Chronische Schmerzen, d. h. Schmerzen von mehr als 3 Monaten Dauer, ohne anhaltende Ursache oder ein Trauma, haben bei Kindern und Jugendlichen eine zunehmende Prävalenz [1]. Besonders chronische muskuloskeletale Schmerzen werden immer wieder ursächlich mit Traumata in Verbindung gebracht [2]. Differenzialdiagnostisch kommt eine Reihe von Ursachen für chronische posttraumatische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen infrage [3]. Häufig handelt es sich jedoch um Bagatelltraumata, die in keinem Verhältnis zu den anhaltenden erheblichen Beschwerden stehen, und in der Mehrzahl der Fälle lässt sich keine traumatische Ursache finden [4, 5]. Die vorliegende Übersicht ergänzt einen Beitrag der Autoren zum Thema CRPS als Beispiel für chronische posttraumatische Schmerzen [3].

Im Kindesalter tritt das komplexe regionale Schmerzsyndrom („complex regional pain syndrome“, CRPS) in einem Altersgipfel zwischen 11 und 13 Jahren auf (Abb. 1). Prinzipiell werden regionale und generalisierte chronische Schmerzen unterschieden. Generalisierte Schmerzerkrankungen sind deutlich häufiger (Abb. 2) und betreffen zumeist neben dem muskuloskeletalen System auch Kopf, Thorax und Abdomen. Sie gehen typischerweise mit psychischen Begleitsymptomen einher [7]. Der Begriff „juvenile Fibromyalgie“ sollte zugunsten der „chronischen Schmerzstörung in mehreren Körperregionen (mit somatischen und psychischen Faktoren)“ vermieden werden, da sich generalisierte Schmerzerkrankungen im Kindes- und Jugendalter erheblich von dem Erkrankungsverlauf und der Prognose des Fibromyalgiesyndroms beim Erwachsenen unterscheiden [4].

Abb. 1
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Alter und Geschlechtsverteilung bei Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzerkrankungen. Ausgewertet wurden die Daten von 514 Patienten, die während der Jahre 2011–2012 am ZSJM Garmisch-Partenkirchen wegen chronischer Schmerzerkrankungen stationär behandelt wurden [6]

Abb. 2
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Häufigkeit der Verteilungsmuster bei Kindern und Jugendlichen mit muskuloskeletalen Schmerzstörungen (SS). Gleiche Patienten wie in Abb. 1

Bei den regionalen Schmerzstörungen ist das CRPS Typ I am häufigsten. Die Diagnose erfolgt auf Basis der 2010 revidierten Budapest-Kriterien ([8, 9], Tab. 1).

Tab. 1 Budapest-Kriterien 2010. Revidierte operationale Diagnosekriterien des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

Neben den typischen klinischen Symptomen haben sich Magnetresonanztomographie (MRT), Szintigraphie und Thermographie bei der Diagnose des CRPS Typ I als diagnostisch hilfreich erwiesen. Inzwischen haben MRT und Szintigraphie eine vergleichbare diagnostische Aussagekraft [10], sodass Kindern und Jugendlichen die Strahlenbelastung einer Szintigraphie meist erspart werden kann.

Während sich beim CRPS Typ II (Morbus Sudeck) eine eindeutige Nervenläsion durch neurophysiologische Untersuchungen wie die Nervenleitgeschwindigkeit nachweisen lässt, fehlen diese Veränderungen beim CRPS Typ I. Sowohl periphere als auch zentrale Mechanismen werden als ursächlich für die sichtbaren Befunde diskutiert (s. unten).

Beide Formen des CRPS ähneln sich jedoch in ihrem klinischen Befund (Abb. 3). Auch bei Patienten mit CRPS Typ I findet sich häufig anamnestisch ein Bagatelltrauma, das als Ursache interpretiert wird. Eine kritische Anamnese und Untersuchung offenbaren jedoch häufig, dass die angegebenen Schmerzen nicht Folge dieses Traumas sein können, weil sie in Dauer und Stärke völlig inadäquat sind [11]. Dennoch erleben viele Patienten mit CRPS Typ I eine über die Maßen intensivierte Diagnostik, frustrane medikamentöse Therapieversuche und teilweise operative Eingriffe, die die Problematik eher verstärken.

Abb. 3
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Lokalbefund bei einer 11-jährigen Patientin mit komplexem regionalem Schmerzsyndrom (CRPS) Typ I der linken Hand 8 Wochen nach Bagatelltrauma. Deutlich erkennbar sind die massive Schwellung und die Hautveränderungen in der betroffenen Region

Pathophysiologie chronischer Schmerzen

Das Verständnis und damit die therapeutischen Strategien zur Behandlung chronischer Schmerzen haben sich in den vergangenen Jahren enorm gewandelt (Ausführliches hierzu unter [3]). Die Entstehung chronischer Schmerzsyndrome wird als ein multifaktorielles Ereignis verstanden. In der Pathophysiologie spielen biologische, soziale und psychische Faktoren eine Rolle ([12], Abb. 4). Im Gegensatz zu akuten Schmerzen lassen sich chronische Schmerzsyndrome nicht monokausal verstehen und behandeln, weshalb chronische und auch chronische posttraumatische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen auf medikamentöse Therapien meist nur unzureichend ansprechen.

Abb. 4
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Faktoren des biopsychosozialen Modells zur Entstehung chronischer Schmerzen

Während auf Basis des biopsychosozialen Schmerzmodells generalisierte Schmerzstörungen relativ gut nachvollzogen werden können, sind zum Verständnis des CRPS weitere Erklärungsmodelle erforderlich, wie die periphere und zentrale Hypothese.

Periphere Hypothese

Durch eine periphere Nervenläsion entsteht ein Schmerzreiz, der über den Thalamus an den somatosensorischen Kortex geleitet wird und dort ein chronisches Schmerzereignis induziert. Das Trauma betrifft auch das autonome Nervensystem, sodass die betroffene Extremität neben Schmerzen auch Symptome autonomer Dysregulation zeigt. Die Modellerkrankung hierfür ist das CRPS Typ II [13].

Zentrale Hypothese

Mehrere häufig nicht genau zu klärende Ursachen führen zur Entstehung eines chronischen Schmerzsignals im somatosensorischen Kortex, das auf eine bestimmte Körperregion projiziert wird. Sekundär treten durch eine reaktive Aktivierung des autonomen Nervensystems Symptome autonomer Dysregulation auf. Die Modellerkrankung hierfür ist das CRPS Typ I [14].

Therapie

Typisches Kennzeichen eines CRPS ist der auf Analgetika kaum bis gar nicht ansprechende extreme regionale oder lokale Schmerz in Kombination mit Symptomen der autonomen Dysregulation [15]. Selbst regional anästhesiologische Verfahren wie Schmerzkatheter und Sympathikusblockaden zeigen ebenso wie eine medikamentöse Schmerztherapie meist nur geringe Erfolge [16, 17]. Insgesamt ist daher von medikamentösen und v. a. invasiven Therapieversuchen bei Kindern und Jugendlichen mit CRPS Typ I abzuraten.

Das Zentrum für Schmerztherapie junger Menschen (ZSJM) Garmisch-Partenkirchen hat bundesweit sicherlich die umfangreichste Erfahrung in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit CRPS (Abb. 5). Ein multidisziplinäres Team aus speziell ausgebildeten Kinderärzten, Kinder- und Jugendpsychiatern, Psychologen, Pflegekräften, Physio- und Ergotherapeuten, Sozialpädagogen und Lehrern erarbeitet mit jedem Patienten ein individuelles Therapiekonzept. Das „Garmischer Schmerzkonzept“ für die Behandlung generalisierter muskuloskeletaler Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen basiert auf einer fast 20-jährigen Erfahrung und orientiert sich an den S3-Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF [18]). Für Patienten mit CRPS wurde dieses Konzept speziell weiterentwickelt. Dabei wird unter weitgehendem Verzicht auf eine medikamentöse Therapie eine multimodale Therapie mit neuromodulierender Physiotherapie, aktivierender Sporttherapie, psychologischer Betreuung, Edukation sowie desensibilisierenden und entspannenden Therapieelementen eingesetzt [19, 20]. Die Elemente der multimodalen Therapie kommen Kindern und Jugendlichen durch ihre spielerische Herangehensweise entgegen. Außerdem lassen sich die jungen Patienten meist besser zur Bewegung – trotz Schmerzen – motivieren als Erwachsene.

Abb. 5
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Anteil der Patienten mit komplexem regionalem Schmerzsyndrom (CRPS) am ZSJM Garmisch-Partenkirchen. Fallzahlen 2011–2014. SS Schmerzstörung

Zunächst erfolgt eine Analyse der durch das CRPS verursachten Bewegungsstörungen, dann werden im Rahmen der Physio- und Bewegungstherapie gemeinsam mit dem Patienten Bewegungsprogramme erarbeitet, die schließlich in ein Alltagstraining münden. Dabei werden v. a. aktivierende Behandlungsverfahren und eine medizinische Trainingstherapie (MTT) eingesetzt. Die klassische Physiotherapie mit zunächst passivem Training der betroffenen Extremität und dann schrittweisem Übergang zu aktiven Bewegungsabläufen, kombiniert mit Elementen der Trainingstherapie (MTT, therapeutisches Klettern u. a.) führt zu einer allmählichen Reintegration der betroffenen Gliedmaße in die Bewegungsabläufe [21].

Einen Behandlungsschwerpunkt bilden Desensibilisierungsmaßnahmen wie Wechselbäder, Handtuchrubbeln, Eincremen, Igelballmassage und Aktivierung mit spielerischem Bewegungstraining [22].

Abhängig von der Schwere, Ausprägung und dem Ansprechen auf die Therapie werden bei Patienten mit CRPS zusätzlich Elemente der „graded motor imagery“ (Imaginationen, Links-rechts-Training, Spiegeltherapie) eingesetzt ([23], Abb. 6). Dies kann insbesondere für Patienten, die ihre vom CRPS betroffene Extremität als völlig funktionslose Gliedmaße nicht mehr benutzen und somit aus ihrer Körperwahrnehmung abgespalten haben, ein sehr hilfreicher Einstieg sein.

Abb. 6
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Spiegeltherapie bei einem 11-jährigen Mädchen mit komplexem regionalem Schmerzsyndrom des rechten Fußes. a Filzsohlen entsprechend den Fußauflageflächen werden von der Patientin gemeinsam mit den Therapeuten „gebastelt“. Beachte: deutlicher Unterschied von gesunder (links) und betroffener (rechts) Seite. b,c Die Patientin übt zunächst nur mit dem gesunden linken Fuß. Im Spiegel sieht sie jedoch einen imaginären „rechten“ Fuß, der sich mitbewegt

Die psychosoziale Betreuung in Einzel- und Gruppentherapien bezieht auch die Familie mit ein. Wichtig ist, die Akzeptanz der Diagnose einer chronischen Schmerzerkrankung zu vermitteln. Die Skepsis, dass dem Schmerz nicht ein übersehenes körperliches Leiden zugrunde liegt, kann nur durch ein konzertiertes Vorgehen von Psychologen und Ärzten überwunden werden. Dies legt den Grundstein für ein selbstbestimmtes aktives Vorgehen gegen den Schmerz. Einen hohen Stellenwert hat die Psychoedukation. Zunächst wird das Verständnis für die Grundlagen akuter und chronischer Schmerzen in einer speziell für chronisch schmerzkranke Kinder und Jugendliche entwickelten Schulung vermittelt. Die Patienten erlernen ablenkende Strategien und Entspannungsmethoden.

„Ich bin meinem Schmerz nicht ausgeliefert, sondern kontrolliere ihn.“ Dies ist die fundamentale Erkenntnis für den selbsteffizienten Umgang mit dem Schmerz und die erfolgreiche Etablierung von Schmerzstrategien im Alltag [24].

Im „Garmischer Schmerzkonzept“ sind die Pflegekräfte Teil des Therapeutenteams und wesentlich daran beteiligt, dass die Patienten während ihres zumeist 3-wöchigen stationären Aufenthalts eine Peergroup-Erfahrung machen. Erstmals sind sie mit ihren chronischen Schmerzen nicht völlig allein, sondern treffen auf betroffene Altersgenossen und ein verständnisvolles Umfeld, das sie in ihren Schmerzen ernst nimmt und ihr Leiden akzeptiert. Des Weiteren trainieren Pflegekräfte Alltagsabläufe (Gehtraining, Begleitung desensibilisierender Maßnahmen).

Der Schulbesuch ist ein wichtiges therapeutisches Element, da die meisten Kinder und Jugendlichen mit chronischen Schmerzen erhebliche Schulfehlzeiten haben. In der hauseigenen Schule ermöglicht die Arbeit in Kleingruppen mit speziell geschulten Lehrern den schrittweisen Wiedereinstieg in den Schulalltag. Verpasstes kann nachgeholt und individuelle Strategien für den Schulalltag können zu Hause erprobt und eingeübt werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Patienten und Eltern bezüglich der Schul- und Berufsentwicklung in Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst zu beraten.

Ergebnisse

Das CRPS bei Kindern und Jugendlichen zeigt zumeist ein vielseitigeres, häufig wechselndes und zumeist besser beeinflussbares Symptombild als bei Erwachsenen. Die Prognose ist insgesamt besser. Im eigenen Patientengut wurden 63 Patienten mit CRPS, die zwischen 2007 und 2012 am ZSJM Garmisch-Partenkirchen mit einer 3-wöchigen multimodalen Therapie behandelt wurden, im Durchschnitt 19 Monate nach Entlassung mittels Fragebogen nach ihren Beschwerden gefragt. Zum Befragungszeitpunkt hatten 17 Patienten (26,9 %) keine und 27 (48,6 %) deutlich weniger oder seltener Schmerzen.

Zusammenfassung und Ausblick

Jugendliche Patienten mit einem CRPS sowohl posttraumatischen als auch idiopathischen Ursprungs haben häufig eine monatelange Leidensgeschichte hinter sich. Umfangreiche, oft wiederholte Diagnostik und erfolglose Therapieversuche führen Patienten, Eltern und Therapeuten häufig in eine frustrierende Situation. Die Differenzialdiagnose eines CRPS sollte frühzeitig anhand der Budapest-Kriterien erwogen werden.

Cave: In der Szintigraphie und MRT finden sich beim CRPS Typ I und II Zeichen trophischer Veränderungen im Gewebe. Diese sollten nicht fälschlich als intraossäre Inflammation gedeutet werden.

Für die Therapie des CRPS bei Kindern und Jugendlichen gilt:

  • Medikamente sind weitgehend wirkungslos.

  • Selbst invasive anästhesiologische Verfahren schaffen nur temporär Entlastung und sollten vermieden werden.

  • Die multimodale Therapie in spezialisierten Zentren kann dauerhafte Erfolge erzielen.

Die Prognose ist beim CRPS Typ II abhängig von der nervalen Regeneration. Beim CRPS Typ I ist sie bei früher fachgerechter Behandlung gut; allerdings besteht für die Patienten das Risiko einer sekundären generalisierten Schmerzstörung.

Wichtig ist bei jugendlichen Patienten mit Verdacht auf ein CRPS oder eine chronische Schmerzstörung eine zügige Kontaktaufnahme mit einem spezialisierten Zentrum. Hier kann die Diagnose gestellt und eine Therapie rasch eingeleitet werden. Das ZSJM in Garmisch-Partenkirchen verfügt im deutschsprachigen Raum über die umfangreichste Erfahrung in der multimodalen Therapie des CRPS. Durch die enge Zusammenarbeit mit der BG-Unfallklinik Murnau kann auch verunfallten Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzerkrankungen eine derartige Therapie angeboten werden. Ein stationärer Aufenthalt am ZSJM ermöglicht meist den erfolgreichen Einstieg in eine weiterführende ambulante Therapie. Allerdings stehen ambulant noch immer zu wenige Behandlungsplätze zur Verfügung. Hier gibt es wie in der Therapieentwicklung noch dringenden Handlungsbedarf.