Das zum 26.02.2013 in Kraft getretene Patientenrechtegesetz beschränkt sich entgegen landläufiger Meinung nicht auf die Kodifizierung bisherigen Richterrechts, sondern verschiebt die in jahrzehntelanger Rechtsprechung entwickelte Balance von materiellen und prozessualen Rechten zulasten des Arztes bei der Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler. Die für Ärzte negativen Auswirkungen des Patientenrechtegesetzes sollen an den Beispielen Hygienemangel und Aufklärung vor BAA-Eingriff verdeutlicht werden.

Zukünftig ist nach dem Patientenrechtegesetz von einem Behandlungsfehler und damit von einer Pflichtverletzung immer dann auszugehen, wenn der Schaden des Patienten aus einer Gefahr herrührt, die dem Herrschafts- und Organisationsbereich des behandelnden Arztes zuzuordnen ist und die Gefahren aus diesem Bereich objektiv voll beherrschbar sind.

Die Vermutung eines Behandlungsfehlers kann der behandelnde Arzt nur durch den Nachweis widerlegen, dass der Eintritt des Schadens für ihn unvermeidbar war. Hierfür ist der Arzt beweispflichtig. Dabei gilt der Erfahrungssatz: Wer die Beweislast hat, verliert mit hoher Wahrscheinlichkeit den Prozess.

Wer die Beweislast hat, verliert mit hoher Wahrscheinlichkeit den Prozess

Gravierende Auswirkung bei Hygienemangel

Wie sich das Patientenrechtegesetz zulasten der Behandlerseite auswirkt, erläutere ich am Beispiel des Hygienemangels.

Bisher hatten der behandelnde Arzt und/oder das Krankenhaus (aus Organisationsverschulden) für die Folgen eines Hygienemangels nur dann einzustehen, wenn die Keimübertragung durch gebotene hygienische Vorsorge zuverlässig hätte verhindert werden können. Die Beweislast traf den durch einen Hygienemangel geschädigten Patienten. Er hatte zu beweisen, dass die Keimübertragung bei Einhaltung der hygienerechtlichen Vorkehrungen vermieden worden wäre.

In Zukunft muss bei einem Hygieneschaden (z. B. MRSA-Befall im Krankenhaus) der behandelnde Arzt und/oder das Krankenhaus beweisen, dass keine Pflichtverletzung vorliegt. Das gelingt nur, wenn nachgewiesen werden kann, dass sämtliche Hygienevorschriften in der aktuellen Fassung beachtet und eingehalten wurden. Bei der Vielzahl von hygienerechtlichen Vorschriften, die ständig aktualisiert werden, keine leichte Aufgabe.

Da nach dem gängigen Chefarztvertragsmuster der Chefarzt für die Hygiene in seiner Abteilung verantwortlich ist, empfehle ich, sich zu Beginn des Jahres von dem Hygienebeauftragten des Krankenhauses bestätigen zu lassen, dass die der Abteilung zur Verfügung gestellten hygienerechtlichen Vorschriften und innerbetrieblichen Hygieneverfahrensanweisungen vollständig sind und der aktuellen Rechtslage entsprechen.

Ändert das Patientenrechtegesetz die Aufklärungspflichten?

Die bisher von der Rechtsprechung festgelegten Aufklärungspflichten werden durch das Patientenrechtegesetz zukünftig gesetzlich geregelt. Im Referentenentwurf war zunächst vorgesehen, dass nur derjenige aufklären darf, der an der Durchführung des Eingriffs beteiligt ist. Weil die Forderung in der Praxis, insbesondere bei der anästhesiologischen Aufklärung, nicht umsetzbar war, wurde sie gestrichen. Nunmehr muss die Aufklärung durch den Behandelnden oder durch einen Arzt erfolgen, der über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Befähigung und Qualifikation zur Durchführung der Operation verfügt (so die amtliche Begründung zu § 630 e Abs. 2 Ziff. 1 BGB).

Auch hierin sehe ich eine Verschärfung der Anforderungen zulasten der Ärzte: Grundsätzlich konnte bisher die Aufklärungspflicht an einen am Eingriff nicht beteiligten Arzt delegiert werden. Der Operateur musste sich in diesen Fällen vor Beginn des Eingriffs durch ein Gespräch mit dem Patienten oder durch Einblick in die Krankenakte davon überzeugen, dass die Aufklärung ordnungsgemäß erfolgt ist und die vom Patienten und vom aufklärenden Arzt unterzeichnete Einverständniserklärung vorliegt.

Auch bei schwierigen und/oder seltenen Eingriffen reichte es aus, dass der aufklärende Arzt den „Eingriff in seiner Gesamtheit erfasst hat und dem Patienten die erforderlichen Entscheidungshilfen im Rahmen der Aufklärung geben kann“ (BGH U. v. 07.11.2006 VI ZR 206/05). Die Aufklärung konnte also auch derjenige vornehmen, der über die entsprechenden Kenntnisse nicht aber über die operative Erfahrung verfügte.

Nach der amtlichen Begründung zum Patientenrechtegesetz wird zusätzlich zu den Kenntnissen, die es dem aufklärenden Arzt ermöglichen, den Eingriff in seiner Gesamtheit zu erfassen, gefordert, dass er befähigt und qualifiziert ist, die Operation selbst durchzuführen. Damit wird die Delegation der Risikoaufklärung an den Assistenzarzt in Zukunft weitgehend entfallen.

Für die Aufklärung vor einem BAA-Eingriff bedeutet das:

Wird die Aufklärung von dem Operateur an einen an der Operation nicht beteiligten Arzt delegiert, ist die Aufklärung in Zukunft nur dann gesichert, wenn der Aufklärende über die in § 4 Abs. 1 der BAA Qualitätsrichtlinie genannten Anforderungen verfügt, er demnach „entsprechend dem technischen und medizinischen Fortschritt mit allen gängigen Verfahren zur Behandlung und Operation von Bauchaortenaneurysmen vertraut ist“.

Fazit für die Praxis

  • Bei Hygienemängeln gilt die Vermutung, dass sich ein Risiko aus dem „voll beherrschbaren“ Organisations- und Gefahrenbereich des Krankenhauses/Arztes verwirklicht hat.

  • Nur wenn sorgfältig dokumentiert wird, dass die Hygienevorschriften eingehalten werden, kann der Entlastungsbeweis geführt werden.

  • Chefärzte, die aufgrund ihrer Verträge für die Hygiene in ihrer Abteilung verantwortlich sind, sollten sich von dem Hygienebeauftragten des Krankenhauses jährlich bestätigen lassen, dass sowohl die verwendeten hygienerechtlichen Vorschriften als auch die Hygieneverfahrensanweisungen vollständig sind und der aktuellen Rechtslage entsprechen.

  • Die Patientenaufklärung kann von dem Operateur in Zukunft nur an einen Arzt delegiert werden, der befähigt ist, den Eingriff selbst auszuführen.

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