Der Eröffnungsvortrag des diesjährigen Schmerz- und Palliativtags war ein Highlight des Kongresses, das Frau Prof. Dr. Dr. Bettina Pfleiderer gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) gestaltet hat. Die Aufmerksamkeit für diesen eindrucksvollen Vortrag zur gendersensitiven Schmerzmedizin, dem etwa 1.000 Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer gefolgt sind, hat klar gemacht, dass nicht nur in der Wissenschaft im Allgemeinen, sondern speziell in der Schmerzmedizin weibliche Sichtweisen, Forschung und Versorgung an Bedeutung gewinnen.

So hängt der wissenschaftliche Fortschritt mehr und mehr von Frauen ab, ihr Anteil in den Publikationen nimmt zu. Topzitierte Frauen dominieren in Krankenpflege, Epidemiologie, Rehabilitation, Gesundheitswesen, Ernährung und Diätetik, Allergologie, Pädiatrie, Geriatrie, Rheumatologie, Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin sowie in der Allgemeinmedizin. In der Orthopädie, Chirurgie, Kardiologie und Inneren Medizin sind sie eher in der Minderheit [Richter-Kuhlmann E. Dtsch Arztebl. 2024;121(5):A-298/B-274]. Insgesamt dominieren Männer weiterhin die wissenschaftliche Publikationslandschaft, aber der Frauenanteil wächst.

Umgekehrt können einige Schmerzerkrankungen als vorrangig weiblich bezeichnet werden: Migräne, Fibromyalgie, auch viszerale Schmerzen. Die gerade viel besprochene Endometriose ist nicht zuletzt Dank der Aktivitäten der DGS als frauenspezifische Schmerzentität in den Vordergrund gerückt. So hat die DGS eine Kooperation mit der Arbeitsgruppe Endometriose geschlossen. Zudem lebt unsere Gesellschaft einen Kooperationsvertrag mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Aktuell ist ein Praxisleitfaden zur Migräne bei Frauen entwickelt worden.

Unterschiede sehen und berücksichtigen

Wie Frau Prof. Dr. Dr. Pfleiderer in ihrem Eröffnungsvortrag beim Schmerzkongresses berichtete, sind die Ergebnisse von Tierversuchen davon abhängig, ob der Versuchsleiter ein Mann oder eine Frau ist. Auch was den Arzt-Patienten-Kontakt betrifft, gibt es erhebliche Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Behandelnden. Geschlechtsspezifische Unterschiede wurden zudem bei der Wahrnehmung und im Umgang mit Schmerzen beobachtet: Patientinnen, das wissen wir seit Langem, gehen mit einem Herzinfarkt anders um als Männer. Risiken und Symptome chronischer Erkrankungen sind demnach nicht vergleichbar. Wir brauchen also ein erweitertes Bewusstsein für gendersensible Versorgungsformen - eine dauerhafte Aufgabe für die DGS. Da helfen die vielen Initiativen, die sich für die Gleichstellung von Frauen einsetzen, nicht allein.

Interessanterweise werden die Stereotype und Rollenverteilungen nach meiner Beobachtung nicht nur von Männern festgezurrt. Auch Frauen tragen zu traditionellen Rollenverteilungen bei, bis hin zur Selbstzurücknahme. In unseren Fortbildungen und Vorträgen sollten wir stets danach fragen, ob wir beide Geschlechter angemessen abbilden.

In der Vorstandsarbeit der DGS sind zwei Frauen vertreten, deren Mitarbeit nicht nur geschätzt und erwünscht ist, sondern notwendig. Sie sind weibliche Vorbilder, herzlichen Dank dafür!

Ihr

figure 1

Dr. med. Dipl. Lic. Psych. Johannes Horlemann

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. Facharzt für Innere Medizin und Allgemeinmedizin, spezielle Schmerztherapie, Kevelaer, Leiter des Regionalen Schmerzzentrums DGS, Kevelaer