In einer aufsehenerregenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Ende Februar 2020 wurde der Wille des sterbewilligen Patienten ins Zentrum der Begleitung schwerstkranker Menschen gerückt. Die Reaktionen waren höchst unterschiedlich, zwischen Zustimmung und Ablehnung. Inzwischen ist das Urteil von vielen neu gelesen worden. Es wurde mittlerweile verstanden, dass es in diesem Urteil nicht um die sogenannte Sterbehilfe geht, sondern um das Recht auf Selbsttötung. Es wird durchgehend von Suizidhilfe, Förderung der Selbsttötung und Hilfe zur Selbsttötung gesprochen, nicht jedoch von Euthanasie. Wo liegt der Unterschied?

Autonome Selbstbestimmung

Zum einen wird der Begriff Sterbehilfe durch den Blickwinkel des Arztes gebraucht, der den Sterbewilligen zum Empfänger seines Tuns macht. Die Suizidhilfe rückt den Willen und das Handeln des Betroffenen jedoch in den Vordergrund. Denn einen Suizid kann nur der Betroffene selbst begehen. Die Karlsruher Richter stellen das Individuum und seine Selbstbestimmung in den Mittelpunkt des Geschehens. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, wird als Ausdruck persönlicher Autonomie verstanden. Dieser Akt der autonomen Selbstbestimmung sei von Staat, Gesellschaft und medizinischen Begleitern zu respektieren. Diese Autonomie sei letzter Ausdruck der Würde, die sogar durch "Überlegungen objektiver Vernünftigkeit" nicht eingeschränkt werden dürfe.

Eine sehr individuelle Wahrnehmung

Der absolute Anspruch der Patientenautonomie ist mehr als ein neuer Tenor in der Debatte. Die Freiheit zum Suizid sei nicht an äußere Bedingungen gebunden, wie das Alter oder eine schwere Erkrankung. Der bedeutsamste Satz des Urteils lautet: "Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet das Recht, selbstbestimmt die Entscheidung zu treffen, sein Leben eigenhändig, bewusst und gewollt zu beenden." Die Adjektive sind zu wiederholen: eigenhändig, bewusst, gewollt. Der Sterbewillige steht ganz im Zentrum der Entscheidung, die Helfer befinden sich eher am Rand. Damit wird klar: Ob ein Leben lebenswert ist, ist eine sehr persönliche, nicht durch Ärzte oder gesellschaftliche Ansprüche beeinträchtigte Wahrnehmung. Eine solche Autonomie hat mit der Fremdbestimmung durch Euthanasie nichts gemein. Sie grenzt den ärztlichen Handlungsspielraum ein, entlastet aber auch Palliativmediziner.

Begleitung in Respekt

Die Begleitung Sterbender findet nun mit Respekt vor dieser erweiterten Wahrnehmung von Autonomie statt. Gleichzeitig wird dem Gesetzgeber ein breiter Raum für neue Regelungen eingeräumt. Selbsttötung soll nicht Folge schlechter Pflege oder mangelnder Schmerzmedizin sein, sondern letztlich kann eine gute Begleitung auch die Freiheit zum Suizid sichern, das Wissen um eine Möglichkeit, die durch eine gute Begleitung überflüssig gemacht werden kann! Die Gewissheit, dass das Recht zum Suizid abgesichert ist, kann identitätsstiftend sein. Das Wissen um einen Notausgang kann manches Leid erträglicher machen.

Sicher ist jedoch, dass die Denkweise hinter diesem Urteil zutiefst unchristlich ist. Daher der Aufschrei in unserer zunehmend säkularisierten Gesellschaft.

Ihr

figure 1

"Der Sterbewillige steht ganz im Zentrum der Entscheidung, die Helfer befinden sich eher am Rand. Damit wird klar: Ob ein Leben lebenswert ist, ist eine persönliche, nicht durch Ärzte oder gesellschaftliche Ansprüche beeinträchtigte Wahrnehmung."

Dr. med. Dipl. Lic. Psych. Johannes Horlemann

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V Facharzt für innere Medizin und Allgemeinmedizin, spezielle Schmerztherapie, Kevelaer, Leiter des Regionalen Schmerzzentrums DGS, Kevelaer