Ausgangssituation – Epidemiologie

Die Zahlen sind alarmierend:

  • Jährlich ziehen sich etwa 800.000 Patienten während der stationären Behandlung eine bakterielle Infektion zu, das sind 4,5 % von rund 17,8 Mio. vollstationär behandelter PatientenFootnote 1.

  • Davon entfallen 24,7% auf postoperative Wundinfektionen.

  • Bei 10.000 bis 15.000 Patienten führen nosokomiale Infektionen zum Tod (Letalität = 2,6%, auf Intensivstationen bis zu 10%) [1].

  • Nach Expertenmeinung wären etwa 30% der Infektionen vermeidbar, wenn Hygienevorschriften strikt eingehalten würden [2].

Vermeidbare Infektionen bedeuten potenzielle Haftungsansprüche von Patienten gegen Ärzte und Krankenhäuser (Behandlerseite). Würde in Zukunft nur jeder 10. Patient mit einer vermeidbaren Infektion die Behandlerseite verklagen, stiegen die Schadenersatzklagen pro Jahr um 24.000 Fälle. Das hätte dramatische Folgen für die Versicherbarkeit von Behandlungsrisiken.

Zum Vergleich: Der Vorwurf von Behandlungsfehlern wurde 2012 bundesweit in 12.232 Verfahren vor Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen erhoben.

In Zukunft wird sich der Schwerpunkt von Schadenersatzklagen geschädigter Patienten vom Schuldvorwurf des ärztlichen Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehlers auf den Vorwurf verlagern, dem Krankenhaus sei ein Organisationsverschulden anzulasten, weil vermeidbare Infektionen während der stationären Behandlung aufgetreten sind.

Für Ärzte und Krankenhausträger lautet die Kernfrage: Unter welchen Voraussetzungen führen vermeidbare Infektionen unter den neuen Bedingungen des seit Anfang 2012 geltenden Patientenrechtegesetzes (PatRG) zu Haftungsansprüchen gegen Ärzte und Krankenhäuser?

Verschärfte Haftung nach PatRG durch doppelte Verschuldensvermutung

Wer meint, das PatRG habe lediglich bisheriges Richterrecht in Gesetze umgewandelt, sodass faktisch alles beim Alten bleibt, irrt. Er verkennt, dass mit dem PatRG bei Hygieneschäden und nachgewiesenen Hygienemängeln im Krankenhaus eine Umkehr der Beweislast eingeführt wurde:

Vor Inkrafttreten des PatRG musste der Patient im Schadenersatzprozess den Kausalzusammenhang zwischen Hygienemangel und Infektion darlegen und beweisen. In Zukunft reicht es aus, wenn der Patient im Haftungsprozess einen Körperschaden durch Infektion während der vollstationären Behandlung und das Vorliegen von Hygienemängeln im Krankenhaus behauptet und vom Sachverständigen bestätigen lässt. Dann wird (widerlegbar) vermutet, dass sich mit der Infektion ein vom Krankenhaus beherrschbares Risiko verwirklicht hat (Kausalitätsvermutung) und dass ein Pflichtverstoß des Krankenhausträgers vorliegt (Verschuldensvermutung). Beide Vermutungen können vom Krankenhaus durch Entlastungsbeweis entkräftet werden. Das Krankenhaus kann sich nur durch den Nachweis entlasten, dass sich

  • entweder mit der Infektion ein vom Krankenhaus nicht beherrschbares Risiko verwirklicht hat

  • oder der Infektionstyp zwar zum beherrschbaren Risikobereich des Krankenhauses gehört, jedoch bei der Infektion im konkreten Fall kein zeitlicher und kausaler Zusammenhang mit der Krankenhausbehandlung festgestellt werden kann.

Nosokomiale Infektionen: beherrschbare oder nicht beherrschbare Risiken?

Zum nicht beherrschbaren Risikobereich des Krankenhauses gehören:

  • Infektionen, die auf nicht beeinflussbare (nicht modifizierbare) endogene, patientenbezogene Faktoren wie Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts, mehr als zwei Grunderkrankungen und operative Eingriffe in den letzten 12 Monaten ganz oder teilweise (mitursächlich) zurückzuführen sind, sowie

  • Infektionen gem. § 23 Infektionsschutzgesetz (IfSG), die weder zeitlich noch kausal in einen Zusammenhang mit einem Krankenhausaufenthalt oder Praxisbesuch gebracht werden können.

Zum beherrschbaren Risiko des Krankenhauses gehören demnach nur solche Infektionen, die

  • auf beeinflussbare, exogene Faktoren zurückzuführen sind und

  • nachweisbar im zeitlichen und kausalen Zusammenhang mit dem Krankenhausaufenthalt aufgetreten sind.

Wie gelingt der Entlastungsnachweis bei Infektionen aufgrund exogener Faktoren?

Der zeitliche Zusammenhang fehlt, wenn die Infektion bereits bei der Aufnahme in das Krankenhaus oder in der Inkubationsphase vorhanden war.

Da die Inkubationszeiten einzelner Erreger unterschiedlich lang sind, lässt sich im Einzelfall nur schwer feststellen, ob der Patient bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme besiedelt oder infiziert war, um eine Infektion während des Krankenhausaufenthaltes auszuschließen.

Mindestens ebenso schwer ist es nachzuweisen, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen Infektion und stationärem Krankenhausaufenthalt vorliegt.

Mit einem aufwendigen, über die Routinediagnostik hinausgehenden Genotypisierungsverfahren (Erstellung eines genetischen Fingerabdrucks) lässt sich zwar die Identität der Erreger bestimmen, allerdings nur in seltenen Fällen auch der Ursprung des Erregers. Deshalb wird in der Mehrzahl der Fälle der (fehlende) Kausalzusammenhang nicht nachweisbar sein, weil es trotz Genotypisierung unklar bleibt, wie der Erreger in den Patienten gelangt ist und durch wen oder auf welchem Wege die Übertragung erfolgt ist.

Bedeutung KRINKO-Empfehlungen und Hygienedokumentation

Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert-Koch-Institut.

Um die fatalen Folgen der Vermutungsregeln zu vermeiden, ist es aus der Perspektive des Krankenhauses entscheidend, bereits den Vorwurf des Hygienemangels wirksam zu entkräften.

Dazu muss das Krankenhaus im Haftungsfall darlegen und beweisen, dass es alle technischen und organisatorischen Vorkehrungen getroffen und eingehalten hat, um eine mögliche Keimübertragung von Mensch zu Mensch oder von medizinischen Hilfsmitteln auf den Patienten zu verhindern.

Der Entlastungsbeweis gelingt, wenn das Krankenhaus nachweisen kann, dass die KRINKO-Empfehlungen:

  • Prävention postoperativer Infektionen im Operationsgebiet,

  • Anforderungen der Hygiene bei Operationen und anderen invasiven Einrichtungen,

  • Anhang: Anforderungen beim ambulanten Operieren im Krankenhaus und in der Praxis

und die Empfehlungen der Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (Kommission ART) in innerbetriebliche Verfahrensanweisungen umgesetzt worden sind und die Einhaltung der Hygieneverfahrensanweisungen laufend überwacht wird.

Die Richtlinien besitzen Indizwirkung für die Einhaltung des Standards der medizinischen Wissenschaft (§ 21 Abs. 3 S. 2 IfSG). Es wird vermutet, dass kein Verstoß gegen Hygienevorschriften vorliegt, wenn nachweisbar die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beachtet und die geforderten Hygienemaßnahmen durchgeführt werden.

Nach § 23 Abs. 1 IfSG ist die Krankenhausleitung verpflichtet, die Häufigkeit von nosokomialen Infektionen zu ermitteln und zu bewerten, Maßnahmen zur Infektionsprävention, zur Überwachung nosokomialer Infektionen in Risikobereichen abzuleiten und bakterielle sowie mikrobiologische Erreger mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen im gesamten Krankenhaus zu erfassen.

Die gewonnenen Daten müssen fortlaufend dokumentiert werden und in einer gesonderten Niederschrift abrufbar sein, um einen Vergleich mit früher erhobenen Datenmengen zu ermöglichen.

Das Krankenhaus kann von den Vorgaben der Richtlinien und Empfehlungen nur dann abweichen, wenn dadurch ein höheres Schutzniveau für Patienten und medizinisches Personal erreicht wird.

Maßnahmen zur Einhaltung der Hygienestandards, wie Umsetzung der KRINKO-Empfehlungen in aktuelle Verfahrensanweisungen und Kontrolle der Einhaltung von Hygienemaßnahmen, müssen dokumentiert werden. Ansonsten gilt nach § 630 h BGB die Vermutung, dass erforderliche aber nicht dokumentierte Maßnahmen auch nicht getroffen wurden. Nur selbstverständliche Basismaßnahmen der Hygiene sind von der Dokumentationspflicht ausgenommen.

Recht des Patienten auf Einsicht in Hygienedokumentation?

Im Haftungsprozess sind mit dem Nachweis von Hygienemängeln für den Patienten prozessentscheidende Vorteile und für die Behandlerseite entsprechende Nachteile verbunden. Deshalb besteht aus Patientensicht ein erhebliches Interesse, Hygienedokumentationen einzusehen, um einen Hygienemangel in den Haftungsprozess einführen zu können.

Zur Frage, ob der Patient das Recht hat, die Hygienedokumentation des Krankenhauses einzusehen, gibt es bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Das OLG HammFootnote 3 hat mit zutreffenden Erwägungen ein solches Recht verneint:

Das aus dem Behandlungsvertrag abgeleitete und in § 630 g BGB verbriefte Recht des Patienten, Unterlagen einzusehen, ist auf seine Patientenakte beschränkt.

Aus dem IfSG können keine subjektiven Patientenrechte, auch nicht als Rechtsreflexe, abgeleitet werden. Im IfSG geht es primär um das öffentliche Interesse an der Verbesserung der Krankenhaushygiene und nicht um Patientenrechte und Patientenschutz.

Pflicht, den Patienten über festgestellte Infektionen zu informieren?

Nach § 630 c Abs. 2 S. 2 – 4 BGB hat der Behandelnde den Patienten über eigene und fremde Behandlungsfehler zu informieren.

§ 630 c Abs. 2 Satz 2 BGB regelt zunächst den Fall, dass der Patient den Behandelnden ausdrücklich nach etwaigen Behandlungsfehlern befragt. Dann ist es die Pflicht des Behandelnden, wahrheitsgemäß zu antworten, auch wenn er dabei Gefahr läuft, nicht nur einen Behandlungsfehler von Dritten, sondern auch eigene Fehler offenbaren zu müssen. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Patienten aus dem jeweiligen Behandlungsfehler künftig gesundheitliche Gefahren drohen oder nicht.

Fragt der Patient hingegen nicht ausdrücklich nach, so trifft den Behandelnden die Informationspflicht über erkennbare Behandlungsfehler gemäß § 630 c Abs. 2 Satz 3 BGB nur soweit dies zur Abwendung von gesundheitlichen Gefahren für den Patienten erforderlich ist.

Eine darüber hinausgehende Informationspflicht besteht nicht. So ist der Behandelnde in der Regel nur verpflichtet, den Patienten unaufgefordert über eine Infektion zu unterrichten, wenn die Information erforderlich ist, um gesundheitliche Gefahren von dem Patienten abzuwenden.

Fazit für die Praxis

Hygienemängel im Krankenhaus haben im Haftungsprozess weitreichende Konsequenzen: Nach dem seit 2013 geltenden PatRG wird bei nachgewiesenen Hygienemängeln vermutet, dass ein Infektionsschaden durch den Hygienemangel hervorgerufen wurde. Mit dem Nachweis von Hygienemängeln im Krankenhaus erzielt der Patient im Haftungsprozess bei der Durchsetzung seiner Schadensersatzansprüche einen entscheidenden Etappensieg:

Das Krankenhaus muss sich in diesem Fall von dem Vorwurf, der Hygieneschaden sei pflichtwidrig entstanden, entlasten. Dieser Entlastungsbeweis gelingt bei Infektionen, die auf beeinflussbare, exogene Faktoren zurückzuführen sind, nur unter erschwerten Bedingungen. Deshalb ist für den Ausgang des Haftungsprozesses entscheidend, den Vorwurf zu entkräften, im Krankenhaus herrsche ein Hygienemangel. Das gelingt, wenn mithilfe einer lückenlosen Hygienedokumentation nachgewiesen wird, dass sämtliche aktuellen Hygienevorschriften, insbesondere die KRINKO-Empfehlungen in Verfahrensanweisungen umgesetzt und eingehalten werden.