Entspannungsverfahren spielen für die Behandlung der Migräne eine herausragende Rolle. In der Akuttherapie gibt es bislang vor allem zum Biofeedback-gestützten Vasokonstriktionstraining positive Ergebnisse aus kontrollierten Studien, und bei der Migräneprophylaxe gehören Verhaltenstherapie, progressive Muskelrelaxation und Biofeedback bereits zu den etablierten Techniken, die auch in den einschlägigen Leitlinien empfohlen werden.
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Eine leitliniengerechte Migräneprophylaxe beschränke sich nicht auf Medikamente, sondern beinhalte zusätzlich immer einen verhaltenstherapeutischen Ansatz einschließlich Entspannungsverfahren, erklärt Dr. Sandra Christiansen, Klinik für Anästhesiologie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. Für die progressive Muskelrelaxation (PMR) beispielsweise habe man in neueren Studien nachgewiesen, dass sie die Zahl der Migräneattacken reduziert. Ein bei Migränepatienten typischerweise erhöhter Parameter, der unter PMR ebenfalls heruntergefahren wird, ist die erhöhte kontingente negative Variation (CNV), ein EEG-Parameter, der ein Ausdruck kortikaler Wach-Aktivität ist. Vermutlich ist die erhöhte CNV das Zeichen einer Reizverarbeitungsstörung, die in der Pathophysiologie der Migräne eine maßgebliche Rolle spielt.
Spezifische Belastungsprofile berücksichtigen
Um verhaltenstherapeutische Interventionen in Zukunft noch besser an den Bedarf von Menschen mit Kopfschmerzen anzupassen, ist es notwendig, das spezifische Belastungsprofil der Betroffenen genauer zu evaluieren. Zu diesem Zweck führten Christiansen und Mitforschende eine Studie durch, die insgesamt 1.186 Menschen mit Kopf-, Rücken- oder Ganzkörperschmerzen umfasste. Das Durchschnittsalter in der Kopfschmerzgruppe betrug 42 Jahre und war damit signifikant niedriger als bei den durchschnittlich 51-jährigen Patienten mit Rücken- oder Ganzkörperschmerzen. Der Frauenanteil lag bei 81 % in der Kopf-, 66 % in der Rücken- und 73 % in der Ganzkörperschmerzgruppe. Die durchschnittliche Anzahl der Schmerztage pro Monat lag in der Kopfschmerzgruppe bei 18 Tagen, gegenüber 27 Tagen in den Vergleichsgruppen. Die im Funktionsfragebogen Hannover ermittelte körperliche Leistungsfähigkeit war in der Kopfschmerzgruppe — anders als in den Vergleichsgruppen — kaum eingeschränkt. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente wurde nur von 4 % der Kopfschmerzpatienten angestrebt, gegenüber 12 % der Rücken- und 8 % der Ganzkörperschmerzgruppe. Die Kopfschmerzpatienten blickten auf eine mittlere Krankheitsdauer von 14 Jahren zurück; die Rückenpatienten auf 13 Jahre und die Patienten mit Ganzkörperschmerz auf 9 Jahre.
Lernen, mit dem Schmerz umzugehen
In der Zusammenschau mit anderen Studien könne man, so Christiansen, das Belastungsprofil von Migränepatienten wie folgt umschreiben: Die Betroffenen seien zwar nicht dauerhaft körperlich eingeschränkt, würden aber von ihren Schmerzen plötzlich aus dem Alltag herausgerissen und müssten sich früh damit abfinden, nicht immer einsatzbereit zu sein. Das ginge häufig mit einem erhöhten Bedürfnis nach Kontrolle einher. Primäres Ziel verhaltenstherapeutischer Interventionen bei Migränepatienten sei es daher, mit den spezifischen Herausforderungen der Erkrankung zurechtzukommen, das heißt mit dem Wechsel von Leistungsfähigkeit und Leistungsausfall, mit den Erwartungsängsten vor der nächsten Schmerzattacke und mit dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Entspannungsverfahren können neben anderen verhaltenstherapeutischen Interventionen maßgeblich zum Erreichen dieser Ziele beitragen.
Literatur
Symposium „Fit für die Zukunft: leitliniengerechte verhaltenstherapeutische Behandlung der Migräne“, Deutscher Schmerzkongress, Mannheim, 19.10.2018
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Heim, T.M. Wie spezifisch wirken Entspannungsverfahren?. Schmerzmed. 35, 12 (2019). https://doi.org/10.1007/s00940-019-0973-0
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