Obwohl die Behandlung chronischer Schmerzen mit Akupunktur in Deutschland verbreitet ist, wurde sie bislang noch nicht in die Therapieempfehlungen der Gonarthrose aufgenommen. Dies wurde mit einer unzureichenden Studienlage begründet. Darauf berief sich auch der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (GBA) mit seinem Beschluss vom 16.10.2000, Akupunktur als kassenärztliche Leistung in Deutschland nicht anzuerkennen. Gefordert wurde nun eine Überprüfung der klinischen Wirksamkeit mit größeren randomisierten kontrollierten Studien. Daraufhin wurden Studien für die Indikationen

  • chronische Knieschmerzen,

  • Rückenschmerzen,

  • Migräne und

  • Spannungskopfschmerz

gemeinsam von den Krankenkassen und verschiedenen Universitäten im Rahmen von Modellprojekten durchgeführt. Im Wesentlichen waren das

  • die „German Acupuncture Trials“ (GERAC) mit den Universitäten Bochum, Marburg, Mainz und Heidelberg sowie

  • die „Acupuncture Randomized Trials“ (ART) mit den Universitäten München und Berlin.

Epidemiologisch ist die Gonarthrose mit zunehmendem Alter die häufigste Gelenkerkrankung. Der schmerzhafte Funktionsverlust des Kniegelenks bewirkt eine nachhaltige Reduktion der Lebensqualität in allen Dimensionen. Durch die veränderte Altersstruktur der modernen westlichen Gesellschaften erlangt die Gonarthrose eine hohe medizinische und sozialmedizinische Relevanz [8, 11]. Derzeit bestehen die konservativen Therapieempfehlungen aus [6]:

  • Antiphlogistika (NSAR),

  • Steroiden (lokal intraartikulär),

  • SYSADOA („symptomatic slow acting drugs in osteoarthritis“),

  • therapeutischen Lokalanästhesien,

  • physikalischer Therapie,

  • Patienteninformation,

  • Reduktion des Köpergewichts und ggf.

  • orthopädietechnischen Hilfsmitteln.

Dabei bleibt die konservative Therapie einer Gonarthrose leider oft aufgrund von Nebenwirkungen oder mangelnder Compliance der Patienten unbefriedigend. Versagt sie, kann in fortgeschrittenen Krankheitsstadien ein operativer Gelenkersatz notwendig werden. Die Knieendoprothetik ist jedoch mit relevanten Operationsrisiken verbunden und hat eine begrenzte Haltbarkeit.

Akupunktur

Sie ist eine alte chinesische Behandlungstechnik, in der mit dünnen Nadeln bestimmte Punkte des Körpers stimuliert werden. Die Behandlungsprinzipien entstammen der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Seit den 1970er Jahren wird die Akupunktur in zahlreichen experimentellen und klinischen Studien mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht. Es gibt einige gut belegte Ansätze, ihre analgetische Wirkung auf neurophysiologischer Ebene zu erklären [3]. Ihre zunehmende Verbreitung in Deutschland, v. a. im Bereich der Schmerztherapie, zeigt, dass die Akupunktur von den Patienten positiv beurteilt wird. Dennoch konnten die bisher durchgeführten kontrollierten klinischen Studien aufgrund widersprüchlicher Ergebnisse noch keinen eindeutigen Nachweis einer spezifischen analgetischen Wirkung der Akupunktur über einen Placeboeffekt hinaus erbringen. Deshalb wurden in einer NIH-Konsensuskonferenz zur Akupunktur [1] weitere Studien zu ihrer Erforschung gefordert. Diese Forderung war Ausgangspunkt der Entscheidung des GBA im Jahr 2000, Akupunktur zunächst nicht als Krankenkassenleistung anzuerkennen, und somit auch der Initiierung der GERAC- und ART-Studien.

In der traditionellen chinesischen Medizin fällt die Gonarthrose in den Bereich der Bi-Syndrome. Darunter werden schmerzhafte Erkrankungen der Gelenke verstanden. Bei diesen ist das Therapiekonzept relativ einfach strukturiert und deshalb gut zu standardisieren. In erster Linie werden schmerzhafte lokale Akupunkturpunkte behandelt. Zusätzlich können zur Verbesserung des Therapieerfolgs auch Fernpunkte entsprechend der Meridianverläufe oder der individuellen Symptomatik des Patienten verwendet werden [15]. Primäres Behandlungsziel der Akupunktur liegt in der Schmerzreduktion, die sich sekundär auch positiv auf die Funktion und Beweglichkeit des Kniegelenks sowie die Befindlichkeit des Patienten auswirken kann.

German Acupuncture Trials (GERAC)

In den GERAC-Studien wurden ab 2001 in Deutschland insgesamt in etwa 10.000 Praxen mehr als 2 Mio. Patienten behandelt. Dafür wurden von den Krankenkassen AOK, BKK, IKK, Bundesknappschaft, Landwirtschaftliche Sozialversicherung und Seekasse zusammen fast 10 Mio. EUR zur Verfügung gestellt. Der überwiegende Anteil der Patienten wurde im Rahmen einer Kohortenstudie therapiert, bei der die Quantifizierung von schweren unerwünschten Wirkungen im Vordergrund stand [7]. Eingebettet in die Kohortenstudie wurden 4 kontrollierte randomisierte Studien mit je etwa 1000 Patienten zum Vergleich einer leitlinienkonformen Standardtherapie mit einer Akupunkturbehandlung nach Regeln der traditionellen chinesischen Medizin (traditionell chinesische Akupunktur: TCA) und einer Scheinakupunktur (Sham-Akupunktur) bezüglich langfristiger Wirksamkeit und Sicherheit in den Indikationen:

  • chronischer Spannungskopfschmerz,

  • chronische Migräne,

  • chronische LWS-Beschwerden und

  • chronische Schmerzen bei Gonarthrose.

Die Ergebnisse dieser Studien führten dazu, dass im Jahr 2006 vom gemeinsamen Bundesausschuss der Krankenkassen und Ärzte die Empfehlung zur Erstattung von Akupunktur bei chronischen Rückenschmerzen und bei Knieschmerzen ausgesprochen wurde.

GERAC-Gonarthrose-Studie

Mit 1039 randomisierten Patienten ist sie die weltweit größte kontrollierte Akupunkturstudie zu Knieschmerzen bei Arthrose [13]. Dabei wurden die Patienten nach Randomisierung entweder mit TCA, Scheinakupunktur oder Standardtherapie behandelt [14]. Zur Messung der Wirksamkeit bezüglich Schmerzen und Funktionseinschränkungen wurde der WOMAC (validierter Western-Ontario-and-MacMaster-Universities-Osteoarthritis-Index) eingesetzt. Dessen Werte wurden vor der Behandlung und 6 Monate danach von geschulten Interviewern verblindet erhoben. Eine Verbesserung der Scorewerte von wenigstens 36% wurde als Erfolg eingestuft [9]. Als sekundäres Zielkriterium wurde u. a. auch die Patientenzufriedenheit über den Global-Patient-Assessment-Score mittels Schulnotenbewertung erhoben.

In der Studie wurde auf die Vorgabe gleicher Rahmenbedingungen für beide Akupunkturtherapieformen besonders Wert gelegt, d. h. Ausbildungsstand der Akupunkteure, Vorgehen bei der Anamneseerhebung, Zahl, Durchmesser und Typ der Nadeln sowie Festlegung auf 10 Behandlungen mit je 20–30 min Dauer mit der Möglichkeit auf Verlängerung um 5 Behandlungen. TCA- und Scheinakupunktur unterschieden sich lediglich in der Auswahl der Punkte, die gestochen wurden, der Stichtiefe und der Stimulation. Für die TCA wurde eine Auswahl von Akupunkturpunkten vorgegeben, die entsprechend den Lehrmeinungen der großen Deutschen Akupunkturgesellschaften bei Knieschmerzen angewendet werden. Dabei wurden besonders wichtige Punkte in Knienähe festgelegt (Ma 34, Ma 36, Mi 9, Mi 10, Gb 34, Extrapunkt „Xiyan“), die immer gestochen werden sollten, sowie 20 weitere Punkte, aus denen je nach traditionell chinesischer Anamnese gewählt werden konnte. Insgesamt durften 7–15 Nadeln verwendet werden, mit einer Stichtiefe je nach Lokalisation zwischen 0,5 und 3,5 cm und einer mindestens 2-maligen manuellen Stimulation der Nadeln während der Therapie. Bei der Scheinakupunktur wurden insgesamt 10 Nadeln oberflächlich und ohne Stimulation an 5 Punkten gestochen, die keinen Akupunkturpunkten entsprechen und nicht unmittelbar am Knie, sondern im Bereich des Knöchels, der Oberschenkel und am Arm liegen (Abb. 1).

Auch in der Standardtherapie war die entsprechende Anzahl von Arztbesuchen vorgesehen. Hierbei lag der Schwerpunkt auf einer medikamentösen Therapie mit Diclofenac bis zu 150 mg/Tag oder Rofecoxib bis zu 25 mg/Tag sowie einer entsprechenden Patientenführung.

Eine Physiotherapie mit bis zu 6 Behandlungen war für alle Gruppen begleitend vorgesehen.

Abb. 1
figure 1

Scheinakupunkturpunkte am Bein (blau) und obligate TCA-Punkte (rot)

Abb. 2
figure 2

Anteil von Patienten mit Therapieerfolg nach 6 Monaten, a WOMAC-Score, b GPA

Ergebnisse

Die Erfolgsraten waren (Abb. 2 a):

  • 29% für die Standardtherapie,

  • 53% für die TCM-Akupunktur und

  • 51% für die Scheinakupunktur.

Beide Akupunkturtechniken waren damit deutlich wirksamer als die Standardtherapie, ein merklicher Unterschied zwischen den beiden Akupunkturbehandlungen zeigte sich dagegen nicht. Für die durchschnittlichen Veränderungen auf der 10-Punkt-WOMAC-Skala ergab sich – bei einem Ausgangswert von etwa 5,6 – eine Reduktion um 2,3 Punkte in der TCM-Akupunkturgruppe, von 2,1 Punkten in der Scheinakupunkturgruppe, aber nur von 1,2 Punkten in der Standardtherapiegruppe: Die Verbesserung auf der Schmerz- und Funktionalitätsskala war hier also nur etwa halb so groß wie in den Akupunkturgruppen (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Verlauf im WOMAC

Im Unterschied zu den anderen Zielparametern zeigte sich im Global-Patient-Assessment-Score auch ein signifikant besseres Ergebnis der TCA im Vergleich zur Scheinakupunktur (p<0,004) (Abb. 2 b).

Neben dieser langfristigen Verbesserung des Befindens der Patienten ist auch der wesentlich geringere Verbrauch an Schmerzmedikamenten in den beiden Akupunkturgruppen gegenüber der Standardtherapiegruppe bemerkenswert. Vergleichbaren Studien mit weiteren Therapien für die Behandlung der Gonarthrose, wie der oralen Gabe von Celecoxib [12] oder der Injektion von Hyaluronderivaten bzw. Kortikoiden ins Kniegelenk [5], zeigten im WOMAC-Score Veränderungen in der gleichen Größenordnung wie die Standardtherapiegruppe der Gonarthrosestudie. Man darf daher davon ausgehen, dass die Behandlung im Standardarm unserer Studie der allgemeinen Versorgungssituation von Patienten mit mittelschweren Knieschmerzen entspricht.

Interpretation

Die Ergebnisse unserer Studie zeigten, dass die Standardtherapie der leichten bis mittelschweren Gonarthrose mit den etablierten Behandlungsverfahren nur eine begrenzte Verbesserung der Knieschmerzen und der Gelenkfunktion leisten kann. Dieses Behandlungsergebnis kann durch die Akupunktur verbessert werden, ohne dass die Effekte für den konkreten Einzelfall quantitativ exakt prognostiziert werden können. Die Ergebnisse rechtfertigen den Einsatz der Akupunktur im Rahmen eines multimodalen Behandlungskonzepts der Gonarthrose. Wir interpretieren die beobachteten Resultate als Evidenz für eine verbesserte langfristige Wirksamkeit durch Therapiekonzepte, die Akupunktur einschließen. Allerdings zeigte die beobachtete gleiche Wirksamkeit beider Akupunkturschemata auch, dass für eine erfolgreiche Behandlung die Punktauswahl nicht zwingend nach den Kriterien der TCM erfolgen muss und wahrscheinlich ein oberflächliches Stechen ausreicht. Da diese Aussage streng genommen nur für die in der Studie gewählten Therapieschemata zutrifft, kann daraus nicht gefolgert werden, dass es unwichtig ist, wie und wohin man sticht. Betrachtet man den Erfolg im Vergleich zur Standardtherapie allein, scheint die für die GERAC-Studie definierte so genannte „Schein“-Akupunktur tatsächlich eine echte Akupunktur (Minimalakupunktur) für die Behandlung für Knieschmerzen zu sein. Das bedeutet aber nicht, dass das wahllose Stechen an anderen Nichtakupunkturpunkten ebenfalls wirksam ist.

Somit kann die GERAC-Studie keinen Beweis für oder gegen eine spezifische Wirksamkeit einer TCM-basierten Akupunktur bieten. Allerdings bietet sie Anlass sowohl für Kritiker als auch Befürworter der Akupunktur, ihre Einstellung zu dieser Therapieform kritisch zu überdenken. Die Studienergebnisse sollten auch eine Weiterentwicklung der Akupunktur auf der Suche nach einem optimalen, minimalinvasiven Akupunkturschema anregen.

Weitere Studien mit Akupunktur zur Gonarthrosetherapie

Im Gegensatz zur GERAC-Studie zeigte sich in 2 weiteren Untersuchungen ein signifikanter Unterschied zwischen Akupunktur und Scheinakupunktur (Tab. 1). Allerdings war in der ART-Studie mit insgesamt 294 Patienten dieser Unterschied nur innerhalb von 3 Monaten nach der Behandlung und nach 6 Monaten nicht mehr nachweisbar [18]. In der anderen Studie war die Scheinakupunktur vollkommen anders aufgebaut und enthielt auch Placebonadeln, sodass sie wahrscheinlich nicht so wirksam war wie die in unserer Studie [4]. Außerdem war die TCA etwas anders standardisiert, wobei die Nadeln teilweise auch elektrisch stimuliert wurden und der Akupunktureffekt dadurch möglicherweise verstärkt wurde.

Eine weitere Studie mit signifikantem Unterschied zwischen Akupunktur und Placeboakupunktur bestätigte, dass dem Nadelstich bei der Behandlung der Gonarthrose tatsächlich eine wichtige Bedeutung zukommt [16].

Unter Berücksichtigung dieser Studien kam eine aktuelle Metaanalyse zu dem Schluss, dass TCA im Kurzzeiteffekt innerhalb von 3 Monaten effektiver ist als eine Scheinakupunktur und als keine Akupunktur (Kontrollgruppen) [17]. Im Langzeiteffekt über mehr als 6 Monate zeigte sich allerdings kein Unterschied mehr zwischen TCA und Scheinakupunktur, die Überlegenheit der Akupunktur gegenüber den Kontrollgruppen ohne Akupunktur blieb allerdings erhalten.

Tab. 1 Vergleich aktueller randomisierter Studien zur Gonarthrose

Akupunktur als Bestandteil der Gonarthrosetherapie

Die Aussagen der vorliegenden Studien sollten dazu führen, dass Akupunktur bei chronischen Knieschmerzen fester Bestandteil eines multimodalen Therapiekonzepts wird. Dies hat auch der GBA mit seinem Beschluss von 2006 bekräftigt [2], indem er Akupunktur in die zugelassenen Indikationen mit aufgenommen hat.

Die Bedeutung der exakten Lokalisation der Nadeln bleibt noch ungeklärt. Da auch die Scheinakupunktur an definierten Stellen und von ausgebildeten Akupunkteuren gestochen wurde, kann aus den vorliegenden Studien nicht geschlossen werden, dass es egal ist, wohin gestochen wird und wer sticht. Deshalb sollte auch im Sinne der Patientensicherheit die Akupunktur weiterhin nur nach entsprechender Akupunkturausbildung durchgeführt werden.

Abschließend muss die Frage gestellt werden, wie eine Trennung von spezifischen und unspezifischen Wirkfaktoren der Akupunktur als komplexer therapeutischer Intervention genau definiert werden soll. Es könnte auch von Interesse sein, die Wirkung bisher als unspezifisch bezeichneter Faktoren, wie der therapeutischen Beziehung zwischen Arzt und Patient im Rahmen einer Akupunkturbehandlung, genauer zu untersuchen [10].

Fazit

  • Die derzeitige konservative Standardversorgung von Patienten mit chronischen gonarthrosebedingten Schmerzen ist unbefriedigend.

  • Durch Einbeziehung einer Akupunkturbehandlung als Kassenleistung in die multimodalen Behandlungskonzepte können die Wirksamkeit und das Befinden der Patienten mit Gonarthrose deutlich verbessert sowie der Bedarf an Schmerzmitteln reduziert werden.

  • Wesentliche Unterschiede in der Wirkung einer TCA und einer Scheinakupunktur mit oberflächlichem Stechen an Nichtakupunkturpunkten konnten in der Langzeitbeobachtung bisher nicht nachgewiesen werden.

  • Dem Nadelreiz scheint in Kombination mit unspezifischen Faktoren wie der speziellen Arzt-Patienten-Interaktion und der Erwartungshaltung der Patienten eine wesentliche Bedeutung für die Wirkung der Akupunktur zuzukommen.