Der Erfolg der Unfallversicherung beruht auf einem weiteren Prinzip: Prävention, Rehabilitation und Entschädigung, alles aus einer Hand, ohne Schnittstellenverluste …

betonte Frau Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, anlässlich des Festaktes der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (DGUV) zum 125-jährigen Bestehen der gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland am 15.09.2010 in Berlin. Neben dem klassisch deutschen Prinzip der Selbstverwaltung hätte sich das Alles aus einer Hand hervorragend bewährt sowie international vielfältig Nachfolger gefunden. Seit die Unfallversicherung im Jahre 1925 zum ersten Mal die Berufskrankheiten in ihr Aufgabengebiet integrierte, stellt auch die Entschädigung von Berufskrankheitsfolgen eine ihrer bedeutungsvollen Aufgaben dar. Vor diesem Hintergrund sind auch die Anstrengungen der DGUV zu sehen, im Laufe der letzten Jahre eine Vielzahl von Empfehlungen zur Begutachtung von Berufskrankheiten zu erarbeiten.

Bis zum Jahr 2008 waren Begutachtungsempfehlungen für Berufskrankheitenen von den Spitzenverbänden der gesetzlichen Unfallversicherung gemeinsam mit Experten aus den jeweils relevanten medizinischen Fachgebieten erarbeitet worden (z. B. Königsteiner Merkblatt, Reichenhaller Merkblatt von 2006). Angeregt durch die Sozialgerichtsbarkeit – um der gelegentlichen Kritik von angeblich interessengeleiteter Beeinflussung entgegenwirken zu können – achtet die DGUV seitdem insbesondere darauf, dass die medizinischen Experten durch die jeweils zuständigen Fachgesellschaften benannt werden und dass die fertig gestellte Gutachtenempfehlung nochmals mit den jeweiligen Fachgesellschaften abgestimmt wird. Idealerweise erstellen die beteiligten medizinischen Fachgesellschaften eine Begutachtungsleitlinie nach AWMF-Kriterien (AWMF: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften). Die Gutachtenempfehlung der DGUV richtet sich dann im medizinisch-wissenschaftlichen Gebiet nach dieser wissenschaftlichen Leitlinie, muss aber darüber hinaus interdisziplinär medizinische und rechtliche Fragen der Begutachtung klären sowie insbesondere das relevante Wissen aus der Leitlinie mit Bezug auf konkrete Sachverhaltenskonstellationen der Berufskrankheitenbegutachtung bündeln. Neben den beteiligten medizinischen Fachgesellschaften wirkt die Vereinigung Deutscher Staatlicher Gewerbeärzte an der Gutachtenempfehlung mit. Vor Publizierung der Begutachtungsempfehlung erfolgt eine Erörterung mit den betroffenen Organisationen (Gewerkschaften- und Arbeitgeberverbänden, Selbsthilfegruppen usw.). Dadurch werden neben der gesetzlich vorgeschriebenen Gleichbehandlung aller Versicherten auch hinreichend Transparenz und Akzeptanz geschaffen.

Die fertig gestellte Bochumer Empfehlung, welche in der laufenden Begutachtungspraxis bereits umgesetzt wird, wird in der vorliegenden Ausgabe ausführlich dargestellt. Sie basiert auf der aktuell veröffentlichten AWMF-Leitlinie Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose). Die bisherige Basis der Silikosebegutachtung, die so genannte Moerser Konvention, nach welcher eine Silikose erst in fortgeschrittenem Stadium zu entschädigungspflichtigen Funktionsausfällen führen konnte, ist wissenschaftlich nicht mehr begründet. Deshalb wird nunmehr beim Nachweis einer Silikose eine umfassende kardiopulmonale Funktionsprüfung gefordert.

Die Falkensteiner Empfehlung, die durch Asbest verursachte Berufskrankheiten behandelt, wurde von der DGUV weitgehend zeitgleich mit der Entstehung der entsprechenden AWMF-Leitlinie erarbeitet, dem interdisziplinären Fachpublikum bereits vorgestellt und kann nach endgültiger Abstimmung mit den jeweiligen medizinischen Fachgesellschaften publiziert werden.

Das neue Bamberger Merkblatt wird von P. Elsner, Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum Jena und Abteilung für Berufsdermatologie, BG-Klinik Falkenstein, behandelt. Hier wird erstmals beruflich verursachter Hautkrebs ausführlich betrachtet. Von P. Elsner und O. Blome werden in der vorliegenden Ausgabe darüber hinaus umfangreiche Überlegungen zur Prävention von beruflich bedingtem Hautkrebs vorgestellt.

Jeder Arzt oder Zahnarzt muss den begründeten Verdacht auf eine Berufskrankheit zur Anzeige bringen. (SGB VII)

Sehr ausführlich werden von S. Straube und H. Drexler, Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, die 5 neuen Berufskrankheiten vorgestellt, die 2009 in die derzeit aktuelle Berufskrankheitenverordnung aufgenommen wurden:

  • Erkrankungen des Blutes, des Blut bildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol (Nr. 1318 zur Anlage der BKV)

  • Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 h und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt 1 h pro Schicht (Nr. 2112 der Anlage zur BKV)

  • Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(µg/m3) ×Jahre] (Nr. 4113 der Anlage zur BKV)

  • Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50% nach der Anlage 2 entspricht (Nr. 4114 der Anlage zur BKV)

  • Lungenfibrose durch extreme und langjährige Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen – (Siderofibrose) (Nr. 4115 der Anlage zur BKV)

In ihrer Rede anlässlich des 125-jährigen Bestehens der Gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland erwähnte Frau Ministerin von der Leyen ausdrücklich, dass die permanenten Veränderungen der Arbeitsstrukturen die Unfallversicherung prägen.

Ich nenne hier nur Stichworte wie Leiharbeit, Teilzeit-, Telearbeit oder Projektarbeit. Wenn ich dazu noch die Verdichtung von Arbeitsprozessen erwähne... belegt das alles die Modernität unserer Gesellschaft.

Verwiesen wurde auch auf unsere alternde Gesellschaft. Genau mit diesem Thema befasst sich die interessante Arbeit Probleme am Arbeitsplatz Krankenhaus – Identifikation mittels eines Evaluationstools von W. Fischmann, J. Kiesel und H. Drexler, Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin (IPASUM), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Aufgrund der Herausforderungen, welche der demografische Wandel und die zunehmende Belastung am Arbeitsplatz mit sich bringen, wird betriebliches Gesundheitsmanagement zunehmend an Bedeutung gewinnen. Um dieses effizient zu etablieren, ist die Evaluation von Problemen am Arbeitsplatz sinnvoll. Es wird ein Evaluationstool am Beispiel eines Klinikums vorgestellt, mit dessen Hilfe auch konkrete Verbesserungsvorschläge identifiziert werden können.

G. Wolfrum, Klinik für Berufskrankheiten, Bad Reichenhall, stellt das Krankheitsbild und die Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung vor, ein Aufgabengebiet, das die Bundeswehr und die Unfallversicherung zunehmend beschäftigt.

Interessante Anregungen bezüglich der nicht selten erforderlichen gutachtlichen Beurteilung von diabetischer Vorschädigung bei unfallbedingten Verletzungen an den Beinen geben C. Neugebauer, Klagenfurt, Österreich, und J. Berka, Universitätsklinik für Orthopädie, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg, Österreich.

Wir sehen, dass auch das Berufskrankheitengeschehen einem ständigen Wandel unterliegt. Die DGUV ist hierfür weiterhin gut gerüstet.

E. Haider, W. Raab