Femurschaftfrakturen bei Kindern sind keine seltene Verletzung. Die Inzidenz wird mit 16 bis 28 auf 100.000 Kinder/Jahr angegeben [8, 20, 26, 27]. Die Femurschaftfraktur ist damit die zweithäufigste Fraktur der unteren Extremität mit insgesamt ca. 2 % aller Frakturen im Kindesalter [5]. Die Altersverteilung wird mit 11 % bei den < 2-Jährigen, mit 21 % in der Gruppe der 2‑ bis 5‑Jährigen, mit 33 % bei den 6‑ bis 12-Jährigen und mit 35 % bei den 13- bis 18-Jährigen angegeben. Jungen sind mit 71 % häufiger betroffen als Mädchen [8]. Als Behandlungsverfahren stehen sowohl konservative als auch operative Verfahren zur Verfügung, wobei mit zunehmendem Alter die operativen Stabilisierungen favorisiert werden [24].

Behandlungsoptionen

An konservativen Verfahren stehen auf der einen Seite der Becken-Bein-Gips, auf der anderen Seite die Extensionsbehandlung (z. B. Overhead) zur Verfügung [6, 8, 13]. Neuere Gipse, wie z. B. der J‑Splint, konnten sich nicht durchsetzen [4].

An operativen Verfahren stellt die elastisch stabile intramedulläre Nagelung (ESIN) nach wie vor den Goldstandard dar, wenn diese möglich ist. Auch der Fixateur externe ist immer noch eine denkbare Alternative, allerdings wird die Plattenosteosynthese in neueren Arbeiten auch wieder Gegenstand der Diskussion [1, 7, 9]. Neuere Studien zeigen, dass der Einsatz von speziellen Verriegelungsnägeln für Adoleszente ebenfalls ein gutes Verfahren darstellt [21].

Offizielle Empfehlungen

Als Empfehlungen zur Behandlung von Femurschaftfrakturen im Kindesalter gibt es zum einen die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) [8], zum anderen die Empfehlungen der American Academy of Orthopaedic Surgeons (AAOS) [10] sowie den Konsensusreport der 19. Tagung der Sektion Kindertraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), 23.–24. Juni 2000 in München [5]. Die AAOS gibt altersentsprechende Empfehlungen bei Femurschaftfrakturen im Kindesalter vor: Mit Evidenzgrad IV empfiehlt die AAOS die Behandlung von Femurschaftfrakturen bei unter 6 Monate alten Kindern mit einem Gips [10]. Für Kinder im Alter von 6 Monaten bis zu 5 Jahren mit einer Femurschaftfraktur und einer Verkürzung von weniger als 2 cm wird eine Behandlung mit Traktion oder Gips empfohlen. Bei Verkürzungen von mehr als 2 cm oder jeder anderen klinischen Konstellation (z. B. Frakturtyp, Körpergewicht) kann für dieses Lebensalter mangels Evidenz keine Empfehlung gegeben werden [10]. Bei den 5 bis 11 Jahre alten Kindern wird empfohlen, eine Stabilisierung von Femurschaftfrakturen mit flexiblen, intramedullären Nägeln (ESIN) durchzuführen. Für Kinder vom 11. Lebensjahr bis zum Erwachsenenalter wird die Stabilisierung mit Marknägeln, eingeschobenen Platten oder ESIN empfohlen [10].

In der S1-Leitlinie der AWMF wird bis zum 3. Lebensjahr die Overhead-Pflaster-Extension für 2 bis 3 Wochen stationär (oder mit entsprechendem Equipment ambulant) oder ein Becken-Bein-Gips empfohlen, wobei hier für die Gipsanlage und die ggf. angestrebte Reposition eine Narkose als erforderlich angesehen wird [8, 28]. Ab dem 3. Lebensjahr wird von der AWMF die ESIN empfohlen. Die ESIN sollten „aszendierend bei mittlerem und proximalem Schaftdrittel, deszendierend bei distalem Schaftdrittel“ eingebracht werden. Es wird darauf hingewiesen, dass „bei Instabilität (Spiralfraktur, 3. Fragment) Verriegelungs-Schraubkappen möglich sind, oder alternativ wird ein dritter Nagel eingebracht zur stabileren Verklemmung“ [8]. Zusammenfassend wird ergänzt, dass „im Einzelfall die ESIN auch < 3. LJ (abhängig von Körpergröße und -gewicht) angewandt werden kann“. Bei der subtrochantären Femurfraktur wird die ESIN aszendierend empfohlen und „bei Trümmerfrakturen, III° offenen Frakturen oder wenn mit ESIN keine ausreichende Stabilität zu erzielen ist: Fixateur externe“. Es wird darauf hingewiesen, dass „andere Osteosyntheseverfahren (Kombination ESIN/Fixateur externe, minimalinvasive Plattenosteosynthese, Verriegelungsnagel)“ Sonderindikationen sind, und speziellen Fragestellungen v. a. bei Jugendlichen vorbehalten bleiben. ESIN sind ebenso geeignet bei pathologischen Frakturen (z. B. juvenile Knochenzyste)“ [8].

Die Sektion Kindertraumatologie der DGU empfiehlt in ihrem Konsensusreport von 2000 in München zur Behandlung der Femurschaftfraktur im Neugeborenen-, Säuglings- und Kleinkindalter die Operation nur in begründeten Einzelfällen. Dies wird folgendermaßen begründet: „Die Überlegung, auch Kleinkinder routinemäßig mittels elastisch-stabiler intramedullärer Nagelung (ESIN) zu versorgen, wird nicht von einem Konsens getragen. Lediglich in Einzelfällen, z. B. bei nicht akzeptabler Stellung kann eine Operation erwogen werden. Bei ESIN-Nagelung von Patienten unter dem 4. Lebensjahr ist zu bedenken, dass Querbrüche mit einem deutlichen Längenplus an der frakturierten Seite ausheilen können, welches sich mit aller Wahrscheinlichkeit auch im Laufe des weiteren Lebens nicht ausgleichen wird.“ [5] Für Schulkinder wird die operative Stabilisierung empfohlen.

Diskussion

Für ein konservatives Verfahren sprechen die schnelle Heilung im Kindesalter und die dadurch kurze Behandlungsdauer. Zudem ist meistens keine Narkose erforderlich, wenn nicht reponiert werden soll. Die Anlage der Overhead-Extension oder des Becken-Bein-Gipses kann grundsätzlich auch in Analgosedierung erfolgen [6]. Eine achsengerechte Ausrichtung ist in Anbetracht des Korrekturpotenzials im jungen Alter nicht erforderlich. Dagegen spricht zumindest beim Becken-Bein-Gips die pflegerische Problematik, bei der Overhead-Extension die Notwendigkeit der stationären Behandlung. Eine ambulante Behandlung mit der Überkopfextension ist an vielen Standorten technisch und logistisch nicht realisierbar. Risiko der Overhead-Extension ist das Kompartmentsyndrom mit Peronäusparese durch den Zug an den Faszien. Nebenbei kommt es oft zu Hautirritationen durch die Pflasterzügel.

Ein wichtiges Argument für ein operatives Verfahren ist die Erkenntnis, dass Schaftfrakturen grundsätzlich ein beschränktes Korrekturpotenzial haben [15]. In der Regel wird beim polytraumatisierten Kind eine operative Stabilisierung empfohlen [25]. Die Zahl der Polytraumata in der kindlichen Population nimmt mit zunehmendem Alter zu [29, 30]. Die operative Stabilisierung von offenen Femurfrakturen wird kontrovers diskutiert, obwohl wir und auch andere Autoren in diesen Fällen zu einem operativen Vorgehen mit Osteosynthese raten [2]. Weiterhin spricht für das operative Vorgehen, dass für Kinder, die schon Laufen können, der Komfort mit einer operativen Stabilisierung höher ist und mit allen operativen Verfahren die Mobilisierung wieder schneller möglich ist. Auch für die Eltern ist der Komfort höher, erst recht, wenn die Kinder schon so groß sind, dass sie keine Windeln mehr tragen. Außerdem muss das operativ stabilisierte Kind nicht lange im Krankenhaus bleiben [26]. Andererseits wird vor dem Risiko einer Wachstumsstimulation durch die fugennahen Eintrittsstellen in einer vulnerablen Wachstumsphase gewarnt [3, 19]. Zudem zeigt die klinische Erfahrung, dass der Markraum zumindest in den ersten beiden Lebensjahren häufig sehr weit ist und die bewegungsstabile Verspannung der beiden Nägel technisch nicht immer problemlos möglich ist.

Natürlich besteht bei den operativen Verfahren das Risiko des Auftretens von Komplikationen [12, 14, 1618, 22, 23], das immer bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt und über das vorher aufgeklärt werden muss. Auch die intraoperative Strahlenbelastung insbesondere bei der Therapie mit ESIN muss berücksichtigt werden [11], ebenso die Tatsache, dass 2 Narkosen (Implantation und Materialentfernung) notwendig sind.

Heutzutage wird ab dem Schulalter zur operativen Stabilisierung geraten. Die ESIN haben eine Empfehlung bis 50 kg Körpergewicht. Zunehmend haben wir es jedoch auch mit Kindern zu tun, die schon früh durch ein hohes Körpergewicht über 50 kg auffallen. In diesen Fällen halten wir die eingeschobenen, langen, winkelstabilen Platten [1] oder mit zunehmendem Alter auch die speziellen Marknägel [21] für zeitgemäße, elegante Alternativen. Entsprechend neueren Publikationen wird auch immer öfter im Lebensalter zwischen 1 und 3 Jahre die operative Stabilisierung mit ESIN durchgeführt, wofür es durchaus valide Argumente gibt [24].

Fazit für die Praxis

  • Grundsätzlich sind in der Behandlung der Femurschaftfraktur beim Kind und Jugendlichen sowohl konservative als auch operative Behandlungsverfahren möglich.

  • Bei Kindern im Vorschulalter hat die konservative Therapie noch den höchsten Stellenwert, auf jeden Fall, wenn die Kinder noch nicht laufen.

  • Mit zunehmendem Lebensalter (ab dem Schulalter) werden operative Stabilisierungen favorisiert.

  • Aus verschiedenen Gründen wird zunehmend auch schon operativ stabilisiert, wenn die Kinder etwa ab dem ersten Lebensjahr laufen können. Als operatives Verfahren ist dann die ESIN die Standardmethode, alternativ kommt der Fixateur externe oder die möglichst minimalinvasive Plattenosteosynthese infrage.

  • Ab etwa dem Adoleszentenalter stehen auch spezielle Kindermarknägel zur Verfügung, für deren Verwendung inzwischen vielversprechende Studien vorliegen.