Sehr geehrte Damen und Herren, als Schmerztherapeut der ersten Stunde sehe ich mit großer Sorge die künftige Entwicklung und das bislang in Deutschland Erreichte gefährdet.

In den 1980er-Jahren hat das Schmerztherapeutische Kolloquium (StK) mit den Protagonisten Dr. Dietrich Jungck und Dr. Thomas Flöter die ersten Schmerztherapievereinbarungen gestaltet. Daraus ist schließlich in den 1990er-Jahren die Qualitätssicherungsvereinbarung zur Behandlung chronisch schmerzkranker Patienten entstanden. Diesem Metier widmeten sich als Pioniere zunächst Anästhesisten, die keine Narkosen mehr durchführten, sondern ihre Fähigkeiten und Kenntnisse der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen widmeten, unbesehen, ob der Grund ein Tumor oder eine andere, nicht maligne Erkrankung war.

Gründung eines neuen Fachs

Um im niedergelassenen Bereich zu überleben, mussten Sondervereinbarungen geschaffen werden, denn für Anästhesisten war die Schmerztherapie genauso fachfremd wie für Orthopäden, Allgemeinmediziner oder Neurologen. Diese vier Fachgebiete sind im Wesentlichen die Mutterfächer eines Schmerztherapeuten. Durch die weit überwiegende Tätigkeit mit chronisch schmerzkranken Patienten hat sich in aller Stille quasi ein eigenes Fach mit eigenen Fachgesellschaften gebildet: Eine Fachgesellschaft — die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS), heute Deutsche Schmerzgesellschaft (DSG) –widmete sich mehr den Forschungsschwerpunkten. Die andere — das StK, heute Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) — hatte eher die ambulante Versorgung im Fokus. Beide haben zu Beginn des neuen Jahrtausends zusammen den Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland (BVSD) gegründet.

Wachsende Ignoranz der Schmerzmedizin gegenüber

Nun sehe ich auf internen Versammlungen und Kongressen mit wachsender Sorge die Überalterung der Schmerztherapeuten sowie die wachsende Ignoranz gegenüber diesem neuen Fachgebiet. Diese äußert sich darin, dass es keine Bedarfsplanung gibt, sich die Honorierung von KV zu KV sowie zwischen den Fachgebieten deutlich unterscheidet — auch was die Budgets im Sinne der Plausibilitäts- und Prüfvereinbarungen betrifft — und dass es den schon lange geforderten Facharzt (der übrigens viele Probleme lösen würde) weiterhin nicht gibt. Den zunehmenden Mangel in anderen Fachgebieten versucht man mit der Förderung der Facharztweiterbildung bei Hausärzten und bei Fachärzten zu begegnen. Bei den Schmerzmedizinern indes gibt es keine Förderung.

Dies entzieht sich nun vollkommen meinem Verständnis. Wenn man schon sieht, dass Mängel in der Versorgung und Sicherstellung entstehen, dann ergreife ich doch besser frühzeitig Steuerungsmaßnahmen, zum Beispiel eine Förderung der Schmerztherapieweiterbildung, Bedarfsplanung, Steigerung der Attraktivität des Berufs durch Anhebung und Sicherstellung der Vergütung. All dies kann ich nicht erkennen.

Sie haben die Kampagne „Lass Dich nieder“ mit folgendem Ziel gestartet: „Mit der Nachwuchsoffensive ‚Lass dich nieder!‘ wollen die KBV und die Kassenärztlichen Vereinigungen junge Mediziner von dem Weg in die Niederlassung überzeugen. Die Kampagnengesichter auf Großflächenplakaten und Online-Bannern sind selbst angehende Ärzte. Sie wollen andere Medizinstudierende und Ärzte in der Facharztausbildung motivieren, sich später niederzulassen. Hintergrund der Kampagne ist der Ärztemangel, der in einigen Regionen Deutschlands schon heute zu spüren ist. Vor allem niedergelassene Ärzte im hausärztlichen Bereich haben Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden.“ Leider passen Ihre Initiativen, bezieht man sie auf die Schmerztherapie, dabei nicht ins Bild.

Sehenden Auges in die Mangelversorgung?

Ich habe nun bei meiner regionalen KV nachgefragt, ob zumindest regional eine Förderung der Weiterbildung angedacht ist, denn das beschließen bekanntlich die Vertreterversammlungen. Zur Antwort bekam ich, dass man darüber schon nachdenke, nur benötige man eine Direktive aus Berlin, von der KBV. Dies ist auch der Grund, warum ich Ihnen schreibe. Ich kann keinerlei Bewegung erkennen, obwohl wir sehenden Auges in die Mangelversorgung driften. Es gibt in Deutschland, die Zahlen sind bekannt, etwa 20 Millionen Menschen mit chronischen oder ständig wiederkehrenden Schmerzen und 2 Millionen haben solche Schmerzen, dass sie einen spezialisierten und qualifizierten Schmerztherapeuten brauchen. Wenn ich dies weiß und dann sehen muss, wie notdürftig oder gar nicht vorhanden die ergriffenen Maßnahmen sind, dann gestatten Sie, muss ich mir als Pionier der Schmerztherapie, der vielleicht bald in Rente geht, ernsthaft Sorgen machen.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Ihr

San.-Rat Dr. Oliver M.D. Emrich