FormalPara Leserbrief zu

Netzer FJ (2019) Cyanoacrylatkleber im Leitvenensystem. Komplikation nach der Embolisation von Stammvenen. Gefässchirurgie 24:572–576. https://doi.org/10.1007/s00772-019-00567-6

Erwiderung: Netzer FJ (2020) Langfristige Folgen akzidentieller Instillation von Cyanoacrylat-Kleber ins subfasziale Venensystem. Gefässchirurgie. https://doi.org/10.1007/s00772-019-00603-5

Gemessen am Titel der Publikation, der ja suggeriert, Cyanoacrylat habe sich in sämtlichen Bein- und Beckenvenen verteilt, wird eine doch recht banale Komplikation geschildert: Cyanoacrylat ist bei dem Versuch, die Crosse, die offensichtlich beim konventionellen Ersteingriff stehen gelassen worden war, zu verschließen, einige Millimeter weit in die V. femoralis communis vorgedrungen. Gleichzeitig ist es dem Behandler nicht gelungen, die Crosse wirklich zu verschließen, es persistierte ein Varizenrezidiv. Das ist ein ausgesprochen schlechtes Ergebnis, rechtfertigt aber keineswegs ein derart alarmistisches Auftreten des Autors (und eigentlich auch keinen fünfseitigen Artikel in einem renommierten Journal). Ultraschall zeigt polymerisierte Kleberanteile immer sehr eindrucksvoll, wenn sie von Blut umflossen sind. Die beiden (sehr ordentlichen) Ultraschallbilder in der Publikation zeigen den Befund recht klar. Es wurde in der Abb. 2 eine Cyanoacrylatspange vermessen, die aus der Crosse in die V. fem. com. ragt. Eine „relevante Stenose“ der Leitvene, „starke Wirbelströme“ oder eine Beteiligung der „distalen V. iliaca externa“ ist nicht erkennbar. Bei dem schlanken Patienten lässt sich der Befund mit der Duplexsonographie lückenlos erheben. Weswegen eine CT-Angiographie durchgeführt wurde, bleibt unklar. Das abgedruckte CT-Bild ist zudem wahrscheinlich dasjenige von den vielen Schnitten, das am allerwenigsten aussagekräftig ist. Es bleibt die Vermutung, dass die CTA zur Demonstration des Problems und schon im Hinblick auf eine Publikation durchgeführt wurde. Der Strahlenschutz stand hier nicht im Mittelpunkt.

Die vom Autor durchgeführte Operation mit Freilegung des Crossenrezidivs und dem Plan, nach fünf Jahren ohne Komplikation nun das Cyanoacrylat aus der Crosse herauszuoperieren, ist in ihrer Indikation schwer verständlich, zumal Herr Netzer, der weder Gefäßchirurg noch Phlebologe ist, nach eigenem Bekunden seit mehr als 10 Jahren ausschließlich thermische endovenöse Varizenbehandlungen durchführt und somit keine Expertise in der offenen Reoperation oder gar in der Naht einer Femoralvene hat. Dieser Operationsschritt scheint eher demonstrativen Charakter gehabt zu haben.

Die Spekulationen, wie es zu dem schlechten Ergebnis der Cyanoacrylatbehandlung kam, sind für den Leser der Zeitschrift wenig hilfreich, da es bei Spekulationen bleibt und der Autor mit der technischen Durchführung des Verfahrens offensichtlich nicht vertraut ist. Der vom Hersteller ursprünglich empfohlene Sicherheitsabstand von 4 cm, der von den routinierten Behandlern längst verlassen wurde, um einen bündigen Crossenverschluss zu erreichen, wurde hier sicher nicht eingehalten. Es handelt sich ganz einfach um eine Komplikation bei nicht perfekter oder sogar fehlerhafter Durchführung des Verfahrens, nicht um ein grundsätzliches systematisches Problem. Die bei dem Patienten 1995 stehen gelassene Crosse war auch ein Fehler des Operateurs und kein Nachteil des Verfahrens.

Die Aufforderungen an die Leser, künftig alle Komplikationen dieser Art „offen“ oder sogar „offensiv“ zu berichten, gleiten dann etwas ins Emotionale ab und lassen die Intention des Autors, weswegen dieser fünfseitige Bericht geschrieben wurde, erkennen. Hätte Herr Netzer z. B. die Publikation von Almeida et al. über die ersten 38 Patienten wirklich gelesen (Nr. 10 in seinem Literaturverzeichnis), dann wüsste er, dass Almeida schon bei 21 % der Patienten eine Propagation von Kleber („glue extension“) über die Crosse hinaus in die V. fem. communis gesehen hatte und in keinem Fall eine thromboembolische Komplikation. Genau wie bei dem Patienten im vorliegenden Artikel. Was will uns der Autor also sagen?