2016. Sie stellen hierbei die spezifischen Verletzungsmuster, die individuelle Patientenversorgung und insbesondere den Stellenwert einer schnellen Verteilung auf die nächstgelegenen geeigneten Traumazentren dar.

Achatz et al. erörtern die aktuellen chirurgischen Versorgungsstrategien beim TerrorMANV, wenn besondere Lagen besondere Prioritäten erforderlich machen. Sie erläutern mit ausgewählten Fallbeispielen für unsere Leser die entscheidenden chirurgischen Versorgungskonzepte Early Total Care (ETC), Damage Control Surgery (DCS) und Tactical Abbreviated Surgical Care (TASC).

Der Beitrag SExReg von Franke et al. erscheint nicht irrtümlich in dieser Zeitschrift. Vielmehr handelt es sich hierbei um die dringend notwendige Implementierung eines Schuss- und Explosionsregister (SExReg), um auf Grundlage des Erkenntnisgewinns nach entsprechender Analyse des Datensatzes zukünftige evidenzbasierte Leitlinien erstellen zu können.

Die Vorbereitungen der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) gemeinsam mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr für die Versorgung von Terroropfern werden in einem Kommentar dargestellt, insbesondere im Hinblick auf die AG Einsatz‑, Katastrophen- und Taktische Chirurgie (EKTC) der DGU, die entsprechende Ausbildungsformate hierfür anbietet und insbesondere wissenschaftlich mit der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie (DGWMP) kooperiert.

Für unsere Leser ist dieses Heft nicht nur unter dem Aspekt eines möglichen MANV von Interesse. Kenntnisse über die dargestellten Verletzungsmechanismen und Verletzungsmuster sowie die sich daraus ergebenden chirurgischen Versorgungskonzepte sind essenziell für das interdisziplinäre Team im Schockraum.

Herzlichst

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Benedikt Friemert, Ulm

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Karl-Georg Kanz, München