Zusammenfassung
Komplikationen durch Materialentfernungen
Frakturen durch Materialentfernungen stellen mit insgesamt 0–1,5 % eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation operativer Therapien dar, insbesondere da diese Verfahren einerseits als Abschluss der Behandlung angesehen, andererseits in 50–60 % der Fälle als hochelektive Eingriffe bei beschwerdefreien Patienten durchgeführt werden. Durch erweiterte Indikationsstellungen zur operativen Frakturversorgung in den letzten Jahrzehnten ist auch mit einem Anstieg der Inzidenz von Materialentfernungen zu rechen. Im folgenden Beitrag erfolgt einführend eine Begriffsbestimmung und Unterteilung der unterschiedlichen Frakturentitäten in intraoperative iatrogene Frakturen und Refrakturen. Anschließend werden die jeweiligen Ursachen diskutiert und die vorhandene Datenlage für die großen Röhrenknochen aufgeführt.
Resümee
Fehlermöglichkeiten, die zu einer Fraktur durch Materialentfernung führen, können bereits im Rahmen der Indexoperation auftreten und ziehen sich durch sämtliche Phasen der Materialentfernung, wie Indikationsstellung, Planung, Durchführung und operative Nachbehandlung. Anhand der vorliegenden Datenlage sind gegenwärtig keine evidenzbasierten Empfehlungen zur Implantatentfernung abzuleiten, und die Indikation muss daher kritisch und individuell gestellt werden.
Abstract
Complications of implant removal
Fractures during removal of implants are rare (0–1.5 %) but serious complication, particularly because these procedures are thought to be the end of primary treatment, but if this occurs, then the patient will be back at the beginning of therapy. Furthermore 50–60 % of implant removals are highly elective surgeries on healthy patients. Due to the increasing number of operative fracture fixation procedures, the number of patients requesting implant removal will also increase in the upcoming decades. In this paper, an overview of the different causes for fractures based on implant removal procedures (intraoperative vs. postoperative) is given. Finally, the data in the literature are reviewed for long bones and recommendation are made to prevent such complications.
Conclusion
Errors leading to fractures during implant removal may happen during initial fracture fixation, as well as during all stages of the implant removal procedure, e.g., assessment of indication, planning and performing the operative procedure, as well as operative after care. Based on the published literature, no evidence-based recommendations for implant removal can be given and each decision has to be made on an individual basis after critical evaluation.
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Frakturen durch Materialentfernungen stellen mit insgesamt 0–1,5 % eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation operativer Therapien dar [36, 41, 44], da diese Verfahren eigentlich als Abschluss der primären Therapie angesehen werden, der Patient aber bei deren Auftreten zurück an den Beginn der Therapie geworfen wird. In 50–60 % der Fälle handelt es sich um hochelektive Eingriffe bei beschwerdefreien Patienten. Evidenzbasierte Empfehlungen zur Indikationsstellung einer Implantatentfernung fehlen. Diese Faktoren führen dazu, dass der Operateur im Falle einer eingetretenen Komplikation der Materialentfernung gehäuft mit Arzthaftungsklagen konfrontiert wird [16, 41, 44].
Auch aus sozioökonomischen Gesichtspunkten lohnt sich die Beschäftigung mit dem Thema Materialentfernung, da sie einen Großteil der operativen Eingriffe in der Unfallchirurgie ausmacht. Nach Bostman u. Pihlajamaki [7] stellen Materialentfernungen mit 15 % das zweihäufigste Operationsverfahren in einem norwegischen Trauma-1-Center dar und tragen mit einem Anteil von 30 % zu allen elektiven Eingriffen bei. In Deutschland werden nach Ochs et al. [39] jährlich etwa 180.000 dieser Eingriffe alleine stationär durchgeführt.
Durch erweiterte Indikationsstellungen zur operativen Frakturversorgung, durch demografische Veränderungen mit einer überalternden Bevölkerung und hierdurch erhöhtem Frakturrisiko, aber auch durch Lifestyleänderungen mit zunehmendem Aktivitätsanspruch der Patienten bis ins hohe Alter ist nicht nur mit einer zunehmenden Prävalenz von einliegenden Implantaten, sondern auch mit einem Anstieg der Inzidenz von Materialentfernungen in den nächsten Jahren zu rechnen [19].
Die Datenlage zu Frakturen durch Materialentfernungen ist, aufgrund der überwiegend fehlenden routinemäßigen Verlaufskontrollen im klinischen Alltag der meisten Krankenhäuser, schwach und uneinheitlich. Dieses spiegelt sich auch in den von den Fachgesellschaften publizierten Empfehlungen und Leitlinien wider, welche nur allgemeine Hinweise geben und ein z. T. uneinheitliches Vorgehen in Bezug auf Indikationsstellung und -zeitpunkt empfehlen (http://www.awmf.org; [49]).
Weiterhin wird der Terminus Refraktur sehr uneinheitlich verwendet.
Terminologie
Viele Autoren schreiben auch periimplantäre Frakturen [38, 45], intraoperative iatrogene Frakturen [51] und erneute Frakturen bei einem adäquaten Trauma [29] den Refrakturen zu, die zumindest laut Definition der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) eine eigene Identität darstellen. So muss bei Letzterer die Refraktur ohne adäquates Trauma im knöchern konsolidierten ehemaligen Frakturbereich nach Entfernung der Osteosynthesematerialien auftreten. Zusätzlich muss die Primärfraktur im sog. gesunden Knochen entstanden sein [36]. Hiervon abzugrenzen sind periimplantäre Frakturen bei in situ befindlichem Implantat und implantatassoziierte Frakturen, die nach Materialentfernung im ehemaligen Implantatlager, jedoch nicht im alten Frakturbereich (z. B. im Bereich von Schraubenlöchern) auftreten.
In dieser Arbeit soll der Fokus neben den intraoperativen Frakturen im Rahmen der Implantatentfernung auf die Refrakturen im eigentlichen Sinne gelegt werden (zur umfassenden Beschäftigung mit den Thema der allgemeinen Komplikationen durch Materialentfernungen s. Mückley u. Gras [35]).
Ursachen für Frakturen durch Materialentfernungen
Während intraoperative Frakturen im Rahmen der Implantatentfernung zumeist durch operationstechnische Schwierigkeiten und Fehler iatrogen bedingt sind, scheint die pathophysiologische Ursache einer Refraktur möglicherweise in einem veränderten Knochenstoffwechsel bzw. einer verlängerten Knochenbruchheilung zu liegen.
In einer Studie von Kessler et al. [28] wurden bei 14 Patienten, die aufgrund einer Refraktur erneut operativ versorgt wurden, Knochenbiopsien aus den Refrakturzonen gewonnen und histologisch untersucht. In allen Fällen fanden sich Nekrosen, die als Ursache für eine Refraktur angeführt wurden, da es hierdurch – insbesondere in kortikalen Zonen – zu entsprechenden „stress risers“ kommt. Ob diese beobachteten Knochennekrosen aber eventuell nur Teil eines physiologischen Knochenremodellings („creeping substitution“) darstellen, wurde bei einer fehlenden Kontrollgruppe nicht thematisiert. Bei allen Refrakturen zeigte sich eine weitgehend einheitliche Frakturkonfiguration mit kurzem schrägem Frakturverlauf (ohne Fragmententstehung), der eher an Insuffizienzfrakturen denken lässt.
Für die Theorie einer verzögerten Knochenbruchheilung spricht weiterhin die Tatsache, dass die meisten Refrakturen innerhalb der ersten 4 Monate nach der Implantatentfernung auftreten [6, 28, 39]. Größere Knochennekrosen, Avaskularität und Infektionen sind als Risikofaktoren einer generell verzögerten Frakturheilung anerkannt und scheinen auch die Entstehung einer Refraktur zu begünstigen. So beschrieben Ochs et al. [39] in einer retrospektiven Analyse von 18 Refrakturen, dass initial in 50 % der Fälle eine zweit- bis drittgradige offene Fraktur nach Gustilo sowie in 4 Fällen ein primärer Infektverlauf vorlagen.
Während diese Risikofaktoren zum Großteil durch das initiale Trauma determiniert werden und damit nicht beeinflussbar sind, stellt die anschließende chirurgische Behandlung einen „second hit“ dar, der durch schonende Frakturreposition und Weichteilprotektion mit minimalinvasiven Verfahren und modernen Implantaten in seinem Ausmaß beeinflussbar ist. So kommen Refrakturen nach minimalinvasiven Marknagelosteosynthesen deutlich seltener vor als nach offenen plattenosteosynthetischen Versorgungen ([28]; s. auch unten unter „Intraoperative Frakturen“). Eine mögliche Ursache hierfür könnte der implantatbedingte veränderte Knochenstoffwechsel sein. In einer tierexperimentellen Studie konnten Uhtoff et al. [52] zeitgleich eine reduzierte Knochenmasse unter der Platte nachweisen, welche sich nach der Plattenentfernung wieder normalisierte.
Einen weiteren relevanten Einfluss scheint das Zugschraubenloch im Frakturbereich zu besitzen. Mit einer auf 50 % verminderten Energieaufnahmefähigkeit und reduzierter Knochenauffüllung [42] stellt es genauso wie exzentrisch gebohrte Schraubenlöcher eine Prädilektionsstelle für eine implantatassoziierte Fraktur dar [6]. Aufgrund der oben angeführten Definition der Refraktur handelt es sich hierbei allerdings – streng genommen – um eine eigene Frakturentität, die jedoch zu den gleichen Problemen und Konsequenzen wie die Refrakturen führt.
Auch die Wahl der richtigen Platte ist von wesentlicher Bedeutung. Moyen et al. [34] beschrieben 1978 eine signifikant geringere transiente Osteoporose in intakten Hundefemora unter dünnen Titanplatten im Vergleich zu dicken Chrom-Kobalt-Platten mit ähnlichem Design. Neben den verschiedenen Materialeigenschaften von Titan und Chrom-Kobalt dürfte hierfür auch die unterschiedliche Plattendicke von entscheidendem Einfluss gewesen sein. Klinische Studien ergaben hierzu passend eine gehäufte Refrakturrate am Unterarm nach Entfernung von 4,5-DCP („dynamic compression plate“) im Vergleich zu Drittelrohrplatten [3], welche jedoch im Gegenzug ein erhöhtes Pseudarthroserisiko aufwiesen [18]. Mit Einführung der mittlerweile standardmäßig verwendeten 3,5-mm-LCDC-Platte (LCDC: „low contact dynamic compression“) am Unterarm wurde ein erfolgreicher Kompromiss aus notwendiger Stabilität und tolerierbarer Rigidität gewählt.
Nicht zuletzt dürften eine verbesserte bildgebende Diagnostik mit optimaler Belichtung und Auflösung der Bilder durch digitale Röntgentechnik sowie eine Sensibilisierung der Chirurgen für das Thema Refraktur zum Rückgang dieser schwerwiegenden Komplikation geführt haben. So können verzögerte Frakturheilungen oder persistierende röntgenologisch sichtbare Knochenstoffwechselstörungen heutzutage besser detektiert werden. Dementsprechend beschrieben Kessler et al. [28] in einer retrospektiven Analyse von 28 vermeintlichen Refrakturen in 7 Fällen eine technisch inadäquate Röntgenbildaufnahme und in weiteren 19 Fällen eine unzureichende knöcherne Überbrückung. Nur in 2 Fällen konnte keine Ursache gefunden werden.
Im Folgenden werden die beiden Frakturformen (intraoperative Fraktur und Refraktur) getrennt voneinander behandelt. Während Erstere fast ausschließlich bei Nagelentfernungen auftreten, werden Refrakturen gehäuft nach Plattenentfernungen beobachtet.
Intraoperative Frakturen
Intraoperative Frakturen im Rahmen der Materialentfernung wurden bevorzugt durch ein nicht ausgereiftes Nageldesign bzw. durch technische, iatrogen bedingte Fehler während der Entfernung beschrieben (Abb. 1).
Verschiedene Autoren berichteten über hohe intraoperative Frakturraten von 6–21 % bei der Entfernung von ACE-Tibianägeln (ACE®). Als Ursache wurden die distale 5 °-Krümmung des Nagels bzw. die vorhandene Nut angeführt [24, 25, 51].
Bei den heutzutage ausgereiften Nageldesigns stellen intraoperative Frakturen an langen Röhrenknochen eine Rarität dar. Dementsprechend beschrieben Hora et al. [21] in einer retrospektiven Studie nur 1 Tibiakopffraktur bei insgesamt 460 entfernten Marknägeln im Bereich der oberen und unteren Extremität über einen Zeitraum von 11 Jahren.
Ansonsten sind iatrogene Frakturen nur bei dem Versuch des Ausschlagens von Nägeln mit versehentlich belassenen Verriegelungsschrauben [4, 16] bzw. bei zu tiefer Platzierung von retrograden Femurnägeln mit ungenügender Entfernung von knöchernen Überbauungen des distalen Nagelendes beschrieben, wodurch es beim Ausschlagen zu kondylären Abscherfrakturen kommen kann [17].
Iatrogene intraoperative Frakturen durch Plattenentfernungen stellen ebenfalls eine Seltenheit dar, werden jedoch durch die zunehmende Verwendung der winkelstabilen Platten in den letzten Jahren aufgrund der deutlich komplikationsträchtigeren Implantatentfernung an Bedeutung gewinnen [50].
Refrakturen
Nach Nagelentfernungen stellen sie eine absolute Ausnahme dar, sie scheinen vielmehr mit der Entfernung von Plattenosteosynthesen vergesellschaftet zu sein. Im Folgenden werden die langen Röhrenknochen nach Häufigkeit der Refrakturrate aufgelistet und diskutiert.
Unterarm
In diesem Bereich stellt die plattenosteosynthetische Versorgung den Goldstandard dar. Dementsprechend sind die Refrakturraten nach Plattenentfernung wissenschaftlich gut belegt, wohingegen für die Entfernung von Unterarmmarknägeln nur wenige Daten vorliegen.
In einer Studie von Weckbach et al. [55] wurde über einen mittleren Nachuntersuchungszeitraum von 18,3 Monaten nach Entfernung von 19 Unterarmnägeln ebenso keine Refraktur beobachtet, wie bei 10 entfernten Unterarmnägeln durch Hora et al. [21].
Die Entfernung von Plattenosteosynthesen am Unterarm weist mit 11–29 % das höchste Refrakturrisiko aller Lokalisationen auf [2, 20, 33]. Während Anderson et al. [2] eine zu zeitige Materialentfernung als Hauptgrund anführten, trat diese Komplikation in ihrem Kollektiv bei späterer Plattenentfernung zwischen 11 und 18 Monaten nach der Indexoperation nicht mehr auf.
Einen weiteren wesentlichen Einflussfaktor stellt die komplette Unterarmfraktur im Vergleich zur isolierten Verletzung der Ulna oder des Radius dar [10].
Aber auch das verwendete Plattendesign scheint einen relevanten Einfluss zu besitzen. So konnten Beaupre u. Csongradi [3] in einer Art Metaanalyse von insgesamt 402 Patienten mit 459 entfernten Platten am Unterarm zeigen, dass das Refrakturrisiko bei Verwendung einer Großfragment-DCP signifikant höher ist als bei Verwendung einer Kleinfragment-DCP bzw. Drittelrohrplatte [10].
Ein zusätzlicher Risikofaktor für eine Refraktur am Unterarm ist die einzeitige Plattenentfernung an Ulna und Radius [22], weshalb mittlerweile in den meisten Kliniken ein zweizeitiges Vorgehen der Materialentfernung etabliert ist.
Femur
In diesem Bereich ist die Marknagelosteosynthese als Therapieverfahren der Wahl für diaphysäre Schaftfrakturen etabliert, wohingegen Plattenosteosynthesen bevorzugt bei metaphysären und intraartikulären Frakturverläufen verwendet werden.
In größeren Kollektiven mit Entfernung von 168 antegraden und 11 retrograden Nagelosteosynthesen (ohne Follow-up-Angabe, [21]), von 50 femoralen Marknägeln (Follow-up mindestens 2 Jahre, [4]) und 109 Femurmarknägeln (Follow-up von durchschnittlich 6,39 Jahren) wurde keine einzige Refraktur beobachtet [15].
Im Gegensatz hierzu ist nach der Entfernung von Plattenosteosynthesen im Bereich des distalen Femurs eine Refrakturrate von 10–27 % beschrieben [6, 9]. Bostman [6] konnte nach Entfernung von 62 kondylären Klingenplatten zeigen, dass einer additiven interfragmentären Zugschraube eine entscheidende Bedeutung im Pathomechanismus zukommt, und er empfahl bei asymptomatischen Patienten daher keine routinemäßige Entfernung des Implantats, insbesondere bei zusätzlicher Frakturfixierung mit interfragmentären Zugschrauben.
Im Bereich des proximalen Femurs scheint die Entfernung des Osteosynthesematerials bei knöchern konsolidierten Schenkelhals- und pertrochantären Frakturen (n = 99 bzw. 5,4 je nach Studie) zu keinem erhöhten Refrakturrisiko (2 von 99 bzw. 0 von 54 Frakturen) zu führen [13, 54]. Interessanterweise ist in beiden Studien hingegen eine signifikant erhöhte Inzidenz von erneuten Frakturen am proximalen Femur der Gegenseite (15 von 99 bzw. 11 von 54) beschrieben. In einer aktuellen Studie wurde bei der Entfernung von insgesamt 17 proximalen Marknägeln bei einem Nachuntersuchungszeitraum zwischen 4 und 20 Wochen keine Refraktur beobachtet [1]. In einer weiteren Studie wurden 37 Standardgammanagel- bzw. 41 DHS-Entfernungen (DHS: dynamische Hüftschraube, [31]) genauer und implantatspezifisch untersucht. Hierbei kam es postoperativ bei 3 entfernten Gammanägeln zu Insuffizienzfrakturen des Schenkelhalses, welche aufgrund der unterschiedlichen Lokalisation zur Primärfraktur laut AO-Definition nicht den Refrakturen zuzuordnen sind. Unabhängig davon wurden keine Insuffizienzfrakturen in der Gruppe der DHS-Entfernungen beobachtet.
Dementsprechend konnten Eberle et al. [12] in einer biomechanischen Kadaverstudie keinen Unterschied der Knochensteifigkeit von intakten Femora im Vergleich zu den identischen Knochen nach Implantation und anschließender Entfernung von verschiedenen dynamischen Hüftschrauben (mit unterschiedlich großem Knochenverlust) beobachten. Dies steht im Gegensatz zu einer Kadaverstudie von Kukla et al. [31], die in Abhängigkeit des gewählten Implantats (Standardgammanagel vs. DHS) eine signifikante Reduktion der Kraft bis zur Frakturentstehung im Vergleich zum gesunden Knochen (− 40,9 % vs. − 21,1 %) messen konnten.
Zusammenfassend sollten voluminöse Schenkelhalsschrauben nur bei jüngeren Patienten entfernt werden. In diesen Fällen wird zur Reduktion der Refrakturrate bzw. zur Vermeidung einer Hüftkopfnekrose eine zusätzliche Defektauffüllung mit Knochenersatzmaterialien diskutiert [5, 31, 46, 48]. Bei den bekannten postoperativen Beschwerden durch eine nach lateral gleitende Schenkelhalsschraube bei entsprechender Frakturkomprimierung empfahlen mehrere Autoren daher eher den Wechsel gegen eine kürzere Schraube als die Implantatentfernung [31, 46].
Tibia
Hier stellt sich in Bezug auf die Refrakturrate ein weitgehend identisches Bild wie am Femur dar. Verschiedene Autoren konnten in ihren retrospektiven Studien nach Entfernung von 269 (Follow-up nicht angegeben, [21]), 50 (Follow-up mindestens 2 Jahre, [4]) und 69 Marknägeln (Follow-up von 7,4 Jahren, [16]) keine einzige Refraktur beobachten, wohingegen es in einer Studie von Leu et al. [32] nach Plattenentfernung bei 187 Patienten mit 194 diaphysären Tibiafrakturen in 2 Fällen zu einer Refraktur kam.
Humerus
Bezüglich dieser Lokalisation finden sich nur vereinzelte Beschreibungen von Refrakturen, und im eigenen Patientenkollektiv sind keine entsprechenden Fälle bekannt. Dieses liegt einerseits an der deutlich selteneren Indikationsstellung zur Implantatentfernung im Vergleich zum Unterarm mit geringerer Weichteildeckung, weshalb die Implantate dort häufiger als störend empfunden werden, andererseits an der deutlich geringeren biomechanischen Beanspruchung der oberen Extremität im Vergleich zur Last tragenden unteren Extremität.
In einer Studie von Kirchhoff et al. [30] wurden nur 79 von 226 Patienten mit plattenosteosynthetischer Versorgung von proximalen Humerusfrakturen einer Implantatentfernung zugeführt. Unter den 59 Patienten mit elektiver Plattenentfernung wurde bei einem Follow-up von 6 Monaten keine Refraktur beobachtet.
In einer retrospektiven Studien von Hora et al. [21] über Komplikationen der Implantatentfernung wurde nach Entfernung von 5 Seidel- und 17 antegraden Verriegelungsnägeln ebenfalls keine Refraktur beobachtet, wobei hier keine Angaben über das Follow-up getätigt wurden.
In einer neueren Studie von Katthagen et al. [27] fand sich bei 30 Entfernungen von proximalen Humerusplatten weder bei einem arthroskopischen noch bei einem offenen Vorgehen eine Refraktur.
Sonderfall Kind
Die Datenlage zur Materialentfernung bei Kindern ist rar. In einer aktuellen Literaturrecherche von Raney et al. [40] waren die verfügbaren Studien zu Komplikationen der Materialentfernung (zumeist Fallserien) aufgrund des geringen Evidenzlevels von maximal 4 nicht für eine Metaanalyse verwertbar.
Während die Refrakturrate bei Kindern in verschiedenen Studien bei etwa 1 % liegt, scheinen in dieser Altersgruppe iatrogene Frakturen aufgrund einer komplizierten Metallentfernung bzw. inkomplette Materialentfernungen (insbesondere nach Stabilisierung einer Epiphysiolysis capitis femoris mit Schrauben [23]) ein weitaus größeres Problem darzustellen [26, 47]. Als Ursache wurden zum Großteil das nicht optimale Design (Implantatdurchmesser) und die Materialwahl (Titan eher als Stahl) der einzelnen Implantate diskutiert [53].
In einer retrospektiven Untersuchung von 143 Kindern mit Entfernung von elastischen Titannägeln im Bereich des Unterarms (n = 49) und des Femurs (n = 94) zeigten sich in 2 Fällen eine Refraktur (jeweils am Unterarm) und in 3 Fällen ein frustraner Versuch der Materialentfernung (2-mal am Unterarm, 1-mal am Femur, [47]).
Gorter et al. [14] beschrieben ebenfalls eine Refrakturrate von 1 % nach 288 Implantatentfernungen nach konsolidierten Extremitätenfrakturen. Zwischen den einzelnen Implantaten [173-mal Kirschner-Drähte: 2 Refrakturen am Unterarm; 96-mal ESIN (elastisch-stabile intramedulläre Nagelung): je 1 Refraktur am Femur bzw. Unterarm, 19 von 40 Schrauben ohne Refraktur] wurden keine Unterschied berichtet, wobei diese Studie aufgrund der verschiedenen Implantate in unterschiedlichen Lokalisationen nur eine deskriptive Analyse erlaubt.
Vergleichbare Refrakturraten wurden auch für die Plattenentfernung am Unterarm berichtet. In einer älteren Studie konnte bei 43 Plattenentfernungen am Unterarm von 29 Patienten keine Refraktur [42] beobachtet werden. Kim et. al. [29] fanden bei 44 Plattenentfernungen bei 43 Patienten 3 Refrakturen, wobei bei einer Patientin 2 Refrakturen durch ein jeweils adäquates Trauma verursacht waren.
Als möglicher Risikofaktur für eine Refraktur konnte in einer Studie von Davids et al. [8] mit 1223 Implantatentfernungen bei 801 Kindern eine neurologische Grunderkrankung identifiziert werden, die bei allen 9 Kindern mit Refrakturen zu finden war.
Therapie der Frakturen durch Materialentfernung
Während die intraoperativen Frakturen im Rahmen der Marknagelentfernung zumeist erfolgreich konservativ behandelt wurden [24, 25, 51], wird bei Refrakturen von verschiedenen Autoren ein operatives Vorgehen bevorzugt [6, 39]. Bostman [6] beschrieb die erfolgreiche knöcherne Konsolidierung von 6 osteosynthetisch behandelten Refrakturen am distalen Femur in 5 Fällen durch eine Marknagel- und in 1 Fall durch eine Plattenosteosynthese.
Resümee
Bezüglich des empfohlenen Vorgehens handelt es sich um Expertenmeinungen mit geringem Evidenzgrad, sodass die richtige Therapiewahl weiterhin eine Einzelfallentscheidung bleibt. Die allgemeingültigen Regeln der Frakturversorgung bleiben aber bestehen, wonach instabile Frakturen einer operativen Therapie zugeführt werden sollten und stabile Frakturen inklusive Fissuren konservativ behandelt werden können.
Vermeidung von Frakturen durch Materialentfernung
Fehlermöglichkeiten, die zu einer Fraktur durch Materialentfernung führen, können bereits bei der initialen Frakturversorgung (Indexoperation) auftreten und ziehen sich im Rahmen der Implantatentfernung durch sämtlichen Behandlungsphasen, wie Indikationsstellung, Planung, Durchführung und operative Nachbehandlung [35, 56].
Zur Vermeidung einer Fraktur durch Materialentfernung sollten dementsprechend die folgenden Punkte in den einzelnen Behandlungsphasen beachtet werden, wobei sich diese Empfehlungen nahezu ausschließlich auf Expertenmeinungen stützen.
Indexoperation
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Bei winkelstabilen Plattenosteosynthesen ist die Verwendung von Drehmomentbegrenzern zwingend erforderlich, um das Risiko einer Kaltverschweißung zu minimieren.
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Während der Implantation beschädigte Schraubenköpfe sollten unmittelbar ausgetauscht werden.
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Bei Marknagelosteosynthesen ist auf eine korrekte Einbringtiefe des Implantats zu achten, um Überknöcherungen des proximalen Nagelendes zu vermeiden. Während in einer retrospektiven Studie von Gosling et al. [15] eine zu tiefe Versenkung des proximalen Nagelendes mit einer erschwerten Implantatentfernung einherging, konnte dies für fehlende Abschlusskappen nicht gezeigt werden, weshalb die Autoren in ihrer Arbeit keine generelle Verwendung von Abschlusskappen empfahlen. Jedoch kann klar gesagt werden, dass das Nagelende ohne oder mit Abschlusskappe nicht zu tief im Knochen versenkt und nach Möglichkeit mit der Knochenoberfläche abschließen sollte.
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Im Rahmen der primären Osteosynthese sollte die Frage nach einer Materialentfernung thematisiert werden, wobei eine abschließende individuelle Nutzen-Risiko-Kalkulation erst nach knöcherner Konsolidierung der Fraktur möglich ist.
Folgeoperation zur Materialentfernung
Indikationsstellung
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Die relativen und absoluten Indikationen müssen beachtet werden [35].
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Bei asymptomatischen Osteosynthesen der oberen Extremität sollten die Implantate generell nicht entfernt werden.
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Eine adäquate konventionelle Röntgendiagnostik in mindestens 2 Projektionen orthogonal zueinander ist unverzichtbar. Bei eingeschränkter Beurteilbarkeit der knöchernen Frakturkonsolidierung sollte eine ergänzende CT-Diagnostik (CT: Computertomographie) erfolgen, wobei je nach Implantat mit relevanten Artefakten gerechnet werden muss.
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Es soll keine Materialentfernung bei noch einsehbarem Frakturspalt durchgeführt werden (Abb. 2).
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Die primäre Frakturentität (offen vs. geschlossen, einfach vs. mehrfragmentär), die Versorgungstechnik (offen vs. minimalinvasiv, absolute vs. relative Stabilität der Osteosynthese) und der Heilungsverlauf (verzögerte knöcherne Konsolidierung, ggf. mit Notwendigkeit von operativen Revisionen, intermittierende nervale Symptomatik) müssen beachtet werden.
Planung der Implantatentfernung
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Eine sichere Charakterisierung des einliegenden Implantats und Vorhalten der richtigen Schraubendrehergrößen und -kopfeinsätze (Kreuz, Inbus, Stardrive) bei Plattenosteosynthesen bzw. der entsprechenden Extraktionsinstrumentarien der jeweiligen Marknagelsysteme sind unverzichtbar.
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Zusätzlich bewährte sich in unserem klinischen Alltag die Anschaffung universeller Extraktionssiebe zur Materialentfernung [37].
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Der Wahl des richtigen Operationszeitpunkts kommt entscheidende Bedeutung bei, da zu früh entfernte Implantate das Risiko einer Refraktur erhöhen [2, 43] und zu spät entfernte Implantate oft mit aufwendigeren Operationen und der Gefahr von iatrogenen intraoperativen Frakturen einhergehen können [11, 28].
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In speziellen Fällen, wie den Unterarmfrakturen, sollte ein zweizeitiges Vorgehen bei der Implantatentfernung gewählt werden, um das Risiko einer Refraktur zu reduzieren [22].
Durchführung
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Bei der Entfernung von Plattenosteosynthesen wird empfohlen, die knöchernen Plattenränder zu belassen, um die periostale Versorgung des Knochens nicht zu kompromittieren und die Knochenstabilität (im Rahmen des Remodellings) zu erhalten [22].
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Auch knöcherne Osteophyten sollten nur entfernt werden, wenn sie zu mechanischen Einschränkungen oder potenziellen Weichteilirritationen führen.
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Sollte intraoperativ eine inkomplette knöcherne Konsolidierung festgestellt werden, empfahlen Kessler et al. [28] weder eine Reosteosynthese noch eine postoperative Immobilisation mit Casts, da diese Frakturen nach der Implantatentfernung zumeist zügig ausheilen. Es wurde allenfalls eine temporäre Belastungsreduktion vorgeschlagen.
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Beim Ausschlagen von Nägeln sollen keine Rotationskräfte angewendet werden, sondern nur axiale Bewegungen, um das Risiko von Torsionsbrüchen zu reduzieren.
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Bei komplizierter Implantatentfernung können komplett intraossär liegende Implantatanteile belassen werden, um so einen nicht verhältnismäßigen Flurschaden und ein potenziell steigendes Refrakturrisiko zu vermeiden.
Nachbehandlung
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In den ersten 6 Wochen nach Materialentfernung sind Belastungsspitzen zu vermeiden. Hierbei sollte der Patient insbesondere keine Drehbewegungen über dem Standbein durchführen, an welchem die Implantatentfernung durchgeführt wurde.
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Eine Karenz von Kontaktsportarten für 3 Monate wird empfohlen.
Fazit für die Praxis
Frakturen durch Materialentfernungen spielen im Vergleich zu den anderen allgemeinen und speziellen Risiken der Implantatentfernung insgesamt eine untergeordnete Rolle. Beim Eintritt dieser Komplikation kommt es jedoch zu einer beträchtlichen Verlängerung des Behandlungsverlaufs, welcher mit diesem Eingriff eigentlich abgeschlossen werden sollte. Aus diesem Grund sind eine kritische und individuelle Indikationsstellungsstellung zur Materialentfernung sowie die Beachtung der oben aufgeführten Punkte notwendig.
Anhand der vorliegenden Datenlage sind gegenwärtig keine evidenzbasierten Empfehlungen zur Implantatentfernung abzuleiten und weitere prospektive randomisierte Studien notwendig.
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Der korrespondierende Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Zeitschrift Trauma und Berufskrankheit (2013) 15:25–32. DOI 10.1007/s10039-013-1926-9
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Gras, F., Marintschev, I., Lenz, M. et al. Frakturen durch Materialentfernungen. Trauma Berufskrankh 16 (Suppl 4), 341–348 (2014). https://doi.org/10.1007/s10039-014-2103-5
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DOI: https://doi.org/10.1007/s10039-014-2103-5