Auftrag und Ziel der gesetzlichen Unfallversicherung

Den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung kommt die wichtige Aufgabe zu, nach Eintritt von Arbeitsunfällen die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wieder herzustellen (§1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch VII—SGB). Das bedeutet, die optimale medizinische Betreuung des Versicherten sowie seine berufliche und soziale Wiedereingliederung stehen stets im Vordergrund aller Bemühungen. Ziel ist die bestmögliche Wiedereingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft.

Zur Erreichung dieses Ziels haben die UV-Träger den gesetzlichen Auftrag, alle Maßnahmen zu treffen, durch die eine möglichst frühzeitig nach dem Versicherungsfall einsetzende und sachgemäße Heilbehandlung und, so weit erforderlich, besondere unfallmedizinische Behandlung gewährleistet wird (§34 SGB VII). Die Unfallversicherungsträger sind ermächtigt, die von den Ärzten und Krankenhäusern zu erfüllenden Voraussetzungen im Hinblick auf die fachliche Befähigung, die sächliche und personelle Ausstattung sowie die zu übernehmenden Pflichten festzulegen. Von diesem Organisationsrecht haben die Unfallversicherungsträger Gebrauch gemacht und ein umfangreiches und bewährtes Instrumentarium geschaffen. Die im Bereich der Akutversorgung nach einem Arbeitsunfall bedeutendsten Verfahren sind

  • das Durchgangsarztverfahren,

  • das Verletzungsartenverfahren sowie

  • das H-Arzt-Verfahren.

Anforderungen an den Durchgangsarzt

Die Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften lassen Ärzte als Durchgangsärzte zu, wenn sie die in den "Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger nach §34 SGB VII zur Beteiligung am Durchgangsarztverfahren" normierten Voraussetzungen erfüllen. Hiernach wird ein Arzt am Durchgangsarztverfahren beteiligt, der gewährleistet, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen zur Heilbehandlung und Rehabilitation dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen. Neben einer bestimmten sächlichen und personellen Ausstattung der Praxis muss der Arzt eine bestimmte fachliche Qualifikation nachweisen. Nach In-Kraft-Treten der seit 1.1.1999 gültigen Fassung der Anforderungen muss der Durchgangsarzt zur Behandlung Arbeitsunfallverletzter zum Führen der deutschen Facharztbezeichnung Chirurgie und der deutschen Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie berechtigt sein.

Dem Durchgangsarzt kommt bei der Behandlung von Arbeitsunfallverletzten eine besondere Stellung im Zusammenhang mit der Steuerung des Heilverfahrens zu. Insbesondere bei über den Unfalltag hinaus bestehender Arbeitsunfähigkeit oder einer voraussichtlich länger als 1 Woche andauernden Behandlungsbedürftigkeit haben Arbeitgeber und Hausärzte die Verpflichtung dafür zu sorgen, dass sich Arbeitsunfallverletzte unverzüglich einem Durchgangsarzt vorstellen. Dieser entscheidet, ob allgemeine (hausärztliche) Heilbehandlung ausreicht oder besondere Heilbehandlung erforderlich ist. Besondere Heilbehandlung kann der Durchgangsarzt in weitgehend freiem Ermessen einleiten und durchführen, wenn Art und Schwere der Verletzung es erfordern. Aber auch in Fällen der allgemeinen Behandlung ist es seine Aufgabe, den Heilverlauf im Rahmen eines Nachschauverfahrens zu überwachen.

Anforderungen der UV-Träger im Verletzungsartenverfahren

Im Verletzungsartenverfahren (VAV) müssen Arbeitsunfallverletzte bei bestimmten schweren, katalogmäßig niedergelegten Verletzungen grundsätzlich an besonders zugelassene Krankenhäuser überwiesen werden. Der dort tätige verantwortliche Arzt im Verletzungsartenverfahren, der gleichzeitig über die Zulassung als Durchgangsarzt verfügen muss, beurteilt und entscheidet, ob die Behandlung stationär oder ambulant erfolgt. Hält er eine ambulante Behandlung für ausreichend, kann er diese entweder selbst durchführen oder einen anderen qualifizierten Arzt damit beauftragen.

Grundlage der Zulassung sind die "Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger nach §34 SGB VII an Krankenhäuser zur Beteiligung an der besonderen stationären Behandlung von Schwer-Unfallverletzten (Verletzungsartenverfahren—VAV)". Danach werden am Verletzungsartenverfahren Krankenhäuser u. a. dann beteiligt, wenn die Abteilung zur Behandlung Schwerunfallverletzter von einem Arzt geleitet wird, der zum Führen der deutschen Facharztbezeichnung Chirurgie und der deutschen Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie berechtigt ist. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass der verantwortliche Arzt nach Erwerb der Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie mindestens 3 Jahre in der unfallchirurgischen Abteilung eines von den gesetzlichen Unfallversicherungsträgern beteiligten Krankenhauses tätig gewesen ist. Er muss außerdem über die Weiterbildungsbefugnis im Schwerpunkt Unfallchirurgie verfügen, die im Regelfall 2 Jahre nicht unterschreiten soll. In der Abteilung muss darüber hinaus mindestens ein weiterer Facharzt für Chirurgie mit der Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie angestellt sein.

Sinn der hohen Anforderungen

Das erklärte Ziel der ausdrücklich an die fachliche Befähigung hohe Ansprüche stellenden Anforderungen ist die Sicherstellung einer frühzeitig einsetzenden unfallchirurgischen Versorgung auf qualitativ hohem Niveau durch besonders ausgewählte Ärzte bzw. Krankenhäuser in Erfüllung des gesetzlichen Auftrags der Heilbehandlung mit allen geeigneten Mitteln.

Kann der "neue" Facharzt dem Anspruch des Heilverfahrens gerecht werden?

Nach Verwirklichung der Zusammenführung von Orthopädie und Unfallchirurgie innerhalb des Gebietes "Chirurgie" zu einem neuen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie stellt sich die Frage, ob und welche Auswirkungen sich hieraus auf die Verfahren im Rahmen der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung ergeben können. Grundlage der Überlegungen ist, dass mit der geplanten Novellierung der Weiterbildungsordnung kein Qualitätsverlust in der Versorgung Arbeitsunfallverletzter eintreten darf. Die besonderen Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger haben sich in der Vergangenheit bewährt. Sie gewährleisten eine qualitativ hochwertige unfallmedizinische Behandlung. Die Anforderungen zu unterschreiten, würde die Qualität der Versorgung negativ beeinflussen. Bereits im Sommer des vergangenen Jahres wies deshalb der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften in einem Brief an den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie darauf hin, dass der in 6 Jahren zu erwerbende neue Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ohne zusätzliche Spezialisierung im unfallchirurgischen Sektor keinesfalls automatisch zur Teilnahme am Durchgangsarztverfahren oder am Verletzungsartenverfahren qualifizieren kann.

Die bisherigen Anforderungen zielen auf eine insgesamt 8-jährige Weiterbildungszeit, die nach dem Erreichen des Facharztes für Chirurgie eine 3-jährige Schwerpunktweiterbildung in der Unfallchirurgie voraussetzt. Nach Überzeugung der gesetzlichen Unfallversicherungsträger sollte auch in der neuen Weiterbildungsordnung, aufbauend auf die Facharztweiterbildung ein Schwerpunkt Traumatologie eingeführt werden, durch den die zur Behandlung Schwerunfallverletzter unabdingbare zusätzliche fachliche Kompetenz erworben werden kann. Alternativ käme lediglich in Betracht, das für den Durchgangsarzt und den verantwortlichen Arzt im Verletzungsartenverfahren erforderliche unfallchirurgische Anforderungsprofil nicht mehr nur an den Vorgaben der Weiterbildungsordnung zu orientieren, sondern in den Anforderungen der Unfallversicherungsträger gezielt in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht zu definieren.

Die Unfallversicherungsträger befinden sich mit ihrer Forderung nach einer Spezialisierungsmöglichkeit im Konsens mit der Auffassung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie. Ein entsprechender Vorschlag zur Einführung einer Schwerpunktbildung "spezielle Unfallchirurgie" mit dem Ziel die hohe Qualität der Unfallversorgung auch unter den zukünftigen Facharztstrukturen zu gewährleisten, wurde an die Bundesärztekammer herangetragen. Dabei wurde deutlich gemacht, dass eine Facharztweiterbildung ohne die Möglichkeit einer 3-jährigen Zusatzqualifikation nicht akzeptabel ist.

Zusatzweiterbildung "spezielle Unfallchirurgie"

Der aktuelle Entwurf einer novellierten (Muster-)Weiterbildungsordnung 2003 mit Stand Februar 2003 sieht erfreulicherweise eine 3-jährige Zusatzweiterbildung in spezieller Unfallchirurgie vor. Sie umfasst in Ergänzung zur Facharztkompetenz

  • die Behandlung von Verletzungen höherer Schwierigkeitsgrade und deren Folgezuständige,

  • die Organisation, Überwachung und Durchführung der Behandlung von Schwerverletzten und

  • die Behandlung und Dokumentation im Rahmen des Verletzungsartenverfahrens.

Diese spezielle unfallchirurgische Qualifikation ermöglicht den Erhalt des hohen Standards der Unfallchirurgie im deutschsprachigen Raum und gewährleistet die Erfüllung der fachlichen Anforderungen der UV-Träger an die Beteiligung von Ärzten im Rahmen des Durchgangsarztverfahrens und im Wesentlichen auch des Verletzungsartenverfahrens.

Fazit

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der neue Facharzt für Orthopädie und Chirurgie nur mit Zusatzweiterbildung in spezieller Unfallchirurgie die Voraussetzungen für die Beteiligung als Durchgangsarzt erfüllen kann. Wie bereits bisher wird der verantwortliche Arzt eines am Verletzungsartenverfahren beteiligten Krankenhauses darüber hinaus auch weiterhin zusätzliche Zeiten im zugelassenen Krankenhaus und die entsprechende Weiterbildungsermächtigung nachweisen müssen. Für den H-Arzt wird die alleinige Facharztqualifikation für Orthopädie und Chirurgie ohne Zusatzweiterbildung in spezieller Unfallchirurgie als Zulassungsvoraussetzung voraussichtlich ausreichend sein.