Zusammenfassung
Hintergrund
Die Versorgung komplexer dislozierter Frakturen des proximalen Humerus wird in den letzten Jahren – besonders bei älteren Patienten – immer kontroverser diskutiert. Die Frage nach der optimalen Behandlung dieser schweren Verletzung bleibt weiter ungeklärt.
Operative Therapie
Während zwischenzeitlich ein Trend zur winkelstabilen Plattenosteosynthese bestand, bewirkten zunehmend mehr Berichte über hohe Komplikations- und Revisionsraten einen Rückgang dieser Euphorie. Ein besseres Verständnis der Frakturmorphologie und prognostisch wichtiger Faktoren, z. B. der Integrität der medialen Abstützung, führten zu Weiterentwicklungen im Implantatdesign. Zusätzlich wird der Augmentation des Humeruskopfs mit Spongiosa oder Knochenersatzstoffen, die direkt oder über kanülierte Schrauben appliziert werden, sowie der intramedullären Abstützung durch Fibulatransplantate ein immer größerer Stellenwert eingeräumt. In der Primärbehandlung ist der Einsatz der Frakturprothese eher von untergeordneter Bedeutung. Die inverse Prothese dagegen erwies sich als gute und zuverlässige Alternative. Ihre Vorteile liegen v. a. in einer schnellen Schmerzreduktion und der im Vergleich zur Osteosynthese deutlich geringeren Revisionsrate.
Konservative Therapie
Sie wird in den letzten Jahren zunehmend und intensiver propagiert.
Resümee
Es bleibt anzumerken, dass die Datenlage insgesamt trotz der Häufigkeit der proximalen Humerusfraktur bei alten Patienten weiterhin unzureichend ist. Ein etablierter Therapiealgorithmus existiert nicht, die Therapieentscheidung muss individuell getroffen und auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden.
Abstract
Background
Treatment of complex dislocated fractures of the proximal humerus has been contoversially discussed in recent years, particularly for elderly patients. The question of the optimal treatment of this severe injury remains unanswered.
Operative therapy
Although there was a temporary trend towards angled locking plate osteosynthesis, the euphoria was dampened by several reports of high complication and revision rates. A better understanding of fracture morphology and important prognostic factors, such as the integrity of medial support, led to further developments in implant design. In addition, augmentation of the humeral head with spongiosa or bone substitute material which can be applied directly or via cannulated screws as well as intramedullary support by fibula transplantation are gaining in importance. In the primary treatment the use of fracture prostheses plays a more subordinate role. In contrast inverse prostheses have proven to be good and reliable alternatives. The advantages are mainly in rapid reduction in pain and a much lower revision rate in comparison to osteosynthesis.
Conservative therapy
In recent years conservative therapy has been increasingly and more intensively propagated.
Conclusion
It must be noted that despite the frequency of proximal humeral head fractures in elderly patients, the available data are still insufficient. An established therapy algorithm does not exist, decisions concerning therapy must be individualized for each case and adapted to the requirements of patients.
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Epidemiologie und Ätiologie
Die proximale Humerusfraktur ist neben den Frakturen der Wirbelsäule, des proximalen Femurs und des distalen Unterarms die vierthäufigste Fraktur des alten Patienten [13, 68]. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist – analog zur steigenden Inzidenz von hüftgelenknahen Frakturen [44] – von einer weiteren Zunahme der Fallzahlen bei einer immer älter werdenden Bevölkerung auszugehen [52]. Bereits 1989 lag die Inzidenz von Humeruskopffrakturen bei über 70-jährigen Frauen bei 400/100.000/Jahr [43], in neueren Studien bei über 80-jährigen Frauen wird von etwa 1150 Frakturen/100.000/Jahr ausgegangen [53].
Court-Brown et al. [12] konnten eine sich verdoppelnde Inzidenz mit jeder Lebensdekade bei weiblichen Patienten über 40 Jahren nachweisen. Die Folgen für die Patienten können weitreichend sein: Aus einer prospektiven Studie an geriatrischen Patienten ging hervor, dass 17 % derselben nach einer proximalen Humerusfraktur ihren Haushalt aufgeben mussten und 10 % innerhalb der ersten 4 Monate nach dem Trauma verstarben [15]. Durch den nur eingeschränkt möglichen Gebrauch von Gehhilfen steigen auch das Sturzrisiko und damit verbunden die Gefahr weiterer Frakturen.
Bemerkenswertes Ergebnis einer landesweiten Studie in Finnland ist, dass sich die Anzahl der operativ versorgten proximalen Humerusfrakturen zwischen 1987 und 2009 vervierfachte [31].
Während bei jungen Patienten häufig Hochrasanztraumen und Stürze aus großer Höhe ursächlich für Frakturen des proximalen Humerus sind, resultieren diese beim geriatrischen Patienten aus Niedrigenergietraumen wie z. B. dem Sturz zu ebener Erde. Ursächlich hierfür sind die erhöhte Sturzneigung und v. a. die herabgesetzte Knochenqualität. Neben dem Einfluss auf die Entstehung einer solchen Verletzung ist die Knochendichte auch maßgeblich für das Outcome nach operativer Versorgung einer proximalen Humerusfraktur verantwortlich: So konnten Krappinger et al. [41] in einer CT-kontrollierten (CT: Computertomographie) Studie zeigen, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen geringer Knochendichte und schlechtem Outcome nach operativer Versorgung einer proximalen Humerusfraktur besteht. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass nur etwa 6 % der Patienten, die aufgrund einer solchen Fraktur ärztlich behandelt wurden, im Verlauf auch eine adäquate Osteoporosetherapie erhielten [42].
Mit steigendem Alter nimmt nicht nur die Inzidenz, sondern auch die Komplexität der Verletzung zu. 3- und 4-Fragment-Frakturen finden sich bei über 70-Jährigen in 70 % der Fälle. In Verbindung mit der verminderten Knochenqualität erschwert dies die Therapie zusätzlich und stellt höhere Anforderungen an den behandelnden Chirurgen sowie – im Falle einer operativen Versorgung – das verwendete Implantat.
Klassifikation
Die gängigste und im klinischen Alltag am weitesten verbreitete Klassifikation ist die nach Neer [48], die auf der 4-Segment-Therorie von Codman [11] basiert. Je nach Beteiligung der entsprechenden Strukturen (Kalotten-, Schaft-, Tuberculum-majus- und Tuberculum-minus-Fragment) wird in 2- bis 4-Fragment-Frakturen differenziert. Nach Neer [48] gilt eine Fraktur als disloziert, wenn eine Abkippung ≥ 45 ° bzw. eine Dislokation ≥ 1 cm vorliegen. Diese Kriterien wurden zunehmend enger gefasst, sodass eine Ad-latus-Dislokation ≥ 5 mm und eine Abkippung ≥ 30 ° zumindest bei nichtgeriatrischen Patienten nicht mehr toleriert werden sollten. Nichtdislozierte Frakturen werden als „one-part-fracture“ bezeichnet. Weiterhin werden in der Neer-Klassifikation Luxationsfrakturen unterschieden. Head-Split-Frakturen sind dagegen in dieser Einteilung nicht berücksichtigt.
In Bezug auf den Grad der Dislokation ist zu beachten, dass eine geringe Änderung der Rotation des Arms bereits zu einer deutlich veränderten Darstellung im konventionellen Röntgenbild führen kann, sodass die Dislokation der Fragmente schnell unterschätzt wird.
Die 4-Fragment-Theorie nach Codman [11] wurde um ein weiteres Fragment im Bereich des Tuberculum majus erweitert, das die unterschiedlichen Ansätze der Mm. supra- et infraspinatus berücksichtigt. Der Zug dieser Muskeln kann zu einer weiteren Fraktur innerhalb des Tuberkels führen [42].
Die AO-Klassifikation (AO: Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) mit insgesamt 27 Untergruppen ist zwar sehr detailliert, jedoch in der klinischen Praxis wenig verbreitet.
Eine deskriptive Klassifikation, mit der das zusätzlich Risiko einer avaskulären Nekrose abgeschätzt werden kann, wurde von Hertel et al. [28]eingeführt. Analog zu den 4 Segmenten werden die Frakturverläufe im Legosteinprinzip dargestellt, und 7 Zusatzfragen mit prognoserelevanten Kriterien ergänzen dieses Konzept („binary description system“).
Majed et al. [45] zeigten allerdings 2011 in einer Studie, dass die Interobserverreliabilität der oben angeführten Klassifikationen nur gering ist und forderten daher die Einführung einer neuen Klassifikation mit höherer Reliabilität.
Prognostisch wichtige Faktoren
Knochendichte
Die Osteoporose hat einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung und die Prognose einer proximalen Humerusfraktur [40, 41]. Zusätzlich sind anatomisch lokalisationsabhängige Unterschiede der Knochendichte im Humeruskopf zu beachten: Typischerweise finden sich in allen Altersstufen Zonen mit höherer Knochendichte medial und posterosuperior in den subchondralen Schichten [25]. Diese Tatsache ist v. a. für die Positionierung der Kopfschrauben bei der operativen Versorgung mit winkelstabilen Plattensystemen von Bedeutung. Diese sollten möglichst subchondral, jedoch ohne Perforation der Kalotte platziert werden [7]. Krappinger et al. [41] konnten 2011 in einer klinischen Studie nachweisen, dass eine herabgesetzte Knochendichte mit einem höheren Risiko für ein Implantatversagen nach Versorgung einer proximalen Humerusfraktur assoziiert ist.
Gefäßversorgung, Fragmentdislokation und Frakturmorphologie
Die Kalotte wird aus den Aa. circumflexa humeri anterior et posterior mit Blut versorgt. Die A. circumflexa anterior verläuft am Unterrand des M. subscapularis in Richtung Tuberculum majus. Der größte Hauptast, der R. anterolateralis, zieht dabei lateral der langen Bizepssehne im Sulcus intertubercularis nach proximal und versorgt große Anteile des anterosuperioren und zentralen Humeruskopfs. Die A. circumflexa humeri anterior kann beim deltoideopektoralen Zugang intraoperativ gut identifiziert werden und ist auf jeden Fall zu schonen.
Der mediale Anteil des Kopfs wird von der A. arcuata (aus der A. circumflexa humeri anterior kommend) und aus Ästen der A. circumflexa humeri posterior versorgt, die am medialen Hals verlaufen. Frakturen im Bereich des anatomischen Halses gefährden die Perfusion der Kalotte daher besonders. Neuere Studien ergaben, dass bis zu 64 % des Humeruskopfs aus der A. circumflexa humeri posterior versorgt werden [29]. Die Integrität des posteromedialen Kalkars ist daher entscheidend [30].
Einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Bedeutung der Dislokation und der damit zusammenhängenden Gefährdung der Perfusion lieferte die Studie von Hertel et al. [28]: Die Länge der posteromedialen metaphysären Extension des Kalottenfragments, auch als medialer Spickel bezeichnet, korreliert mit der Perfusion des Kalottenfragments. Ebenso ist dessen Dislokationsgrad von großer Wichtigkeit, da das Periost ab einer Ad-latus-Dislokation von etwa 3 mm zu reißen beginnt, ab 6 mm Dislokation sind die Perfusion massiv kompromittiert (Zerreißung des „medial hinge“) und zusätzlich die Reposition signifikant erschwert. Die Autoren konnten zeigen, dass eine Fraktur des anatomischen Halses, ein kurzer metaphysärer Anteil am Kalottenfragment (< 8 mm) und ein zerrissener „medial hinge“ zu einem positiven prädiktiven Wert für eine Ischämie von 97 % führen [28].
Zu beachten ist weiterhin, dass nicht nur das Ausmaß der initialen Dislokation, sondern auch das operative Vorgehen und der dadurch hervorgerufene Weichteilschaden Einfluss auf die Perfusion des Kopfs und das Nekroserisiko haben.
Der Einfluss des Frakturmusters auf das Outcome ist weiterhin strittig, jedoch konnte nachgewiesen werden, dass wenig dislozierte, jedoch varisch impaktierte Frakturen nach Aufrichtung und Kirschner-Draht-Osteosynthese ein besseres Outcome als nach konservativer Therapie aufweisen [17, 42, 60]. In einer biomechanischen Studien wurde darüber hinaus nachgewiesen, dass eine Varusfehlstellung zu einer Insuffizienz der Rotatorenmanschette und erhöhten Armelevationskräften führen kann [66].
Mediale Abstützung
Neben der Bedeutung für die Perfusion des Kopfs hat die Integrität des medialen Spickels auch entscheidenden Einfluss auf die Stabilität und den Erhalt des Repositionsergebnisses nach operativer Versorgung. Fehlt die mediale Abstützung, ist eine sekundäre Reposition mit Varusfehlstellung des Kalottenfragments und Perforation der Kopfschrauben in das Glenohumeralgelenk die Folge [33].
Gardner et al. [20] wiesen erstmals nach, dass eine fehlende mediale Abstützung zu einem vermehrten Repositionsverlust führen kann. Jung et al. [34] fanden signifikant schlechtere Ergebnisse bei Patienten, die eine Fraktur mit medialer Trümmerzone aufwiesen. Zahlreiche Versuche wurden unternommen, um dieses Problem zu beheben: Neben speziellen Schrauben, sog. „medial support screws“, die von lateral kaudal aufsteigend nach kranial medial in den Humeruskopf platziert werden und dabei die schwache Metaphyse kreuzen, rückte im angloamerikanischen Raum die Augmentation mittels Fibulatransplantat in den Fokus. Insbesondere in Verbindung mit der winkelstabilen Plattenosteosynthese konnten biomechanisch deutliche Vorteile hierfür im Vergleich zur alleinigen Osteosynthese nachgewiesen werden [1, 51].
Diagnostik
Während Anamnese und klinische Untersuchung meist eindeutige Hinweise auf das Vorliegen einer proximalen Humerusfraktur liefern, stellt die konventionelle Röntgenaufnahme der Schulter in 3 Ebenen (true a.-p., axiale und y-Aufnahme) die Basisdiagnostik dar. Da sich das komplexe Frakturmuster oft erst in der Computertomographie darstellt, wird diese Untersuchung immer häufiger inklusive einer 3D-Rekonstruktion angewendet. Durch die CT lässt sich auch die Knochendichte bestimmen, die prognostisch von Bedeutung ist (s. oben).
Die Magnetresonanztomographie (MRT) kann zwar ebenfalls Informationen zum knöchernen Status liefern und hilft bei der Beurteilung der Rotatorenmanschette [64]. In der klinischen Praxis gehört diese Untersuchung aber nicht zur Standarddiagnostik, obwohl einige Autoren dies vehement fordern. Hinweise auf mögliche Pathologien im Bereich der Rotatorenmanschette kann auch die gezielte Anamnese mit Erfragen von Beschwerden der betroffenen Schulter vor dem Trauma liefern.
Obligat ist die Untersuchung von peripherer Durchblutung, Motorik und Sensibilität. Ist diese aufgrund eines reduzierten Zustands des Patienten nicht sicher möglich, ist dies ebenfalls zu dokumentieren. Zwar sind begleitende Nerven- und Gefäßverletzungen selten, sollten aber insbesondere bei Luxationsfrakturen ausgeschlossen werden.
Therapie
Trotz der weit verbreiteten und akzeptierten Meinung, dass ein Großteil der proximalen Humerusfrakturen konservativ behandelt werden kann, führten die Zunahme komplexer Frakturen und ein höherer Funktionsanspruch der Patienten zu einem Trend in Richtung operativer Versorgung. Bereits 2001 wurden in Frankreich über 50 % der proximalen Humerusfrakturen operativ versorgt [42]. Von einer weiteren Steigerung muss ausgegangen werden [59]. Die Frage nach der optimalen Versorgung komplexer proximaler Humerusfrakturen ist jedoch weiterhin nicht gelöst, und trotz der Häufigkeit dieser Verletzung ist die Evidenzlage mäßig.
Konservative Therapie
Sie ist indiziert bei stabilen Frakturen mit nur geringer Dislokation (< 5 mm, bei der isolierten Fraktur des Tuberculum majus < 2 mm). Eine dynamische Durchleuchtung mittels Bildwandler kann zur Beurteilung der Stabilität einer Fraktur beitragen und die Therapieentscheidung erleichtern. Eine geschlossene Reposition ist ebenfalls möglich, führt aber oft nicht zum gewünschten Erfolg. Die Ruhigstellung im Gilchrist-Verband ist bei der konservativen Behandlung die Methode der Wahl.
In den ersten 3 Wochen sollten lediglich Pendelübungen durchgeführt werden. Ab der 4. Woche kann die Schulter auch passiv bzw. aktiv-assistiv mit Begrenzung des Bewegungsumfangs auf 90 ° für Abduktion und Flexion beübt werden. Bei 2-Fragment- oder valgisch impaktierten Frakturen kann das Bewegungsausmaß ggf. frühzeitig gesteigert werden. Eine Freigabe sollte erst nach Abschluss von 6 Wochen erfolgen.
Regelmäßige radiologische Verlaufskontrollen sind obligat, bei sekundärer Dislokation ist eine operative Stabilisierung angezeigt. Eine längerfristige Ruhigstellung sollte beim älteren Patienten möglichst vermieden werden, da die betroffene Extremität als Navigationsinstrument und zur Sicherung des Gleichgewichts wegfällt. Weitere Sturzereignisse sind die Folge [15].
Operative Therapie
Für die operative Versorgung der proximale Humerusfraktur stehen verschiedene Implantate zur Verfügung. Generell kann zwischen kopferhaltenden Verfahren (Kirschner-Drähte, Plattensysteme und Marknägel) sowie Prothesen (Fraktur-, anatomisch, invers) unterschieden werden.
Kopferhaltende Verfahren
Minimalinvasive Verfahren
Für Techniken wie die Kirschner-Draht-Osteosynthese oder den Humerusblock nach Resch et al. [54] sind gute und exzellente Ergebnisse, auch für komplexe Frakturen, beschrieben. Bei über 70-jährigen Patienten wurde ein alters- und geschlechtsadaptierter Constant-Score von 85 % nach Therapie einer 3-Fragment-Fraktur erreicht [4]. Beim Humerusblock handelt es sich jedoch um ein technisch anspruchsvolles Verfahren, das erfahrenen Operateuren vorbehalten bleiben sollte.
Zu den etablierten Verfahren in der kopferhaltenden Therapie von dislozierten proximalen Humerusfraktur zählen v. a. die winkelstabile Platten- und die intramedulläre Nagelosteosynthese. Beide Verfahren werden häufig angewendet und führen in der Regel zu guten Ergebnissen [18, 23, 27, 36, 38, 42, 47, 49, 56, 57, 61].
Während einige Autoren die Indikation für den Marknagel v. a. bei weniger komplexen Frakturen wie der valgisch impaktierten 2-Fragment-Fraktur sehen, wird er von anderen auch bei Mehrfragmentfrakturen eingesetzt. Jedoch sind auch für den Marknagel hohe Komplikationsraten beschrieben. Sekundärer Repositionsverlust, Resorption der Tuberkel und ein sekundäres Impingement durch nicht tief genug eingebrachte Nägel machen hier einen großen Teil der Komplikationen aus. Neuere Implantate erlauben eine winkelstabile Verriegelung. Zusätzlich wird versucht, mit speziellen Klingen oder Schrauben, die von kaudolateral nach kraniomedial aufsteigend eingebracht werden, ein sekundäres Abrutschen des Kalottenfragments in die Varusfehlstellung zu verhindern (Abb. 1).
Plattenosteosynthese
Die winkelstabile Platte ist das am häufigsten eingesetzte Implantat zur operativen Therapie der Humeruskopffraktur. Einschränkend ist zu sagen, dass sie am proximalen Humerus auch bereits bei jüngeren Patienten mit nicht unerheblichen Komplikationen verknüpft sein kann. Komplikationsraten von bis zu 49 % und Revisionsraten von bis zu 14 % sind bei gemischten Patientenkollektiven beschrieben [8, 61, 63]. Den spezifischen Komplikationen [Repositionsverlust, Impingement durch zu hohe Plattenlage, Schraubenperforation (Abb. 2)] stehen die allgemeinen (Infekte, Pseudarthrosen, avaskuläre Nekrosen), beim alten Patienten begünstigt durch eine hohe Anzahl von Begleiterkrankungen, gegenüber. Aufgrund des osteoporotisch veränderten Knochens und häufig zu findenden schalenartigen Fragmenten sind die sichere Frakturreposition und -retention erschwert. Frakturheilungsstörungen mit sekundärem Repositionsverlust sind die schmerzhaften Folgen [60]. Auch im eigenen Patientenkollektiv konnte dies bestätigt werden [58]. Die intraoperativ übersehene primäre Schraubenperforation kann durch Verwendung röntgendurchlässiger PEEK-Implantate (PEEK: Polyetheretherketon) vermieden werden, die eine exakte Darstellung der Schraubenspitzen in allen Ebenen ohne Überlagerung durch die Platte ermöglichen (Abb. 3).
Vor dem Hintergrund der auf die Tuberkel und den Humeruskopf einwirkenden Zugkräfte ist die Platte an sich ein biomechanisch ungünstiges Implantat. Erst in Kombination mit Faden- oder Drahtcerclagen, die durch die Sehnenansätze der Rotatorenmanschette vorgelegt und an der Platte befestigt werden, entsteht eine Form der Zuggurtung, die die biomechanischen Eigenschaften verbessert [7]. Insbesondere bei komplexen Frakturen des proximalen Humerus mit Verlust der medialen Abstützung kommt den „medial support screws“, also den durch die Metaphyse aufsteigend eingebrachten Schrauben, eine große Bedeutung zu, vergleichbar mit der oben angeführten Klinge des Marknagels. Mit der Verwendung dieser Schrauben können das Risiko für einen sekundären Repositionsverlust gesenkt und die funktionellen Ergebnisse verbessert werden [71]. Analog zur Klinge beim Marknagel existieren neuere Plattensysteme, welche die Vorteile der winkelstabilen Platte mit einer zusätzlichen Klinge zur medialen Unterstützung verbinden (Abb. 4).
Polyaxiale Plattensysteme werden zwar vielfach verwendet und bieten Vorteile hinsichtlich der in Bezug auf die unterschiedliche Knochendichte im Humeruskopf stabilsten Schraubenpositionierung, erbrachten klinisch bisher jedoch keinen signifikanten Vorteil [6, 37, 65].
Um die Primärstabilität und Steifigkeit nach plattenosteosynthetischer Versorgung zu erhöhen und das Problem der fehlenden medialen Abstützung effektiver zu adressieren, kann auch eine zusätzliche Augmentation vorgenommen werden. Neben einer Augmentation mit autologer Spongiosa oder alloplastischen, z. T. resorbierbaren Knochenersatzstoffen (direkt oder über kanülierte Schrauben, Abb. 5) kann auch ein intramedulläres Fibulatransplantat verwendet werden. Initial von Walch et al. [67] für subkapitale Pseudarthrosen beschrieben, wird es nun auch im Rahmen der Frakturversorgung immer häufiger eingesetzt. Entsprechende biomechanische Untersuchungen lieferten viel versprechende Ergebnisse mit weniger Schraubenperforationen und geringerer plastischer Deformierung im Vergleich zur alleinigen winkelstabilen Platte [1, 51].
Operative Zugangswege für die Plattenosteosynthese
Grundsätzlich kann die plattenosteosynthetische Versorgung über den deltoideopektoralen Zugang oder über einen lateralen Deltasplit erfolgen. Während der Vorteil des Deltasplits die direkte Exposition der Fraktur insbesondere bei Beteiligung des Tuberculum majus ist, stellt der deltoideopektorale Zugang den anatomischen Zugangsweg dar, bei dem nicht transmuskulär vorgegangen werden muss. Außerdem ist das Risiko einer Schädigung des N. axillaris, der etwa 5 cm unterhalb der lateralen Akromionkante verläuft, geringer als beim Deltasplit. Das Aufsuchen des Sulcus deltoideopectoralis sollte dabei sehr sorgfältig erfolgen, um ein versehentliches Eingehen durch den Deltamuskel im klavikularen Anteil zu vermeiden. Denn die daraus resultierende Atrophie des anterioren Deltamuskels wirkt sich negativ auf das funktionelle Outcome aus und hat Folgen für eine evtl. im Verlauf notwendige Implantation einer inversen Prothese. Signifikante Vorteile im klinischen Outcome konnten bisher für keinen der beiden Zugänge ermittelt werden, der deltoideopektorale Zugang scheint aber Vorteile hinsichtlich des schonenderen Weichteilmanagements zu haben und ist im eigenen Vorgehen der Standardzugang [26, 70].
Eine Alternative zur herkömmlichen offenen Plattenosteosynthese stellt die minimalinvasive Technik dar. Hierbei wird die Platte über einen Deltasplit streng knochennah eingeschoben, nachdem der N. axillaris palpatorisch identifiziert wurde. Die Instrumentierung der Schaftschrauben erfolgt über Stichinzisionen. In einer kürzlich veröffentlichen Studie mit 100 Patienten konnte Ketterl [35] signifikante Vorteile im kurzfristigen Verlauf für diese Technik im Vergleich zur offenen Plattenosteosynthese nachweisen [35]. Operationsdauer und stationärer Aufenthalt waren kürzer, die Patienten klagten über weniger postoperative Schmerzen, und das kurzfristige funktionelle Outcome war besser. Dieser Unterschied war nach 12 Monate zwar noch nachweisbar, jedoch nicht mehr signifikant.
Endoprothetische Frakturversorgung
Headsplit- und Luxationsfrakturen des älteren Patienten gelten nach wie vor als Indikation für den endoprothetischen Gelenkersatz. Aber auch komplexe, dislozierte Mehrfragmentfrakturen können beim alten Patienten die Implantation einer Prothese – anatomisch oder invers – erforderlich machen.
Frakturprothese
Ihr Einsatz zur Versorgung der proximalen Humerusfraktur ist beim älteren Patienten von untergeordneter Bedeutung. Grund für die schlechten Ergebnisse nach Implantation einer Frakturprothese bei alten Patienten sind in erster Linie vorbestehende Schäden der Rotatorenmanschette und die fehlenden Landmarken bei der Reposition der Tuberkel sowie deren Resorption im Verlauf aufgrund der fehlenden Vaskularisierung [32, 55].
Inverse Prothesen
Aufgrund der oben geschilderten Nachteile der Frakturprothesenversorgung rückte die primäre Versorgung nicht rekonstruierbarer Humeruskopffrakturen des älteren Patienten mittels inverser Prothese immer mehr in den Vordergrund (Abb. 6). Die Vorteile dieser Technik im Vergleich zum Kopferhalt liegen v. a. in der schnellen Reduktion der Schmerzsymptomatik und der geringen Revisionsrate [46, 50].
Gallinet et al. [19] berichteten in einer vergleichenden Studie zwar von insgesamt besseren funktionellen Ergebnissen bei Patienten, die mit einer inversen statt mit einer Frakturprothese behandelt wurden, wiesen aber darauf hin, dass die Rotation der betroffenen Schulter schlechter ist als bei der Frakturprothese. Die Refixation der noch vorhandenen Rotatorenmanschette bzw. Tuberkel an die Prothese kann zu einer ausreichenden Rotationsfähigkeit führen, sodass die Patienten im Alltag gut zurechtkommen. In einer aktuellen Studie konnten Boyle et al. [5] darüber hinaus zeigen, dass Patienten, die mit einer inversen Prothese versorgt wurden, nach 5 Jahren signifikant bessere Ergebnisse im „Oxford shoulder score“ erreichten als Patienten, die mittels Hemiprothese behandelt wurden.
Im Langzeitverlauf ist bei der inversen Prothese aber ebenfalls mit Komplikationen zu rechnen, die wenige Rückzugsoptionen bieten: Cazeneuve u. Cristofari [10] ermittelten in ihrem Kollektiv einen durchschnittlichen absoluten Constant-Score von 53 Punkten nach 6,6 Jahren und sahen eine radiologisch nachgewiesene Lockerung der Glenoidkomponente in 63 % der Fälle. Bufquin et al. [9] fanden einen durchschnittlichen normierten Constant-Score von 66 % bei Patienten, die bei 3- oder 4-Fragment-Fraktur mittels inverser Prothese behandelt wurden. Revisionseingriffe nach inverser Prothese sind sehr komplex, eine Wiederherstellung der Funktion nach Implantatversagen kaum möglich. Aufgrund dieser Ergebnisse sollte die inverse Prothese daher bei Patienten unter 65 Jahren nur in Ausnahmefällen verwendet werden. Beim alten Patienten stellt sie jedoch eine gute Alternative zur Osteosynthese dar.
Datenlage
Konservativ vs. operativ
Diese Frage ist weiterhin nicht abschließend geklärt. Fakt ist jedoch, dass die osteosynthetische Versorgung komplexer proximaler Humerusfrakturen mit hohen Komplikations- und Revisionsraten einhergeht. Besseren funktionellen und radiologischen Ergebnissen stehen Revisionsraten um 30 % in einem multimorbiden Patientenkollektiv gegenüber [8, 47, 58, 60, 61]. Fjalestad et al. [16], eine norwegische Arbeitsgruppe, publizierten 2011 eine prospektiv-randomisierte Studie, in der die Ergebnisse nach winkelstabiler Plattenosteosynthese mit denen der konservativen Therapie bei Patienten mit einem Mindestalter von 60 Jahren zum Zeitpunkt der Fraktur verglichen wurden. Bei den operativ versorgten Patienten wurde nach der Osteosynthese ab dem dritten postoperativen Tag mit der funktionellen Beübung begonnen, die konservativ behandelten Patienten wurden, nachdem ggf. bei Fragmentverschiebungen um 50 % des Schaftdurchmessers eine geschlossene Reposition durchgeführt wurde, zunächst für 14 Tage immobilisiert, bevor mit der funktionellen Beübung begonnen wurde. Nach 12 Monaten konnten keine signifikanten Unterschiede im funktionellen und patientenbasierten Outcome gefunden werden. Die operativ behandelten Patienten zeigten lediglich radiologisch bessere Ergebnisse. Langzeitergebnisse liegen noch nicht vor.
Unter Beteiligung der AO wurden 2 multizentrische, jedoch einarmige Beobachtungsstudien zur operativen Therapie mittels winkelstabiler Plattenosteosynthese bzw. konservativen Therapie nach proximaler Humerusfraktur durchgeführt [24, 62]. Die Ergebnisse dieser Studien sind leider nur bedingt vergleichbar, da unterschiedliche Klassifikationen und Outcomeparameter verwendet wurden. Zusammenfassend zeigte sich bei eingeschränkter Vergleichbarkeit kein signifikanter Unterschied im Hinblick auf das funktionelle Outcome. Allerdings traten in der operativ behandelten Gruppe häufiger Komplikationen auf (34 % vs. 28,8 %).
Auch wenn die Datenlage bisher nicht ausreichend ist, scheint die konservative Therapie aktuell keine signifikanten Nachteile gegenüber der plattenosteosynthetischen Versorgung aufzuweisen.
Platten- vs. Marknagelosteosynthese
Grundsätzlich lässt sich im Vergleich beider Verfahren keine eindeutige Überlegenheit eines Implantats feststellen. Die Marknagelosteosynthese ist mit einer kürzeren Operationsdauer bei jedoch signifikant längerer Durchleuchtungszeit verbunden [39]. Hinsichtlich der funktionellen Ergebnisse scheint die Plattenosteosynthese bei 4-Fragment-Frakturen mit besseren Resultaten vergesellschaftet zu sein, während sich bei 2- und 3-Fragment-Frakturen keine signifikanten Unterschiede feststellen lassen [22, 39]. Weiterhin zeigte die Auswertung einer Multicenterstudie mit 151 eingeschlossenen Patienten, die mittels proximalem Humerusnagel versorgt wurden, signifikant schlechtere Ergebnisse bei Frakturen mit Gelenkbeteiligung [3].
Osteosynthese vs. Prothese
Vereinfacht dargestellt ist die Osteosynthese proximaler Humerusfrakturen beim alten Patienten im Vergleich zur endoprothetischen Versorgung mit besseren funktionellen Ergebnissen bei jedoch deutlich höheren Revisionsraten assoziiert [2, 14, 21]. So muss die Entscheidung für das operative Vorgehen mit dem Patienten besprochen und an dessen Bedürfnisse angepasst werden. Das höhere Risiko für eine Revision muss ebenso erläutert werden wie die funktionellen Einschränkungen, die sich nach Versorgung mit einer Prothese ergeben können, insbesondere die eingeschränkte Rotation nach Implantation einer inversen Prothese.
Resümee und eigenes praktisches Vorgehen
Das Problem der komplexen proximalen Humerusfraktur beim alten Patienten kann weiterhin nicht als gelöst betrachtet werden. Die aktuelle Literatur ist nach wie vor nicht ausreichend, um ein standardisiertes Vorgehen zu entwickeln. Die Entscheidung für die jeweilige Behandlungsform muss auf die Bedürfnisse und die funktionellen Ansprüche des Patienten abgestimmt werden.
Im eigenen Vorgehen wird weiterhin auch bei osteoporotischen 3- und 4-Fragment-Frakturen die Osteosynthese mittels winkelstabiler Platte favorisiert. Entscheidend ist die Wiederherstellung der medialen Abstützung unter Verwendung der „medial support screw“ nach erfolgreicher Reposition. Die Augmentation mit Knochenersatzstoffen direkt oder über kanülierte Schrauben kommt dabei zunehmend zur Anwendung.
Komplexere Frakturen, die nicht rekonstruiert werden können, werden ebenso wie Head-Split- und Luxationsfrakturen bei Patienten > 65 Jahren mit einer inversen Prothese versorgt. Die Frakturprothese wird bei älteren Patienten kaum verwendet. Gering dislozierte Frakturen (< 5 mm Versatz, < 30 ° Abkippung) können konservativ behandelt werden, sofern der Patient keine frühfunktionelle Beübung nach primär übungsstabiler Osteosynthese wünscht.
In der Behandlung von Frakturfolgen und Komplikationen nach primärer Osteosynthese werden mit der inversen Prothese im weiteren Verlauf gute Ergebnisse erzielt [69].
Fazit für die Praxis
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Osteoporotische Frakturen können – ggf. unter Einsatz von Knochenersatzstoffen – mittels winkelstabiler Platte oder Marknagel versorgt werden, wobei die Wiederherstellung der medialen Abstützung nach erfolgreicher Reposition entscheidend ist.
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Nicht rekonstruierbare komplexere Frakturen, Head-Split- und Luxationsfrakturen bei Patienten > 65 Jahren werden mit einer inversen Prothese versorgt.
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Die Frakturprothese wird bei älteren Patienten kaum verwendet.
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Gering dislozierte Frakturen können konservativ behandelt werden, sofern der Patient keine frühfunktionelle Beübung nach primär übungsstabiler Osteosynthese wünscht.
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Frakturfolgen und Komplikationen nach primärer Osteosynthese können mit der inversen Prothese mit guten Ergebnissen behandelt werden.
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Interessenkonflikt. B. Schliemann, M.J. Raschke, C. Theisen, C. Kösters und A. Weimann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren. The supplement containing this article is not sponsored by industry.
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Schliemann, B., Raschke, M., Theisen, C. et al. Die osteoporotische Humeruskopffraktur. Trauma Berufskrankh 16 (Suppl 1), 98–106 (2014). https://doi.org/10.1007/s10039-013-2030-x
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DOI: https://doi.org/10.1007/s10039-013-2030-x
Schlüsselwörter
- Älterer Patient
- Humeruskopf, Verletzungen
- Osteoporose
- Operative Therapieverfahren
- Konservative Behandlung