Die Pandemie ist über uns hereingebrochen wie eine Krise: Sie löst Überforderung, Leid und Kontrollverlust aus. Auch führt sie uns viele Versäumnisse in der Struktur unseres Gesundheitswesens vor Augen. Die Weichen in die Zukunft werden neu gestellt. Die Pandemie ist eine digitale Zäsur.

Viele Kollegen haben festgestellt, dass wir in der Digitalisierung in Deutschland in wenigen Monaten mehr erreicht haben als in 20 Jahren. Mittlerweile ist es üblich, Patienten online zu beraten, selbst in der Psychotherapie zu begleiten. Unsere Schmerzkonferenzen finden ebenfalls online statt, wenn notwendig. Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag fand 2020 und findet 2021 wie selbstverständlich online statt. Es scheint mir, dass wir aus der Steinzeit erwacht sind. Die Digitalisierung wird auch die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin nachhaltig verändern. Neben unseren Präsenzveranstaltungen werden auch in der Zukunft Hybridveranstaltungen Normalität sein, ebenso wie Online-Veranstaltungen, wann immer sinnvoll und notwendig.

Ich frage mich, warum der Fortschritt in unserem Land so schleppend vorankam. Lag es an mangelndem Interesse an schnellem Austausch oder an der Technik, die manchen ein Buch mit sieben Siegeln ist und bleibt? Vielleicht ist auch die Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit, wie sie jetzt einfach möglich ist, unterschätzt worden. Vom schnellen Datenaustausch profitieren Ärzte und Patienten gleichermaßen. Mit einer guten digitalen Vernetzung hätten manche Patienten nicht in Quarantäne gehen müssen, dies hätte auch wirtschaftliche Folgen gehabt. Denn vielleicht hätten viele Menschen weiter arbeiten und Kinder hätten zur Schule gehen können. Zudem hätten wir Patienten schneller und effektiver behandeln können.

"Plötzlich" ist unser Gesundheitswesen digital geworden, es ist aufgewacht in einer komplett anderen Welt: Hilflosigkeit einerseits vor den Tücken der Viruserkrankung, Fortschritt auf der anderen Seite in der Zusammenarbeit und Netzarbeit in schnellem Austausch. Das ist das Gute im Schlechten. Offenbar brauchen wir Krisen dringlich, um uns weiterzuentwickeln. Oder anders ausgedrückt: Weiterentwicklung im Gesundheitswesen findet im Schneckentempo statt, ohne Einsicht und mit Faktenresistenz, wenn nicht unser sorgenfreies Leben durch bedrohliche äußere Umstände wankt.

Ich wünsche Ihnen ein Frohes Neues Jahr und Krisen, die gut ausgehen.

Ihr

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Dr. med. Dipl. Lic. Psych. Johannes Horlemann

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V Facharzt für innere Medizin und Allgemeinmedizin, spezielle Schmerztherapie, Kevelaer, Leiter des Regionalen Schmerzzentrums DGS, Kevelaer