Im Alltag der Notfall- und Rettungsmedizin ist der Anteil von Patienten, die wegen akuter Probleme der arteriellen Gefäße betreut werden, relativ niedrig. Demgegenüber machen Notfälle einen großen Teil der täglichen gefäßchirurgischen Aufgaben aus. Da Notfälle der Gefäße Leben oder Funktion und Erhalt der Extremitäten gefährden können, ist das sofortige Erkennen der bedrohlichen Situation bereits beim ersten medizinischen Kontakt des Betroffenen für den weiteren Behandlungserfolg unabdingbar. Rasch ist gefäßchirurgische und/oder interventionelle Expertise hinzuziehen, um bei betroffenen Patienten mit zeitkritischem Handlungsbedarf die Weichen für das weitere Management korrekt zu stellen.

Gefäßnotfälle müssen meistens rasch und fachgerecht behandelt werden

Gefäßnotfälle müssen schnell und fachgerecht behandelt werden. Eine akute Blutung duldet keinen, der Gefäßverschluss nur einen kurzen Aufschub. Gerade in Zeiten von Zentralisierung und Ressourcenoptimierung im Rettungsdienst und im Krankenhaus können bei unzureichender Weichenstellung und/oder irrtümlichen Entscheidungen Verzögerungen mit fatalen Konsequenzen auftreten.

Die korrekte Vorgehensweise findet zum Zeitpunkt des ersten medizinischen Kontakts statt. Zu diesem Zeitpunkt müssen die Gefährdung erkannt und die ersten Behandlungsschritte eingeleitet werden. Der wegen der Beschwerden kontaktierte Hausarzt, der alarmierte Rettungsdienst oder der Notarzt müssen entscheiden, welche Klinik für die Situation geeignet ist. Während es Notfälle der Gefäße gibt, die in jedem Krankenhaus versorgt werden können, müssen andere Patienten aufgrund von strukturellen, organisatorischen und fachlichen Gegebenheiten in spezialisierte Zentren verlegt werden.

Die Komplexität dieser Herausforderungen wird durch die Auswahl der Artikel in dieser Ausgabe abgebildet: Während jede Gefäßchirurgie akute arterielle Verschlüsse und Leistenkomplikationen gut und effizient behandeln kann, wird die Prognose in anderen Fällen von einer Vielzahl weiterer Faktoren entscheidend mitbestimmt. Bei bestimmten Verletzungen, bei Kindern und in gewissen Situationen, wie z. B. einem rupturierten Bauchaortenaneurysma, kommt den organisatorischen und strukturellen Voraussetzungen und insbesondere der Erfahrung des Behandlungsteams einschließlich des Operateurs eine überragende Bedeutung zu.

Das korrekte Management dieser Notfälle ist meist in High-Volume-Kliniken in Standards (SOP) abgebildet. Ein gutes Beispiel stellt der Behandlungsprozess des rupturierten Bauchaortenaneurysmas dar.

Beim rupturierten Bauchaortenaneurysmas müssen verschiedene Fachdisziplinen Hand in Hand arbeiten

Ausgehend von der korrekten Identifikation dieser lebensbedrohlichen Situation müssen verschiedene Fachdisziplinen aufeinander abgestimmt Hand in Hand arbeiten. Gleiches gilt für den akuten Verschluss der Mesenterialarterien. Während ein akuter peripherer arterieller Extremitätenverschluss in den meisten Fällen durch Blickdiagnose erkannt wird, ist es deutlich schwieriger, die mesenteriale Ischämie in das differenzialdiagnostische Spektrum der Vorstellungssymptomatik einzuordnen. Hinzu kommt, dass die Therapie der Gefäßnotfälle zwischenzeitlich neben den klassischen operativen Möglichkeiten auch neuartige endovaskuläre Behandlungsoptionen und Hybridverfahren bietet. Gleichzeitig können diese neuen interventionellen Verfahren mit vaskulären Komplikationen der Zugangswege assoziiert sein. Da diese Fälle häufig beim Gefäßchirurgen endversorgt werden, prägte Hans Schweiger etwas sarkastisch den Begriff des Hämatomologen für die eigene Berufsgruppe.

Eine Sondersituation stellt die Behandlung von Kindern dar. Hier wird der Gefäßchirurg mit Herausforderungen konfrontiert, mit denen er oft weniger vertraut ist, da er vorwiegend Erfahrungen mit sklerotisch veränderten Gefäßen des älteren Patienten hat. Bei begleitenden Frakturen kommt hier der präoperativen klinischen Diagnostik eine große Bedeutung zu. Nicht selten erhält man Anfragen aus anderen Kliniken mit einem postoperativ festgestellten Pulsdefizit, ohne auf Informationen des präoperativen Gefäßstatus zurückgreifen zu können. Aufgrund der filigranen Gefäße und den im Grunde fehlenden Möglichkeiten zum Gefäßersatz ist die Behandlung von Kindern somit eine besondere operative Herausforderung.

Schuss- und Explosionsverletzungen sind in unseren Breitengraden (zum Glück) bisher eher selten zu finden. Aber auch in Deutschland zeigen die Ereignisse der letzten Monate, dass es sich hier um eine neue Realität handelt. So hat sich die Hamburger Klinik des Mitherausgebers dieses Themenhefts verstärkt mit der Vorbereitung auf potenzielle Situationen zum G20 Gipfel vorbereitet. Gerade ist die fachgerechte rettungs- und notfallmedizinische Versorgung die Basis für den weiteren Erfolg. Neben der klassischen gefäßchirurgischen Behandlung stellt die Therapie mit blutstillenden Substanzen auch ein wichtiges Forschungsgebiet dar.

In der Summe stellen Gefäßnotfälle die Kollegen der Notfall- und Rettungsmedizin und auch die gefäßchirurgischen Kollegen vor besondere Herausforderungen. Die vorliegende Ausgabe versucht einen interessanten Überblick über die Vielfalt dieses Spektrums zu geben. Wir hoffen, dass uns dies durch die Auswahl der Themen gelungen ist. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe der Zeitschrift Notfall + Rettungsmedizin.

Herzlichst

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Michael Christ, Luzern

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Larena-Avellaneda, Hamburg