Laienreanimation – ist denn das so wichtig? Vor allem für uns Profis?

Die Ersthelfer beschränken sich sowieso auf Stabile Seitenlage oder reanimieren schlecht …

Genau dies ist aber der Grund für unseren Themenschwerpunkt „Laienreanimation“.

Wenn wir über die Verbesserung von Reanimationsergebnissen nachdenken, gehen wir gerne über die Tatsache hinweg, dass allein die Durchführung einer Laienreanimation die Überlebenswahrscheinlichkeit verdoppelt bis verdreifacht – unabhängig von ihrer Qualität. Was wäre, wenn dies auch noch mit hoher Qualität passierte?

Die Laienreanimationsquote in Deutschland ist erheblich niedriger als in anderen europäischen Ländern (14% laut nationalem Reanimationsregister verglichen mit 50–70% in skandinavischen Ländern). Warum ist das so? Vielfältige Gründe potenzieren sich und erzeugen eine „tödliche“ Mischung. Den zugrunde liegenden Mechanismen ist ein Prinzip gemeinsam: Fürsprecher und Lobby sind schwach. Einige dieser Zusammenhänge mögen hier kurz skizziert werden, damit wir ihnen in der öffentlichen Debatte besser begegnen können.

Gerade in unseren Fachkreisen steht die Laienreanimation weit hinten. Wenn wir ehrlich sind, diskutieren wir doch lieber die medikamentöse Therapie des Kreislaufstillstands als Strategien zur Verbesserung der Laienreanimation. Dabei existiert für keine im Rahmen der Reanimation verwendete pharmakologische Substanz eine eindeutige wissenschaftliche Evidenz. Hingegen wissen wir sehr gut, dass die Qualität der Thoraxkompression Outcome-relevant ist.

In der Folge dieses geringen Stellenwerts der Basisreanimation nehmen sich auch nur wenige Notfallmediziner des Themas an. Dementsprechend wissen wir weder wissenschaftlich gut über diesen Bereich Bescheid noch engagieren wir uns in der qualitativen und quantitativen Verbesserung der Laienausbildung. Lorbeeren lassen sich hier kaum gewinnen.

Die Laienreanimation wird auch gesellschaftlich gering geschätzt

Als Konsequenz wird die Laienreanimation auch gesellschaftlich gering geschätzt. Zwar existiert die Pflicht zum Erste-Hilfe-Kurs beim Erwerb des Führerscheins, aber erstens war die Intention dieses Kurses niemals die Vermittlung des richtigen Vorgehens bei der Reanimation, sondern die Erste Hilfe bei Unfällen, und zweitens kann man sich lerntheoretisch keinen ungünstigeren Zeitpunkt aussuchen: Für welche Teilnehmer ist in dieser Lebensphase der plötzliche Herztod wichtig? Für eine relevante Verankerung der Kulturfertigkeit Wiederbelebung sind frühere Lebensphasen wesentlich geeigneter – und das ist lerntheoretisch belegt. Unser Gemeinwesen beginnt einfach zu spät mit der Ausbildung. Dabei ist die Wiederbelebung eine grundlegendere Kompetenz als Rechtschreibung oder einfaches Zahlenrechnen. Rechtschreibprogramme und Rechner können uns nämlich einiges abnehmen, während die ersten 7 min bis zum Eintreffen des ersten Rettungsdienstfahrzeugs bisher von keinem „App“ überbrückt werden. Die Basisreanimation im Falle des Kreislaufstillstands ist ausschließlich vom Ersthelfer leistbar.

Für die schlechte Sichtbarkeit der Basisreanimation mag als weiterer Grund noch ihre schwierige Zugänglichkeit für die Forschung genannt sein. Die konkreten Abläufe am Notfallort sind praktisch nicht beobachtbar und kaum „prospektiv“ zu erfassen. Auch sind die Interventionsmöglichkeiten der professionellen Medizin in dieser ersten Phase äußerst limitiert. Zwar können Leitstellendisponenten den Ersthelfer vor Ort effektiv unterstützen, aber daraus leitet sich kein wirtschaftliches Interesse von Geräte- oder Arzneimittelherstellern ab. Insofern ist hier eine industriegeförderte Forschung die Ausnahme. Abgesehen von AEDs (und die machen nicht überall Sinn) ist mit Reanimation kein Geld zu verdienen.

Aus all den bisher aufgeführten Argumenten ist klar abzuleiten, dass die Erhöhung der Ersthelfer-Reanimationsquote Aufgabe des Gemeinwesens ist, gewissermaßen eine sozialpolitische Chefsache. Entscheidungsverantwortlich sind politische Instanzen – aber woher sollen sie es wissen, wenn nicht von uns –, z. B. der Leserschaft von Notfall + Rettungsmedizin? Damit schließt sich der Kreis zu diesem Themenheft. Die Beiträge sollen einerseits zeigen, was derzeit umgesetzt wird, an der Leitstelle, in Schulen und in Schulsanitätsdiensten. Andererseits weist dieses Heft aber (wenn man es genau nimmt) auf die Defizite, Lücken und Unterlassungen hin, die bei der Reanimationsausbildung von Laien in Deutschland herrschen.

100.000 Fälle von „Plötzlichem Herztod“ pro Jahr stehen allein in Deutschland 4000 bis 5000 Verkehrstoten gegenüber. Sicherlich hat nicht jedes Opfer optimale Überlebenschancen, aber bei einem Durchschnittsalter von etwa 60 Jahren und grundsätzlich gutem neurologischem Outcome könnten erheblich mehr Menschenleben gerettet werden als durch weitere präventive Maßnahmen der Automobilindustrie, wo nach alarmierenden Daten in den 1970er Jahren Airbags und andere Sicherheitssysteme entwickelt wurden. Und ebenso wie beim Nichtanlegen des Sicherheitsgurts im Auto (Bußgeld behaftete Pflicht in Deutschland seit 1984) ist gesetzlich (§ 323 StGB) jeder zur Hilfeleistung verpflichtet, d. h. zur Ersten Hilfe und damit auch zur Reanimation!

Der aktuelle Zeitpunkt ist eigentlich nicht schlecht für einen aktiven Vorstoß. Einige technische Möglichkeiten wie die Ortung des Einsatzortes und des nächstgelegenen AED über GPS oder die Alarmierung von Ersthelfern mittels SMS sind bereits möglich und in der Praxis etabliert. Programme zur Professionalisierung der Leitstellenkommunikation einschließlich der Telefonreanimation sind eingeführt. Elektronisch basierte Unterrichtsformate für Schüler sind auf dem Markt, insbesondere zur Unterstützung von Schullehrern. Einfache videoassistierte Modelle zur Weiterverbreitung von Wissen und Fertigkeiten im Familienkreis von ausgebildeten Schulkindern sind verfügbar. Für die konkrete Notfallsituation sind „Just-in-Time“-Apps erhältlich, die den Ersthelfer direkt vor Ort unterstützen können …

Es muss jetzt eine gemeinsame Initiative auf den Weg gebracht werden, denn einer der vielen Hinderungsgründe ist auch die Fragmentierung der Kräfte. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe, die individuellen Hilfsorganisationen, die Deutsche Herzstiftung, einzelne Fachgesellschaften, individuelle Kliniken, alle engagieren sich punktuell und mit ihren eigenen Programmen. Politisch sind sowohl die Bildungsträger als auch die Ärztekammern föderal organisiert, wodurch das Thema immer wieder untergeht. Der Schlüssel liegt auch darin, ob wir als notfallmedizinische „Community“ fähig sind, mit einer einheitlichen Sprache und einer einheitlichen Plattform in der Öffentlichkeit aufzutreten.

Was ist zu tun?

  1. 1.

    Engagieren Sie sich – lokal, regional oder national: Die Ersthelferreanimation braucht eine Lobby, eine kritische Masse.

  2. 2.

    Engagieren Sie sich für die flächendeckende und verpflichtende Integration der Reanimationsausbildung in die Schulcurricula.

  3. 3.

    Helfen Sie aktiv mit, sodass die Qualität der Ausbilder durch geeignete Maßnahmen (Fortbildung und fachliche Supervision) sichergestellt wird.

  4. 4.

    Unterstützen Sie die Einführung neuer Medien insbesondere zur logistischen Optimierung der Reanimation. Hierauf muss auch die Interaktion des Ersthelfers mit der Leitstelle abgestimmt werden.

  5. 5.

    Unterstützen Sie ein einheitliches Konzept und Vorgehen, in welcher Institution Sie auch immer zu Hause sind. Hierzu bietet das ERC (European Resuscitation Council) die wissenschaftliche Bezugsgröße. Die nationale Repräsentanz des ERC ist das GRC (German Resuscitation Council); in ihm sind alle Hilfsorganisationen und alle relevanten Fachgesellschaften vertreten. Damit erscheint das GRC als natürliche Institution zur Bündelung der Aktivitäten. Das GRC ist noch jung und braucht Ihre Unterstützung.

  6. 6.

    Und – last but not least – schauen Sie in die Beiträge dieses Hefts, vielleicht ist die eine oder andere Anregung für Sie dabei oder es fällt Ihnen eine Person oder Initiative ein, denen Sie diese Informationen weitergeben möchten.

Es ist uns ein ganz persönliches Anliegen, dass Sie als Leserschaft von Notfall + Rettungsmedizin die Laienreanimation auch ein bisschen zu Ihrer Sache machen. Wir alle haben eine ganz konkrete Verantwortung dafür.

Mit besten Grüßen

Ihre

J. Breckwoldt

U. Kreimeier