Sehr geehrte Frau Kollegin,

Sehr geehrter Herr Kollege,

erlauben Sie mir ein paar Gedanken zur aktuellen und zukünftigen Situation im Gesundheitsbereich mit allen seinen Sektoren. Seit Monaten gehören die Nachrichten über die COVID-19-Pandemie in Deutschland und auf der gesamten Welt zu unserem Alltag. Eine Krise, die diese Welt in dieser Form noch nie erlebt hat - oder: Globalisierung einmal anders. Eine Zeit, in der der Begriff Gesundheitswirtschaft eine völlig neue, andere, ja bedrohliche Deutung annimmt. Über die entsprechenden Auswirkungen im Gesundheitswesen und die notwendigen Gedanken wurde bereits viel geschrieben und auch nachgedacht. Ich möchte darauf nicht näher eingehen.

Ein anderer Blickwinkel

Lassen Sie mich eine neue Situation aus einem anderen Blickwinkel beschreiben. Seien wir mal ehrlich, haben wir nicht Hygienemaßnahmen und Richtlinien sowohl in der Klinik als auch in der Praxis eher als lästige Kostennote denn als nützlichen Beitrag gesehen? Wir kennen spätestens seit dem Auftreten von multiresistenten Keimen ein Problem, das schon seit Jahren zu Denken aufgibt. Nur durch konsequente hygienische Maßnahmen kann die Eigen- und Fremdgefährdung im Krankenhaus minimiert werden. Dies setzt voraus, dass eigentlich alle Patienten getestet werden sollten. Der Durchseuchungsgrad an Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA) hat in der Bevölkerung in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten, stetig zugenommen.

Ursachenforschung? Kennen Sie nicht auch den ein oder anderen Kollegen, der bei der Eradizierung von MRSA die Augen verdrehen und sagen wird "ist das denn notwendig". Oder nehmen Sie den Krankenhausarzt, der die Hygienemaßnahmen bei MRSA durchsetzen und bei dem dann die Kaufleute nachfragen, ob es denn notwendig sei, dafür extra ein Bett nicht zu belegen. Unter dem Eindruck von COVID-19 und den diversen Hygienevorschriften sind einige Vorschriften ja gar nicht mehr so neu. Händedesinfektion regelmäßig, Isolierung, Nähe auf das notwendigste beschränken, sind nur einige Beispiele dafür. Die Pandemie hat uns gelehrt, die Hygienemaßnahmen ernster zu nehmen. Schauen Sie auf Ihren Verbrauch an Händedesinfektionsmittel. Sie werden überrascht sein.

Ursachen für altbekannte Missstände?

Auf die vielen im Netz auftauchenden Verschwörungstheorien und Empfehlungen oder Aufrufe zur Verweigerung jeglicher Einschränkung von grundgesetzlich verankerten Rechten in der Pandemie will ich nicht eingehen. Eins scheint sich aber bewährt zu haben: Abstand halten und Maske tragen. Auch die jüngsten Hotspots und Infektionsherde in Deutschland haben ihre Ursachen in altbekannten Missständen, die seit Jahrzehnten bekannt sind und in dieser Pandemie natürlich eine sehr viel größere Rolle spielen als zu vermeintlich normalen Zeiten. Die Vorteile dieser Pandemie bestehen lediglich in einer charakterlichen Demaskierung von Entscheidungsträgern. So fehlt mir in der Politik die Demut, die notwendig ist, um alte Pandemiepläne neu zu schreiben und dabei Altenheime und Behinderteneinrichtungen aufzunehmen. In vielen Altenheimen durften Hospizhelfer, ja sogar SAPV-Teams, nicht ihre Arbeit machen, da keine einheitliche Bewertung der Altenheim- und Behinderteneinrichtungssituation gegeben war.

Großveranstaltungen versus ideale Gruppengröße

Unter all diesen Aspekten ist es im Prinzip sinnlos auf eine Normalisierung oder "weiter so wie früher" zu hoffen. Meiner Ansicht nach müssen wir im Rahmen dieser Pandemie über viele Prinzipien, die uns angenehm und lieb geworden sind, nachdenken. Ich beziehe mich in meiner Ausführung zunächst auf die Konsequenzen, die wir als Verein für die Fortbildung von Kolleginnen und Kollegen und anderen Berufsgruppen, die sich mit Schmerz- und Palliativmedizin befassen, ziehen müssen. Die DAGST hat sich in den letzten 15 Jahren schon dahingehend entwickelt, dass das Prinzip der Großveranstaltungen verlassen wurde, um eine Situation herzustellen in der Fortbildung unter Berücksichtigung individueller Aspekte möglich ist. Kleingruppenseminare bis zu zwanzig Personen waren sowohl für die Teilnehmer als auch für die Referenten eine nahezu ideale Gruppengröße. In Zukunft werden wir uns jedoch vermehrt mit Online-Fortbildungen in Kombination mit Präsenzveranstaltungen kümmern müssen. Ich persönlich halte Präsenzveranstaltungen im Bereich der ärztlichen Fortbildung für unerlässlich. Ich bin sicher, dass wir im Vorstand der DAGST ein entsprechendes Angebot unterbreiten können. Beachten Sie dazu bitte auch unsere Kursvorschautermine mit unseren Experten.

Auf individuelle Wissensbedürfnisse eingehen

In diesen Präsenzveranstaltungen, die hinsichtlich der aufgewendeten Zeit deutlich eingeschränkter sein müssen als vor Corona, kann auf individuelle Wissensbedürfnisse eingegangen werden. Die Evaluation unserer Veranstaltungen zeigt, dass die Qualität dieser Fortbildungen sehr hoch ist. Eine Weiterentwicklung der multiprofessionellen Fortbildung zwischen Ärzten, Pflegern und Therapeuten wird in Zukunft eine wesentlich größere Rolle spielen, als das bis vor einem Jahr noch der Fall war. Die Erfahrungen, die in der Fortbildung in Palliativmedizin mit multiprofessionellen Fortbildungen gemacht worden sind, stimmen hoffnungsvoll und auch im Bereich der Schmerztherapie sollte diese multiprofessionelle Wissensvermittlung einen höheren Stellenwert bekommen.

Ob und wie wir diesen Herausforderungen begegnen können, ist eine Frage der Haltung in dieser seltsamen Zeit. Seien Sie versichert, dass wir im Vorstand der DAGST alles tun werden, um den Prinzipien einer qualifizierten Fortbildung im Bereich der Schmerztherapie und Palliativmedizin Rechnung zu tragen.

In diesem Sinne verbleibe ich mit den herzlichsten Wünschen. Ihnen und Ihren Familien gute Gesundheit!

Ihr

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Dr. med. Ludwig Distler