Zusammenfassung
Die Physiotherapie nach operativer Wirbelsäulenstabilisierung verfolgt das Ziel, die aktive Aufrichtung, die posturale Steuerung und Beweglichkeit des Rumpfs und der Wirbelsäule wiederherzustellen. Die Funktionen sollen in Alltagsbewegungen integriert und die Selbstständigkeit des Patienten wieder erreicht werden. Hierzu ist eine detaillierte Behandlungsplanung auf der Basis umfassender Informationen des Operateurs sowie der physiotherapeutischen Befunderhebung erforderlich. Trotz Behandlungspfaden sind diese individuellen Gesichtspunkte Basis einer gezielten, funktionsbezogenen und schonenden Physiotherapie. Nach der physiotherapeutischen Behandlung in der stationären Akutphase von 1–2 Wochen folgt eine Phase mit ambulanter Physiotherapie von der 3.–8. Woche. An diese können sich eine erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) oder eine berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung (BGSW) anschließen. Meist kann ab der 13. Woche eine Arbeitserprobung angedacht werden. Voraussetzung für eine effektive Therapie ist eine gemeinsame Strategie der Behandlung zwischen Operateur und Physiotherapeut.
Abstract
The aim of physiotherapy following spinal stabilization is to restore active straightening, posture control, as well as trunk and spinal mobility. The functions should be integrated in everyday movements and patient independence should be regained. To this end, a detailed treatment plan based on comprehensive information from the surgeon, as well as physiotherapeutic findings, is required. In spite of treatment pathways, these individual principles form the basis of a targeted, function-specific and sparing physiotherapy. The 1- to 2-week period of physiotherapeutic treatment during the acute in-patient phase is followed by a 3- to 8-week phase of out-patient physiotherapy. This can be followed by further out-patient physiotherapy or an approved in-patient follow-up treatment. Generally, a trial return to work can be considered from week 13. A prerequisite of effective treatment is a joint treatment strategy between surgeon and physiotherapist.
Verletzungen der knöchernen Strukturen der Wirbelsäule mit Instabilitäten werden in der Regel operativ stabilisiert. Dies erlaubt eine zügige Mobilisation des Verletzten unter Berücksichtigung der eingeschränkten Belastbarkeit. Die aktive muskuläre Stabilisierung der Wirbelsäule und des Rumpfs soll in der knöchernen Konsolidierungsphase den Heilungsprozess einerseits sichern, andererseits durch dosierte Belastung fördern und stimulieren.
Bei den häufigsten Verletzungen im unteren Thorakal- und Lumbalbereich finden sich für die Stabilisierung der Wirbelsäule muskuläre Verbindungen vom Becken zum Thorax in ventraler, lateraler und dorsaler Anordnung. In der Gesamtheit von tiefen und oberflächlichen Schichten in vertikaler, diagonaler und zirkulärer Zugrichtung bieten sie bei homogener Koordination und Kraft der beweglichen Wirbelsäulenstruktur dynamische Stabilität.
Operative Eingriffe nach Frakturen der Wirbelsäule mit resultierender Instabilität streben die Wiederherstellung der knöchernen Statik an. Sie erfolgen bei:
Frakturen mit Beteiligung der Wirbelhinterkante
starker Deformierung des Wirbelkörpers
neurologischer Symptomatik
Die Physiotherapie verfolgt in der konservativen sowie postoperativen Behandlung das Leitziel, die aktive Aufrichtung, die posturale Steuerung und Beweglichkeit des Rumpfs und der Wirbelsäule wiederherzustellen. Die Funktionen sollen in Alltagsbewegungen integriert, die Selbstständigkeit im Alltag und Beruf wieder erreicht werden.
Behandlungsplanung
Neben den allgemeinen Prophylaxen folgt der frühfunktionelle Therapieansatz der Vorgabe, unter Berücksichtigung der verletzen Strukturen die Mobilität aufzubauen und zügig in die Koordinationskomplexe des Alltags einzubinden. Als grundsätzliche Aufgaben der Physiotherapie ergeben sich daraus:
frühzeitige Mobilisation des Verletzen mit aktiver Stabilisierung der Wirbelsäule
Vermittlung von Alltagsbewegungen mit dynamisch stabilisierter Wirbelsäule
Aufbau der Selbständigkeit im Alltag
Wichtige Voraussetzungen hierfür sind umfassende Informationen des Operateurs zu den Fragen:
erlaubtes Bewegen der Wirbelsäule
erlaubtes Bewegen der Hüftgelenke
Korsett oder Miederversorgung
Die dorsal instrumentierte Wirbelsäule ist in der Regel sofort bewegungsstabil, nach Abschluss der Wundheilung ist sie in Grenzen belastungsstabil. In der Regel erfolgt eine korsettfreie Nachbehandlung, eine Miederversorgung wird in Ausnahmefällen, z. B. bei älteren unsicheren Patienten oder Patienten mit Osteoporose, vorgenommen.
Derartige Behandlungspfade, wie sie in unserem Haus vorliegen, erlauben eine rasche und zielgerichtete Therapie. Eine gemeinsame Strategie der Behandlung zwischen Operateur und Physiotherapie ist bei rückläufigen Liegezeiten für einen effektiven Therapieverlauf zwingend erforderlich.
Die physiotherapeutische Befunderhebung erfasst folgende Kriterien:
Schmerz
Schwellung
Reduzierte Beweglichkeit
Reflektorische Schutzschaltungen
Angst
Darmtätigkeit
Abhängig vom jeweiligen Ausprägungsgrad ergeben sich daraus die Behandlungsschwerpunkte:
Schmerzlinderung
Abschwellung
Dynamische Stabilisation
Training unverletzter Strukturen/Systeme
Koordination
Beweglichkeit
Belastungssteigerung
Therapie
Trotz Behandlungspfaden sind die individuellen Befundergebnisse Grundlage einer gezielten, funktionsbezogenen und schonenden Physiotherapie. Der Aspekt der Anleitung zum eigenständigen Arbeiten ist im Therapiekonzept integriert.
Am Anfang steht die Bewusstmachung der Haltung und der Position des Rumpfs und der Wirbelsäule. Diese kann auch unter Spiegelkontrolle geschult werden. Distanzpunkte wie Symphyse, Bauchnabel, Sternumspitze und Kinnspitze helfen, eine korrekte Sitz- und Standhaltung auch ohne Therapeut eigenständig einnehmen zu können.
Beim Training der wirbelsäulen- und rumpfumgebenden Muskulatur in verschiedenen Ausgangsstellungen wie Rückenlage, Bauchlage, hoher Sitz, Stand und Vierfüßlerstand stehen die dynamische Stabilisation, die Kraft und Mobilität der Beine sowie die Koordination „neuer“ Bewegungsabläufe im Vordergrund. Zu Letzteren zählt u. a. das Drehen im Bett in Seit- und Bauchlage. Es wird vermittelt, wie bei stabilem Rumpf mit mobilen Armen und Beine die Rotation en bloc erfolgen kann.
Aufsitzen im Bett
Es erfolgt mit stabilisiertem Rumpf über die Seitlage. Die Höhe des Betts ist so eingestellt, dass beim Sitz an der Bettkante die Beugung in den Hüftgelenken 70° nicht übersteigt, um eine Flexion der Wirbelsäule zu vermeiden.
Sitzen
Bei den Sitzgelegenheiten im Zimmer und der Stationsumgebung ist auf ausreichende Höhe zu achten. Keilkissen erleichtern die Beckenaufrichtung und die Positionierung der Wirbelsäule in Aufrichtung.
Bücken
Hier lassen sich der horizontale und der vertikale Bücktyp unterscheiden. Er wird individuell durch die unterschiedlichen Proportionen von Beinlänge zu Rumpflänge vorgegeben. Der vertikale Bücktyp überwindet beispielsweise die Höhe mit aufrechter Wirbelsäule durch die Flexion in den Beingelenken. Dieses Bückverhalten ist für diesen Bücktyp nicht nur postoperativ, sondern generell das wirbelsäulenschonende Verhalten.
Heben und Tragen
Als Regel werden das Aufheben vom Boden über den 1-Bein-Knie-Stand, das Heranführen der Last an den Rumpf und der Transport mit dem Lastgewicht im Rumpfkontakt geschult.
Die muskuläre Koordination, Kraft und Ausdauer werden kontinuierlich durch physiotherapeutische Methoden und Konzepte aufgebaut. Konzepte wie die propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation (PNF), funktionelle Bewegungslehre (FBL), Spiraldynamik usw. arbeiten stets aktiv, können verletzungsfern beginnen und enthalten Elemente der Lokomotion.
Verlauf
Der Rehabilitationsverlauf lässt sich am Beispiel berufsgenossenschaftlich Versicherter gut darstellen.
Auf eine stationäre Akutphase von 1–2 Wochen mit Physiotherapie, Anleitung zum wirbelsäulenschonenden Bewegungsverhalten und zu Eigenaktivität folgt eine Phase mit ambulanter Physiotherapie von der 3.–8. Woche.
Eine erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) kann sich für die 9.–12. Woche anschließen. Sie kombiniert Elemente der Physiotherapie, physikalischen Therapie und des medizinischen Aufbautrainings.
Alternativ gibt es die Möglichkeit zur berufsgenossenschaftlichen stationären Weiterbehandlung (BGSW). Sie hat einen noch höheren Therapieanteil pro Tag und wird um eine arbeitsplatzspezifische Ergotherapie erweitert.
In der Regel kann ab der 13. Woche eine Arbeitserprobung angedacht werden.
Innerhalb der Rehabilitationsphase (EAP, BGSW) liegt die physiotherapeutische Zielsetzung bei:
Ausbau der dynamischen Stabilisation
Arbeiten in Koordinationskomplexen
Selbstständigkeit in Alltagsbewegungen
Vorbereitung auf die beruflichen Anforderungen
Ein breites Spektrum physiotherapeutischer Techniken, Methoden und Konzepte kommt dabei zum Einsatz. Abhängig vom individuellen Ausbildungsstand und gemäß den Zulassungsbedingungen für die Durchführung der EAP/BGSW kommen PNF, FBL, manuelle Therapie, die Vojta-Methode oder Spiraldynamik zum Einsatz.
Die Eigenaktivität des Patienten wird in der täglichen Dauer in höherem Umfang eingefordert. Unterstützend erfolgen Behandlungen in der Gruppe in der Sporthalle oder im Bewegungsbad. Muskuläre Defizit werden im medizinischen Aufbautraining mit einem persönlichen Trainingsplan gemindert.
Fazit
Bei einem derartigen umfassenden Therapiekonzept mit klaren Abläufen ist mit einer raschen und nachhaltigen Integration in Alltag, Freizeitsport und Beruf zu rechnen.
Literatur
Ekkernkamp A, Schmidt J (2007) Standards für Heilverfahren und Rehabilitation. VBG, Hamburg
Hüter-Becker A, Dölken M (Hrsg) (2005) Physiotherapie in der Traumatologie/Chirurgie. Thieme, Stuttgart New York
Hüter-Becker A, Dölken M (Hrsg) (2005) Behandeln in der Physiotherapie. Thieme, Stuttgart New York
Wülker N (Hrsg) (2005) Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart New York
Interessenkonflikt
Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Belzl, H. Physiotherapie nach operativer Stabilisierung von Wirbelsäulenverletzungen. Trauma Berufskrankh 14 (Suppl 3), 344–346 (2012). https://doi.org/10.1007/s10039-012-1852-2
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DOI: https://doi.org/10.1007/s10039-012-1852-2
Schlüsselwörter
- Operative Wirbelsäulenstabilisierung
- Physiotherapie
- Behandlungsplanung
- Behandlungspfad
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit