Vor dem Hintergrund des Medizinalcannabis-Gesetzes von 2017 und der kürzlich vom Bundestag beschlossenen Cannabislegalisierung rückt die Fahrtauglichkeit von Menschen unter einer Cannabistherapie sowie Freizeitkonsumenten erneut in den Fokus. Wie ist die Studienlage und welche Gesetzesänderungen sind zu erwarten?

Bislang liegt nach § 24a Absatz 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) eine Ordnungswidrigkeit vor, wenn bei Fahrzeugführenden der Grenzwert von 1 ng Tetrahydrocannabinol (THC) pro Milliliter Blut überschritten wird. Eine konkrete Fahrunsicherheit und/oder eine verminderte Fahrtüchtigkeit müssen dafür nicht festgestellt werden, erläuterte Prof. Dr. Kirsten Müller-Wahl, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung sagen aus, dass Freizeitkonsumenten von Cannabis bei gelegentlichem Gebrauch unter bestimmten Bedingungen zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Lage sein können, während das bei täglichem oder gewohnheitsgemäßem Konsum in der Regel nicht der Fall ist. „Für unsere Patienten, die zur letztgenannten Gruppe gehören, ist das ein großes Dilemma“, konstatierte Müller-Vahl. Denn es sei derzeit noch nicht geregelt, ob das Medikamentenprivileg gemäß § 24a Absatz 2 Satz 3 StVG auch für die Anwendung von medizinischem Cannabis gelten wird. Dieser Absatz im StVG besagt, dass keine Ordnungswidrigkeit vorliegt, wenn ein Arznei- oder Betäubungsmittel zur Behandlung einer Erkrankung verordnet wurde und der Patient es bestimmungsgemäß eingenommen hat. Bestimmungsgemäß bedeutet in diesem Fall, dass die Dosierung und die Anwendungsart einzuhalten sind, da das Führen des Kraftfahrzeugs ansonsten ordnungswidrig ist, betonte Müller-Vahl. Die vorige Bundesregierung hatte 2017 die Position vertreten, das Medikamentenprivileg auch auf Patienten unter Cannabistherapie zu übertragen und daher von einer Strafverfolgung abzusehen - eine Ansicht, die laut Müller-Vahl nicht von allen Fachkreisen geteilt wird.

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Cannabis-Konsumenten unterschätzen die eigene Fahrtüchtigkeit tendenziell.

Lückenhafte Evidenz

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat darauf hingewiesen, dass noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Informationen zur Fahrtauglichkeit unter Cannabisarzneimitteln vorliegen. Als Beispiel für die wenigen Studien, in denen diese Thematik untersucht wurde, nannte Müller-Vahl eine offene Vergleichsstudie mit 40 Teilnehmern, die Cannabiszubereitungen in Dosierungen zwischen 1,1 und 39,2 mg pro Dosis oral oder inhalativ angewendet hatten. Die THC-Blutkonzentrationen der Teilnehmer, die einen Fahrsimulator-Test absolvierten, wiesen eine große Spannweite auf. Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass Cannabinoide bei bestimmungsgemäßer Einnahme zu vernachlässigbaren Einschränkungen der Fahrsicherheit führen [Manning B et al. J Psychopharmacol. 2024;38(3):247-57]. In der doppelblinden, placebokontrollierten Studie CANNA-TICS wurde der Effekt einer neunwöchigen Behandlung mit Nabiximols auf die Fahrsicherheit von 96 Erwachsenen mit chronischen Tic-Störungen untersucht. Im Mittel kam es unter dem Medikament sogar zu einer leichten Verbesserung der Fahrsicherheit [Müller-Vahl KR et al. Cannabis Cannabinoid Res. 2024; doi: 10.1089/can.2023.0114].

Zusammenhang von Blutspiegeln und Fahrsicherheit

Eine Metaanalyse hatte gezeigt, dass nach Cannabiskonsum mit Beeinträchtigungen zu rechnen ist, die im Bereich niedriger Blutalkoholkonzentrationen liegen [Simmons SM et al. Addiction 2022;117(7):1843-56]. Reine Cannabidiolpräparate beeinträchtigen die Fahrsicherheit wahrscheinlich nicht. Bei THC-haltigen Präparaten ist sie nur in den ersten 3,5 bis 5 Stunden nach der Einnahme geringfügig beeinträchtigt [Arkell TR et al. JAMA. 2020;324:2177-86]. Interessant ist in diesem Zusammenhang laut Müller-Vahl auch die Erkenntnis, dass nach dauerhafter Anwendung von Cannabis infolge des Abbaus von Cannabinoid-Rezeptoren im Gehirn ein Gewöhnungseffekt eintritt [Ramaekers JG Eur Neuropsychopharmacol. 2020;36:191-205]. Deshalb ist bei regelmäßiger Einnahme mit einer höheren Fahrsicherheit zu rechnen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist laut Müller-Vahl, dass Cannabis-Konsumenten die eigene Fahrtüchtigkeit eher unterschätzen - im Gegensatz zu Alkoholkonsumenten, die sie eher überschätzen [Pearlson GD Front Psychiatr. 2021;12:689444].

Anders als nach Alkoholkonsum wurde in verschiedenen Studien kein Zusammenhang der THC-Blutspiegelkonzentration und der Fahrsicherheit gefunden [Marcotte TD JAMA Psychiatr. 2022;79:201-9]. Deshalb gestaltet es sich schwierig, einen sinnvollen Grenzwert festzulegen. Das neue Cannabisgesetz sieht dennoch vor, dass eine Arbeitsgruppe zeitnah einen THC-Grenzwert vorschlagen soll, der etwa im Bereich von 3,5 ng/ml liegen könnte. Nach dem Willen der Bundesregierung soll künftig die Fahrerlaubnis nur noch dann entzogen werden können, wenn eine Cannabisabhängigkeit oder ein Missbrauch vorliegen.

Symposium „Fahrtauglichkeit unter Opioiden/Cannabinoiden/Alkohol“, 16. März 2024, Deutscher Schmerz- und Palliativtag