Kann die Lebensqualität von Schmerzpatienten, die unter Übelkeit und Appetitlosigkeit leiden, mit Cannabinoiden verbessert werden? Sechs Fragen an Palliativmediziner Norbert Schürmann.
Herr Schürmann, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust sind bei Tumorpatienten mit chronischen Schmerzen häufig. Wie gehen Sie als Palliativmediziner damit um?
Norbert Schürmann: Wir wenden gerne Dronabinol an, mit dem langjährige Erfahrungen bestehen. Die Add-on-Therapie mit Dronabinol als Kapsel oder ölige Tropfen zu einer Opioidtherapie verstärkt einerseits die analgetische Wirkung und regt zugleich den Appetit an. Üblicherweise wird mit 2,5-5 mg Dronabinol zur Nacht angefangen. Ich starte eher niedrigdosiert, um zu schauen, wie die Patienten es vertragen. Je nach Verträglichkeit und Wirkung wird die Dosis sukzessive gesteigert, im Mittel benötigt man 7,5 bis 10 mg.
Wie ausgeprägt ist die Wirkung?
Schürmann: Der Effekt sollte innerhalb von zwei bis drei Tagen eintreten. Ein Zaubermittel ist es natürlich nicht, aber bei manchen Patienten sehen wir erstaunliche Besserungen der Lebensqualität und eine Körpergewichtszunahme.
Kortikosteroide haben ja ebenfalls eine appetitanregende und stimmungsaufhellende Wirkung...
Schürmann: Steroide wie Dexamethason gehören zur Standardtherapie. Der Effekt hät aber maximal drei Wochen an. Nierenrindensuppression, Blutzuckererhöhung und Mundsoor sind unerwünschte Wirkungen, wie ich sie mit Cannabinoiden nicht habe.
Die Autoren einer 2018 publizierten Metaanalyse kamen zu dem Schluss, Cannabinoide seien nicht für die palliative Versorgung von Krebspatienten geeignet, das Progesteron-Derivat Megestrol zur Appetitanregung sei überlegen...
Schürmann: Metaanalysen sind stets zurückhaltend zu bewerten, weil die Methodik der eingeschlossenen Studien oftmals sehr heterogen ist. So wurden in Studien Cannabinoide teils oral, teils inhalativ eingenommen, die gemessenen Effekte werden dann in einen Topf geworfen. Zudem sind Studien in der Palliativmedizin methodisch per se schwer umzusetzen. Insofern zweifle ich an der Aussagekraft dieser Metaanalyse, gerade vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen und der vieler Kollegen in der DGS.
Sind bei Schluckstörungen alternative Applikationsformen sinnvoll?
Schürmann: Es gibt Vaporisatoren, die rezeptiert werden können. Ich selbst setze Cannabinoide aber nicht inhalativ ein. Um sicherzustellen, dass die Dosis vollständig aufgenommen wird, sollte man etwa die Tropfen eher nicht in ein Getränk geben, weil ein Teil der Dosis zurückbleiben könnte, wenn nicht komplett ausgetrunken wird. Möglich ist das Auftropfen auf ein Stück Zucker oder das Nachspülen mit einem Getränk.
Ist das schmale therapeutische Fenster von Cannabinoiden ein Problem?
Schürmann: Cannabinoide sind eher für Patienten gedacht, die noch essen, eventuell noch das Bett verlassen und umhergehen können. Dann können wir damit ein Stück weit die Lebensqualität verbessern.
In der Sterbephase versuchen wir, alle Medikamente und vor allem orale Mittel so weit wie möglich zu reduzieren und würden ein parenteral verabreichtes Opioid eher mit einem Benzodiazepin wie Midazolam, Diazepam oder Lorazepam kombinieren, um den Sterbeprozess zu erleichtern.
Das Gespräch führte Thomas Meißner
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Meißner, T. Tumorschmerzen: Einsatz von Cannabinoiden in der Sterbephase. Schmerzmed. 36, 51 (2020). https://doi.org/10.1007/s00940-020-1725-x
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