Anatomische Vorbemerkungen und Besonderheiten

Das Ellenbogengelenk besteht aus 3 Komponenten,

  • Humeroradialgelenk,

  • Humeroulnargelenk und

  • proximalem Radioulnargelenk.

Es besitzt 2 Freiheitsgrade der Bewegung und ist durch ein kompliziertes Zusammenspiel von Kugel-, Scharnier- und Zapfengelenk gekennzeichnet.

Die Gelenkkapsel ist mehrkammerig aufgebaut, die periartikuläre Weichteilbedeckung ist gering ausgeprägt [9].

Verletzungen des Ellenbogengelenks

Ursachen und Häufigkeit

Verletzungen ereignen sich häufig bei Stürzen auf den Ellenbogen im Rahmen von Arbeits- und Wegeunfällen oder bei sportlicher Betätigung.

2003 wurden insgesamt 138.544 Patienten mit Verletzungen des Ellenbogens und des Unterarms stationär behandelt. Häufigkeitsgipfel finden sich vom 5.–15. und von 60.–80. Lebensjahr [18].

Verletzungsarten

Die Einteilung nach den entsprechenden Strukturen hat sich als praktisch relevant erwiesen [15]. Man unterscheidet:

  • Frakturen des distalen Humerus

  • Frakturen des Radiusköpfchens/-halses

  • Frakturen des Olekranons

  • Luxationen

  • Luxationsfrakturen

  • Bandläsionen

  • Sehnenläsionen

  • Gefäßverletzungen

  • Nervenläsionen

Diagnostik

Klinische Untersuchung

Bei der Palpation des verletzten Ellenbogengelenks werden knöcherne Vorsprünge, Sehnenansätze und Muskeln in Beuge- (Abb. 1) und Streckstellung geprüft. Die Konsistenz von Schwellungen wird beurteilt, und Fluktuationsphänomene werden geprüft. Die angrenzenden Gelenke müssen in die Untersuchung einbezogen werden, da sie im Rahmen von fortgeleiteten Kräften häufig ebenfalls verletzt sind.

Abb. 1
figure 1

Hueter-Dreieck und Hueter-Linien am Ellenbogen

Die Stabilität des Gelenks wird in Beugung und Streckung beurteilt.

Die Bewegungsprüfung umfasst Beugung, Streckung, Pronation und Supination.

Provokationstests sind am verletzten Ellenbogen mit großer Zurückhaltung auszuführen und dienen eher der Differenzialdiagnose nichttraumatischer Veränderungen.

Bildgebende Untersuchungsverfahren

Röntgendiagnostik

Als Standarduntersuchungen kommen die a.-p. und die laterale Projektion zur Anwendung, deren Durchführung bei eingeschränkter Beweglichkeit im Ellenbogengelenk erschwert sein kann. Spezialprojektionen dienen als Schrägaufnahmen zur Beurteilung des Radiusköpfchens und des Processus coronoideus der Ulna. Aufnahmen des Handgelenks und der Schulter können bei klinischem Verletzungsverdacht notwendig werden (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Einstelltechnik beim Röntgen des Ellenbogens, nach Galanski u. Wippermann [4]

Konventionelle und Computertomographie

Domäne dieser Verfahren ist die Beurteilung komplexer knöcherner Verletzungen. Freie Gelenkkörper können ebenso wie der Sulcus nervi ulnaris dargestellt werden. Auch die Differenzialdiagnose zur Osteochondrosis dissecans, Pseudarthrosen und fehlverheilten Frakturen ist möglich.

Die dreidimensionale Rekonstruktion von CT-Bildern erleichtert Therapieentscheidungen erheblich. So konnte z. B. anstatt für Patient und Operateur frustranen Frakturrekonstruktionsversuchen die primäre Endoprothetik forciert angewandt werden.

Magnetresonanztomographie (MRT)

Mit ihr können Sehnen- und Bandverletzungen abgebildet werden. Sie ist auch zur Differenzialdiagnose bei Verletzungen des Gelenkknorpels sowie bei der Darstellung von Tumoren hilfreich. Der N. ulnaris kann im Sulcus nervi ulnaris dargestellt werden.

Sonographie

Sie liefert Aussagen bei Verletzungen von Sehnen und Bändern in Ergänzung zur subtilen klinischen Untersuchung.

Klassifikation der Verletzungen

Knöcherne Ellenbogenverletzungen

Distaler Humerus

Die gebräuchlichste Einteilung für knöcherne Verletzungen in diesem Bereich ist die AO-Klassifikation (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

AO-Klassifikation der distalen Humerusfrakturen, nach Müller et al. [13]

Proximaler Unterarm

Hier ist die AO-Klassifikation nicht allgemein üblich, sondern es werden im deutschen Sprachraum differenzierte Einteilungen verwendet:

  • Für die proximale Ulna (Olekranon) steht die Klassifikation nach Schatzker [16] zur Verfügung, ebenso kommen die Mayo- (Abb. 4) und die Colton-Klassifikation zur Anwendung.

    Abb. 4
    figure 4

    Mayo-Klassifikation der Ellenbogenfrakturen, nach Rüter et al. [15]

  • Am proximalen Radius wird die Mason-Klassifikation am häufigsten eingesetzt. Zudem haben Stankovic [17] und Wolter [19] eine der AO-Klassifikation nahe stehende Einteilung inauguriert.

Kinder

Um die Klassifikation kindlicher Verletzungen haben sich im deutschsprachigen Raum Baumann [2], Lubinus [11], Felsenreich [3] und von Laer [8] große Verdienste erworben. Letzterer hat in seiner 1986 erstmals erschienen Monographie eine umfassende Handlungsanleitung zur Diagnostik und Therapie kindlicher Verletzungen gegeben [8].

Luxationsfrakturen

Bei Verletzungen des Processus coronoideus ulnae kommt die Einteilung nach Regan u. Morrey [12] zum Einsatz (Abb. 5). Dadurch wird dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass der Processus coronoideus ein wesentlicher Stabilisator des Ellenbogengelenks ist.

Abb. 5
figure 5

Klassifikation der Frakturen des Processus coronoideus ulnae nach Regan und Morrey [12]

Seltenere Verletzungsformen

Monteggia-Läsionen werden nach Bado [1] eingeteilt.

Weiterhin zu nennen sind die Galeazzi- und die Essex-Lopresti-Verletzung am Unterarm.

Luxationen/Bandverletzungen

Ellenbogenluxationen sind nach Schulterluxationen die häufigste Ausrenkung von großen Gelenken des Erwachsenen. Sie werden nach der anatomischen Luxationsrichtung in dorsoradiale Verrenkungen (bis zu 90% der Fälle), ventrale, seitliche und divergierende Luxationen unterschieden.

In bis zu 50% der Fälle treten knöcherne Begleitverletzungen auf.

Bei Kapsel-Band-Verletzungen können die posterolaterale, die mediale, die ventrale und die laterale Instabilität unterschieden werden. Eine Operationsindikation resultiert hier nur bei subjektiven Beschwerden [15].

Sehnen-, Gefäß-, und Nervenverletzungen

Spezifische, den Ellenbogen betreffenden Klassifikation sind für diese Entität im deutschsprachigen Raum nicht gebräuchlich.

Häufigste Sehnenverletzung am Ellenbogen ist der Abriss der langen Bizepssehne vom proximalen Radius. Echte traumatische Ereignisse als zugrunde liegender Faktor sind dabei selten, erhebliche Degeneration ist meist Mitursache. Probleme treten häufig im Rahmen der Begutachtung im Zusammenhang mit Ereignissen während der Arbeit auf.

Gefäß- und Nervenschädigungen sind bei komplexen traumatischen Schädigungen häufig, isolierte Verletzungen dieser Strukturen dagegen sind eher selten.

Fazit für die Praxis

Für die Einteilung der knöchernen Ellenbogenverletzungen stehen im deutschsprachigen Raum neben der AO-Klassifikation weitere gut validierte, allgemein akzeptierte und vor allen Dingen praxisorientierte Klassifikationen zur Auswahl. Gute Einteilungen erleichtern die Wahl des Therapieverfahrens.