Zusammenfassung
Die chirurgische Behandlungsstrategie viszeraler Verletzungen im Rahmen des Polytraumas wird durch indirekte Schlussfolgerungen aus dem Unfallhergang, dem Verletzungsmuster und dem jeweils aktuellen Zustand des Verunfallten, dem Wissen um die Qualität und Wertigkeit der eingesetzten Diagnostik sowie die Verfügbarkeit chirurgischer Techniken bestimmt. Wenn irgend möglich, ist der Organerhalt anzustreben, der Einsatz minimalinvasiver Operationsverfahren sowie die Anwendung nichtoperativer Interventionstechniken sind Teil der Versorgungsstrategie, wofür ein zeitversetzter Diagnostik- und Therapieplan erforderlich sind. Es sollte laut dem Grundsatz „damage control“ vorgegangen werden, also bewusst auf eine primäre Rekonstruktion zugunsten einer postprimären Wiederherstellung von Organ- und Funktionsintegrität verzichtet werden. Im Rahmen der Versorgung von Polytraumapatienten mit Abdominalverletzungen nimmt das Konzept des „abdominellen Kompartments“ einen zunehmenden Stellenwert in der intensivmedizinischen Betreuung und in chirurgischen Behandlungskonzepten ein.
Abstract
The surgical treatment strategy for visceral injuries in the context of multiple trauma is determined by indirect deductions regarding the mechanism of injury, the injury pattern and current condition of the injured patient, knowledge on the quality and value of the diagnostic procedure used as well as the availability of surgical techniques. Whenever possible, organ preservation should be achieved; the use of minimally invasive surgical procedures as well as the implementation of non-surgical interventional techniques are an integral part of any treatment strategy, for which a staged diagnosis and therapy plan is required. The basic principle of “damage control” should be adhered to, i.e., consciously avoiding primary reconstruction in favour of full post-primary organ and function restoration. In the context of the multiple trauma patient with abdominal injuries, the “abdominal compartment” concept takes on greater significance in terms of the intensive-care approach and the surgical treatment concepts used.
Die Strategie der Behandlung abdomineller Verletzungen im Rahmen eines Polytraumas hat eine schrittweise Änderung erfahren. Ursprünglich waren die Laparotomie der einzige Zugangsweg, resektive Maßnahmen dominierend, eine unmittelbare Rekonstruktion üblich und nur in schwierigsten Situationen das Packing der Βauchhöhle opportun. Die Komplikationsbehandlung nach Primärversorgung wurde weitgehend durch die chirurgische Reintervention bewerkstelligt.
Neben Änderungen in der operativen Strategie fanden auch konservative, d. h. nichtoperative Strategien zunehmend Einzug in die Versorgung des Abdominaltraumas. Stabilisierende intensivmedizinische Maßnahmen begleiten häufiger eine Phase der abwartenden chirurgischen Beobachtung, gerinnungstherapeutische und angiographische Interventionen können z. T. klassische operative Maßnahmen ersetzen. Die posttraumatische bzw. postoperative Komplikationsbehandlung ist keine ausschließlich chirurgische Domäne mehr, sondern wird interdisziplinär von der Chirurgie zusammen mit der interventionellen Radiologie und Gastroenterolgie durchgeführt. Dieses Vorgehen reduzierte die Anzahl der Relaparotomien deutlich. Die operative Versorgungsstrategie bezieht bei geeigneter Indikation zunehmend die Option der Laparoskopie in diagnostischer und therapeutischer Intention mit ein. Kompletter Organerhalt statt Resektion oder Exstirpation gewinnt in Abhängigkeit vom Verletzungsmuster eine zunehmende Bedeutung. Das Vorgehen im Sinne eines „damage control“ verzichtet bewusst auf eine primäre Rekonstruktion zugunsten einer postprimären Wiederherstellung von Organ- und Funktionsintegrität. Die differenzierte Betrachtung der Bauchhöhle und des Retroperitoneums als eine Funktionseinheit unter pathophysiologischen Aspekten räumte dem Konzept des „abdominellen Kompartments“ einen zunehmenden Stellenwert in der intensivmedizinischen Betreuung und in chirurgischen Behandlungskonzepten ein.
Chirurgische Behandlungsstrategie
Sie wird bei viszeralen Verletzungen im Rahmen des Polytraumas durch indirekte Schlussfolgerungen aus dem Unfallhergang, dem Verletzungsmuster und dem jeweils aktuellen Zustand des Verunfallten, dem Wissen um die Qualität und Wertigkeit der eingesetzten Diagnostik sowie die Verfügbarkeit chirurgischer Techniken bestimmt.
Unfallanamnese
Der Unfallhergang erlaubt Rückschlüsse auf den potenziellen Umfang der Verletzungen und mögliche Zusatztraumatisierungen. Hierbei sind die Rasanz des Unfallhergangs, Aspekte einer Gurtfixierung und Folgeverletzungen im Rahmen penetrierender Ereignisse in Abhängigkeit von Fremdkörperform und Penetrationsrichtung zu berücksichtigen. So können im Rahmen von Hochgeschwindigkeitsdezelerationstraumen intrathorakale und intraabdominelle Abriss- und Rupturverletzungen auftreten, die mit einem massiven Blutverlust, einer sekundären Organischämie oder Hohlorganeröffnungen mit Auftreten einer Peritonitis einhergehen können. Die Länge und der Winkel zur Körperoberfläche eines penetrierenden Fremdkörpers entscheiden über die Wahrscheinlichkeit distanter Begleitverletzungen intrathorakal oder intraabdominell mit der Möglichkeit z. B. der Zwerchfelldurchdringung in beide Richtungen.
Diagnose
Die nahezu ubiquitäre Verfügbarkeit der Sonographie bei der Schockraumversorgung (FAST: „focused abdominal sonogram for trauma“), z. T. bereits am Unfallort, und auch in der Verlaufsbeobachtung im Operationssaal sowie auf der Intensivstation macht diese zu einem hocheffizienten und wiederholt verfügbaren diagnostischen Werkzeug. Ihre diagnostische Wertigkeit ist aber sowohl von der Qualität des eingesetzten Gerätes als auch der Eignung des Untersuchers abhängig. Die Wertung des Befundes muss in engem Bezug zum jeweils aktuellen klinischen Zustand des Patienten erfolgen und dabei die Limitationen der Aussagefähigkeit der Untersuchung berücksichtigen [9].
Neben der unmittelbaren Sonographie ist die zeitversetzt durchgeführte Traumaspirale im CT (Computertomogramm) diagnostischer Standard bei einem nicht wegen unmittelbarer Lebensbedrohung operationspflichtigen Verunfallten. Der Kontrastmittelaustritt („contrast blush“) ist ein unmittelbares Zeichen der blutenden Organverletzung. Nachweisbare freie Luft weist auf eine Lungen- bzw. Hohlorganverletzung hin, genau diese werden aber oft in der Traumaspirale aufgrund des noch kurzen Zeitintervalls oder der nur umschriebenen Hohlorganverletzung nicht diagnostiziert. Insbesondere rechtsseitige Zwerchfell- und Pankreasverletzungen werden in der Initialdiagnostik häufig nicht festgestellt. Hier haben das CT und die Sonographie die gleichen Limitationen [24], so zeigt das Trauma-Spiral-CT nach einem Beifahrerfrontaltrauma mit Airbag die linksseitige Zwerchfellruptur, aber nicht die zeitgleiche Jejunalperforation (Abb. 1). Umso mehr müssen bei auffälliger Klinik von der wiederholten bildgebenden Untersuchung Gebrauch gemacht werden und in Abhängigkeit vom Verletzungsmuster und Zeitablauf ergänzende Untersuchungen [z. B. ERCP (endoskopisch retrograde Cholangio-Pankreatiko-Graphie), Laparoskopie, Thorakoskopie] bzw. die diagnostische Laparotomie zum Einsatz kommen.
Entscheidung bezüglich des therapeutischen Vorgehens
Die Abwägung einer konservativen vs. operativen Versorgung abdomineller Verletzungen beim Polytrauma ist abhängig von
der aktuellen Situation des Patienten,
seinen unbeeinflussbaren Risikofaktoren und
den Voraussetzungen der Behandlungseinrichtung.
Alter und Begleitmorbidität können in Abhängigkeit von der aktuellen Situation des Patienten modulierend auf die Strategie einwirken. Der risikobehaftete Patient in unzureichend stabiler Situation weist eine geringere Anpassungsbreite auf und bedarf der rascheren operativen Intervention. Ein konservatives Vorgehen in unentschiedener Situation bedarf optimaler Voraussetzungen der Verlaufsbeobachtung im Sinne einer leistungsfähigen Intensivstation mit entsprechender Erfahrung des Chirurgen, besser noch der gesamten Einrichtung. Die 24-h-Verfügbarkeit interventioneller Optionen, insbesondere der Angiographie mit Einsatz blutstillender Techniken, ist von großer Bedeutung (Tab. 1).
Milzverletzungen
Sie werden in Abhängigkeit vom Schweregrad (AAST-Grad, AAST: American Association for the Surgery of Trauma) versorgt, wenn eine Laparoskopie oder Laparotomie aus anderen Gründen nicht erforderlich ist [18, 24].
AAST-I-/-II-Verletzungen
Sie können konservativ beobachtet werden [14, 24].
AAST-III-/-IV-/-V-Verletzungen
Bei weitgehender Kreislaufstabilität ist es möglich, AAST-III–V-Verletzungen mit einer arteriellen Embolisation in 75–85% der Fälle erfolgreich zu behandeln. Hierbei wird zwischen proximalen (A.-lienalis-Hauptstamm) und distal-selektiven (A.-lienalis-Äste 1. Ordnung) Verfahren unterschieden. Es kommen unterschiedliche Embolisate zum Einsatz (z. B. Coils, Gelfoams).
Insgesamt muss mit Minorkomplikationen (z. B. Infarkte) in bis zu 50%, mit Majorkomplikationen (Rezidivblutung mit Konservengabe, sekundäre Splenektomie) in bis zu 25% der Patienten gerechnet werden. Abszessbildungen auf dem Boden einer Nekrose werden bemerkenswerterweise in nur maximal 3% der durch Embolisation behandelten Patienten beobachtet [5, 8, 13, 19, 24].
Grundsätzlich ist der Milzerhalt das Behandlungsziel, wenn aufgrund der Begleitverletzungen und anderer notfallmäßiger Interventionen hierfür ausreichend Zeit verfügbar ist, keine komplette Organzerstörung vorliegt und die Gerinnungssituation ausreichend ist. Insbesondere zu vermutende abdominelle Monoverletzungen eignen sich für ein laparoskopisches Vorgehen (Abb. 2, Tab. 2).
Leberverletzungen
Auch bei ihnen hat insgesamt eine Trendwende von der operativen zur konservativen Behandlung stattgefunden. Während grundsätzlich die oben angegebenen Kriterien (Tab. 1) in der Abwägung einer konservativen bzw. operativen Therapie Gültigkeit haben, kann in ausgewählten Patienten der Einsatz von rekombinantem aktiviertem Faktor VIIa als medikamentöse Blutstillung erwogen werden. Diese Strategie ist Teil einer übergreifenden intensivmedizinischen bzw. intraoperativen Gerinnungstherapie, die vor Eintritt eines Faktorenverbrauchs und einer Laktazidose einsetzen muss. Kontraindikation ist insbesondere eine Hyperkoagulabilitätsbereitschaft anderer Genese, mit der Risiken für arterielle und venöse Thrombosen einhergehen [4, 11, 23].
Fallbeispiel
Im eigenen Vorgehen wurde eine 47-jährige Patientin nach einem Fahrradsturz mit Lenkerverletzung und ansonsten minoren Begleitverletzungen bei Leberruptur Moore-Grad IV (Abb. 3) bei initialer Kreislaufstabilität mit rekombinantem aktiviertem Faktor VIIa (240.000 IE Eptacog alfa) 90 min nach dem Unfallereignis therapiert. Bei einem Hämoglobinabfall von 11,2 g/dl initial auf minimal 7,2 g/dl am 8. Tag konnte auf eine Transfusion verzichtet werden. Die Diagnostik wurde am 2. posttraumatischen Tag durch eine ERCP komplettiert und ein peripheres Galleleck durch Stenteinlage drainiert. Postinterventionell erfolgte eine laparoskopische Abdominallavage zur Hämatomausräumung und Drainage. Nach einem Kontoll-CT am 12. Tag konnte die Patientin entlassen werden.
Das Fallbeispiel verdeutlicht die Notwendigkeit einer weitergehenden postprimären Diagnostik [ERC(P)] mit der Möglichkeit der interventionellen [Stenteinlage DHC (Ductus hepaticus communis)] sowie minimalinvasiven Therapie (Laparoskopie, Lavage, Drainage; Tab. 2).
Laparoskopie vs. Laparotomie
Bei der Notwendigkeit einer operativen Intervention ist die Entscheidung zwischen Laparoskopie und Laparotomie von der Kreislaufstabilität des Patienten, der diagnostischen oder therapeutischen Indikation sowie der Verfügbarkeit und Erfahrung eines geeigneten Operateurs abhängig. Durch eine Laparoskopie in erfahrener Hand kann die Negativlaparotomierate von 57% auf 6% reduziert werden, gleichzeitig wird die Rate übersehener Verletzungen („missed injury“) mit weniger als 1% angegeben.
In bis zu 83% der laparoskopischen Interventionen gelingt mit der Laparoskopie auch die Therapie der vorliegenden Verletzungen [10, 12, 20, 22]. Ähnliche Bewertungen gelten auch für die Thorakoskopie [20]. Neben der Standardoptik (10 mm, 30°) kommen bei der Laparoskopie oder Thorakoskopie auch 5-mm-Optiken zum Einsatz. In ausgewählten Fällen ist eine bettseitige Laparoskopie auf der Intensivstation durchführbar.
Grundsätzlich bedarf es einer laparoskopischen Revision der gesamten Bauch- oder Thoraxhöhle mit Inspektion des Dünndarms in ganzer Länge sowie beider Zwerchfelle. Minimalziel ist die Vermeidung einer Negativlaparotomie.
Intraoperative Blutungskontrolle
Unabhängig von der Art des Zuganges ist abhängig vom Zustand des Patienten und dem Schweregrad der Verletzung bei Milz-, Nieren- und Lungenbeteiligung immer der Organerhalt anzustreben bzw. der Umfang resektiver Maßnahmen auch bei der Leber auf ein absolutes Minimum zu begrenzen.
Milz
Blutungen der Milz können zunächst temporär durch Ausklemmung mittels Fingerkompression oder Gefäßklemme unter Vermeidung von Pankreasschwanzverletzungen reduziert werden. Um das gesamte Ausmaß der Organverletzung einsehen und ggf. ein die Milz komplett umfassendes Netz platzieren zu können, bedarf es bei manchen Verletzungen einer Mobilisation des Organs aus dem linken Oberbauch. Mitunter führen subtotale Einrisse zu partiellen Organresektionen.
Zur permanenten Blutstillung kommen Argonbeamer, kleinflächig auch der Elektrokauter, sowie Klebeverfahren und Gewebevliese zum Einsatz.
Leber
Bei der operativen Versorgung von Leberverletzungen muss zwischen dem Einsatz blutstillender, nicht übermäßig tiefgreifender nekroseinduzierender Nähte und dem des Packings abgewogen werden, was vom Umfang der Leberverletzung und dem Zustand der Gerinnungssituation im Rahmen des Gesamttraumas abhängig ist. Bei sehr starker Blutung kann eine Verbesserung der intraoperativen Übersicht durch ein Pringle-Manöver, d. h. ein Ausklemmen des Lig. hepatoduodenale mit einem breiten Bändchen, in seltenen Fällen durch die Platzierung einer stumpfen breiten Klemme gelingen. Eine Verletzung großer Venen z. B. auch in der Nähe des cavanahen Venensterns kann auch nach einem Pringle-Manöver, mit dem nur der arterielle und portalvenöse Blutstrom unterbrochen werden, zu einem schweren persistierenden Blutverlust führen, der auch ein temporäres Ausklemmen der V. cava inferior erforderlich macht. Bei einem Packing, das mit und ohne blutstillende Nähte zum Einsatz kommen kann, sollte durch Platzieren von Bauchtüchern oberhalb, unterhalb und ventral der Leber eine Kompression um die Leber unter Nutzung des starren Thoraxskelettes zustande kommen. Hierbei muss ein übermäßiger Druck auf die V. cava inferior mit Rückflussbehinderung unbedingt vermieden werden, indem das Packing die Leber nicht nach dorsal-retroperitoneal, sondern tendenziell nach ventrolateral komprimiert.
Resektionen sind auf absolut zerstörte Organanteile zu begrenzen und ggf. postprimär im Rahmen einer Second-Look-Operation, z. B. nach Entfernung eines Packings 24–48 h später vorzunehmen. Ein früheres Depacking provoziert die Reblutung, ein späteres birgt die Gefahr des abdominellen Kompartments und einer progredienten kardiorespiratorischen Einschränkung [16].
Bei großflächigen peritonealen Abscherverletzungen im Sinne einer Dekapsulierung besteht insbesondere die Gefahr der Reblutung nach Entfernung des Packings durch die Verklebung der Bauchtücher mit der Leberoberfläche. Daher kann die Verwendung einer sterilen Folie oder anderweitigen Abdeckung für die Bauchtücher (z. B. Laparoskopietüten) hilfreich sein, um diese komplikationsärmer entfernen zu können. Darüber hinaus sollten sie vor ihrer Entfernung angefeuchtet werden. Zusätzlich kann die Verwendung eines gestielten Omentumlappens für den Leberdefekt hilfreich sein, insbesondere wenn eine operative Revision im Defektbereich nicht zu erwarten ist [15].
Resümee
Insgesamt gilt der Grundsatz des „damage control“ im Sinne der Versorgung lebensbedrohlicher Blutungen sowie von Hohlorganperforationen mit ggf. zusätzlichem Packing (ohne Drainage) oder ausschließlicher Drainage und aufgeschobener sekundärer Rekonstruktion bei ggf. nur temporärem Abdominal- und Thoraxverschluss [1, 2, 6, 7, 17, 21]. Im Verlaufs- und Komplikationsmanagement sind wiederum interventionelle Maßnahmen mit sonographisch- oder CT-gezielter perkutaner Drainageneinlage sowie die ERC(P) mit Platzierung einer nasobiliären Sonde oder Stents vorrangig (Tab. 2).
Abdominelles Kompartment
Die abdominelle Verletzung in ihrer Genese, das Ausmaß der beteiligten Organe sowie der Schweregrad, die Therapie der abdominellen Verletzung sowie das Gesamtverletzungsmuster des Patienten und seine Gesamttherapie nehmen Einfluss auf die Homöostase des Bauchraums. Der Schwellungszustand der Organe, insbesondere des Darms und seines Mesenteriums, sind einerseits durch die Verletzung selbst, die Flüssigkeitsbilanz des Patienten und sein Kapillarleck beeinflusst. Andererseits bestimmen darüber hinaus die Compliance der Bauchdecke, der primäre und sekundäre intraluminale Füllungszustand des Darms sowie die extraluminale Flüssigkeitsansammlung (Blut, Sequestrierung) über die Druckverhältnisse des Bauchraums und eine dadurch bedingte Beeinträchtigung der Organfunktionen im Abdomen und Retroperitoneum. In erster Linie sind hier die Nieren- und Darmfunktion betroffen.
Während der klinische Zustand des Gesamtpatienten im Allgemeinen und des Bauchraums im Besonderen sowie die renale Ausscheidung wichtige Anhaltspunkte für das Vorliegen eines abdominellen Kompartments liefern, ist die direkte oder indirekte Druckmessung ein objektivierender Faktor, der das drohende und manifeste Kompartment anzeigt und konservative und operative therapeutische Interventionen in ihrer Effektivität objektiviert.
Das Konzept des abdominellen Kompartments ist nicht durchgehend akzeptiert, gewinnt aber in der wissenschaftlichen und klinischen Berücksichtigung eine zunehmende Bedeutung [1, 3]. Die therapeutische Konsequenz beinhaltet alle konservativen und nichtoperativen interventionellen Maßnahmen zur Flüssigkeitsbilanzierung und intra- sowie extraluminalen Sekret- bzw. Flüssigkeitsentlastung. Die operativen Maßnahmen umfassen die noch eher experimentelle laparoskopische Fasziotomie bzw. die Laparotomie mit dann unterschiedlichen Konzepten zur temporären Versorgung des Abdomens. Hierbei ist es wesentlich, primär eine dichte, pflegefreundliche sowie kontaminationsarme Versorgung und sekundär in Abhängigkeit vom Verlauf eine adäquate Technik zum Bauchdeckenverschluss einzusetzen. Im Rahmen der tertiären Versorgung ist eine innovative Technik zur definitiven stabilen Rekonstruktion der Bauchdecke erforderlich (Tab. 3).
Insgesamt wurde das Management des offenen Abdomens durch technische Innovationen verbessert, ist aber sicherlich noch nicht erschöpfend befriedigend gelöst. Gegenstand der weiteren Forschung zum abdominellen Kompartment sind der Einfluss des initialen Flüssigkeits- und Gerinnungsmanagement, die Bedeutung und der Umgang mit therapieabhängigen temporären Druckerhöhungen sowie die Evaluation relevanter prognostischer und therapiebeeinflussender Prädiktoren.
Vermeidung und Behandlung von Komplikationen
Von herausragender Bedeutung ist die postprimäre und sekundäre Vermeidung bzw. Behandlung von Komplikationen, die mit der initialen Verletzung oder ihrer primären Therapie in Zusammenhang stehen. Nach der Primärdiagnostik verbleibt das Risiko einer übersehenen Verletzung („missed injury“), dem mit einer kontinuierlichen kritischen Verlaufsbeobachtung und dem Einsatz diagnostischer Wiederholungsverfahren [klinische Untersuchung, Labor, bildgebender Verlauf (Sonographie, CT, MRT [Magnetresonanztomographie])] oder ergänzender interventioneller Techniken [ERC(P), Bronchoskopie] bzw. der diagnostischen Laparoskopie und Thorakoskopie begegnet werden muss. Viele dieser diagnostischen Maßnahmen verfügen über eine therapeutische technische Erweiterung (CT-gezielte Drainage, angiographische Intervention, Stent, nasobiliäre Sonde, Klebung), was insbesondere auch für laparoskopische und thorakoskopische Eingriffe in der Hand des in dieser Technik geschulten Chirurgen gilt, der übernähende, resektive, spülende und drainierende Verfahren einsetzt.
Nicht zu vergessen ist der sekundäre Einsatz einer differenzierten und empfehlungsorientierten Impfstrategie nach Splenektomie (Tab. 4). Beispielhaft seien die interventionelle temporäre Drainage und sekundäre Klebung bei Pankreas- und Gallenwegsfisteln genannt. So konnte eine traumatische Pankreasschwanzfistel mit temporärem Stenting zur Abflussverbesserung verkleinert und konditioniert und sekundär interventionell verklebt werden (Abb. 4). Auch zentrale und z. T. periphere Gallengangsverletzungen können durch Stenting oder nasobiliäre Sonde konditioniert und bei fehlender Abheilung sekundär verklebt werden (Abb. 5) [21].
Fazit für die Praxis
Die aktuelle Strategie bei abdominellen Verletzungen insbesondere im Rahmen des Polytraumas ist von einer differenzierten fachlichen Interaktion des Unfallchirurgen, der Anästhesie und Intensivmedizin unter besonderer Berücksichtigung der Gerinnungspathophysiologie, des in der Unfallversorgung geübten Viszeral- und Thoraxchirurgen, des interventionellen Radiologen und Angiologen sowie des Gastroenterologen geprägt. Die bereits etablierten technischen Innovationen umfassen den anzustrebenden Organerhalt, wenn immer möglich den Einsatz minimalinvasiver Operationstechniken sowie die Anwendung nicht-operativer Interventionstechniken. Für alle diese Maßnahmen bedarf es eines zeitversetzten Diagnostik- und Therapieplans. Hierbei rückt initial und sekundär die abdominelle Pathophysiologie mit dem Schlagwort „abdominelles Kompartment“ zunehmend in den Mittelpunkt.
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Vogelsang, H., Allescher, H., Leidinger, W. et al. Polytrauma. Trauma Berufskrankh 12 (Suppl 2), 176–182 (2010). https://doi.org/10.1007/s10039-010-1627-6
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