Das Jahr 2022 ist noch nicht zu Ende, aber wie schon in den Vorjahren setzt sich der Trend zu immer neuen Wetterextremen fort. Die Nachrichten ähneln sich – auf längere Dürreperioden folgen Starkniederschlagsereignisse mit lokalen Überschwemmungen. Statistische Auswertungen weisen nicht nur auf eine steigende mittlere Lufttemperatur, sondern auch auf eine deutlich steigende Frequenz dieser Wetterphänomene hin. Der Anstieg der mittleren Lufttemperatur bildet sich auch in langfristigen Messungen der Wassertemperatur an Quellen ab. Aus Grundwasserproben kann die Grundwassertemperatur zum Zeitpunkt der Neubildung aus der 18O‑Isotopensignatur des Grundwassers abgeleitet werden. Trägt man diese Daten gegen das aus Tritium-Helium-Messungen ermittelte Grundwasseralter auf, so decken sich diese mit den gemessenen langfristigen Temperaturtrends der Atmosphäre.

Zudem führten Starkniederschlagsereignisse in der jüngeren Vergangenheit stets zu schichtflutartigem Abfließen mit ausgedehnter Bodenerosion und extremen Hochwasserlagen in Flusseinzugsgebieten. Allen diesen Ereignissen ist gemein, dass es zu keiner längerfristigen und nachhaltigen Grundwasserneubildung kommt. Lediglich wenige Karstgrundwasserleiter haben aufgrund ihrer hohen Oberflächeninfiltration hiervon profitiert und sind wieder auf einem Grundwasserstand angelangt, wie er vor den ausgedehnten Trockenjahren vorherrschte. In der Regel führen sich in kurzer Folge wiederholende Trockenwetterperioden jedoch zu einer kontinuierlichen Abnahme der im Oberboden verbliebenen Feuchterücklage. In der Folge entstehen immer häufiger regionale Minderernten und fallende Grundwasserstände. Derzeit sind es noch die eher flachen Grundwassersysteme, die hiervon betroffen sind. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass sich diese Effekte binnen weniger Jahrzehnte auch in tiefere Grundwasserleiter verlagern werden. Angesichts dieser Herausforderungen muss sich die Hydrogeologie von der klassischen Beschreibung des Status Quo hin zur echten Prognosefähigkeit bezüglich der zukünftigen Grundwassersituation in Deutschland weiterentwickeln.

Hierfür bedarf es einer übergreifenden und ganzheitlichen Betrachtung der Kompartimente Grundwasser und Boden. Beide Systeme zeichnen sich durch zeitlich und räumlich unterschiedliche Antwort- und Schwellenwertfunktionen auf einzelne Niederschlagsereignisse aus. Lässt sich die räumliche und zeitliche Feuchteverteilung im Oberboden noch vergleichsweise einfach messtechnisch wie auch modellgestützt ermitteln, so steigen die messtechnischen, konzeptionellen und modellspezifischen Anforderungen mit zunehmender Tiefe an. Schon der Kapillarsaum am Übergang vom Boden- zum Grundwasserkörper ist gegenwärtig messtechnisch nur schwer erfassbar. Der Einfluss von Vegetation, wie zum Beispiel Waldgebiete unterschiedlicher Ausprägung, Dichte und Baumarten, Agrarflächen unterschiedlicher Größe und Nutzung sowie versiegelte Stadtflächen erhöhen die Komplexität der angestrebten ganzheitlichen Systembeschreibung und Prognosefähigkeit erheblich. Es stellt sich daher die grundlegende Frage, wie sich unter Zugrundelegung des globalen Wandels unsere Landschaften in den nächsten 30 bis 50 Jahren verändern werden. Kann diese Prognosefähigkeit überhaupt und mit welcher Genauigkeit für verschiedene Zeiträume erreicht werden, um rechtzeitig erforderliche Maßnahmen einzuleiten?

Fundierte und belastbare Antworten können nur interdisziplinäre Forschungs- und Kooperationsansätze liefern, die auch eines engeren Schulterschlusses zwischen bodenkundlicher und hydrogeologischer Forschung bedürfen. Weiterhin müssen auch die Bodengeophysik und Fernerkundung sowie die Meteorologie, Forst- und Landwirtschaft mit einbezogen werden. Aufbauend auf bereits bekannten Mess- und Untersuchungsmethoden müssen neuartige Strategien für die Quantifizierung des Wasseraustausches zwischen den unterschiedlichsten Kompartimenten wie Atmosphäre, Vegetation, Boden und Grundwasser entwickelt werden. Für die Erfassung des Wasseraustausches zwischen den einzelnen Kompartimenten empfiehlt sich die Anwendung von Isotopenmethoden, z. B. auch im Gelände mittels mobil einsatzbarer Laserspektrometer. In Kombination mit Modellansätzen zur Isotopenfraktionierung können so Austauschprozesse zwischen verschiedenen Kompartimenten quantifiziert werden.

Im Rahmen eines kürzlich in Berlin-Spandau stattgefundenen Isotopen-Kolloquiums wurden hierfür erste eindrucksvolle Messreihen und Modellierungsansätze vorgestellt, die sowohl im Freiland als auch in bewaldeten Einzugsgebieten mit Unterstützung der Bodengeophysik durchgeführt wurden. Alle dort präsentierten Ergebnisse deuten darauf hin, dass die klassischen Modellierungsansätze eher nur für kurz- und mittelfristige Zeiträume richtige Prognosen liefern werden. Für längerfristige Zeiträume sind hingegen neue Ansätze notwendig.

Die rein technische Instrumentierung kompartiment- und systemübergreifender Mess- und Erfassungssysteme wird eine Flut unterschiedlichster Daten erzeugen. Um der Datenflut Herr zu werden, werden in letzter Zeit neben klassischen Modellierungsansätzen vermehrt Strategien des Maschinellen Lernens (ML) bzw. der Künstlichen Intelligenz (KI) herangezogen. Der Vorteil dieser Methoden liegt in der Erkennung systemischer Eigenschaften über Ähnlichkeitsbeziehungen. Schon jetzt ist erkennbar, dass neben Deep-Learning-Modellen hybride Ansätze zunehmend und skalenübergreifend bei der Beschreibung und Modellierung der Boden- und Grundwasserkompartimente an Bedeutung gewinnen. Hierbei werden physikalische Modelle mit KI und somit deren jeweiligen Stärken kombiniert sowie aktiv Informationen während des Modellierungsprozesses ausgetauscht.

Suchen wir also den Austausch und die Diskussion mit den genannten Forschungsrichtungen und Disziplinen. Entsprechende Kontakte und Ideen sollten im Umkehrschluss auch in die Definition neuer Forschungsprogramme einfließen. Diese müssen sowohl den erforderlichen Umbau unserer Wälder als auch die Anpassung unserer Landwirtschaft an die zukünftigen Klimabedingungen berücksichtigen. In den Ballungsräumen bedarf es einer klimaangepassten Retention, Speicherung und Mehrfachnutzung von Oberflächen- wie auch Grundwasserressourcen. Die Ergebnisse und Umsetzung dieser Forschung werden entscheidend für die Anpassung unserer Gesellschaft an den Klimawandel sein.