Die Krebsregistrierung in Deutschland hat sich in den letzten drei Jahrzehnten deutlich verändert. Galt bis in die 1990er-Jahre, abgesehen vom Deutschen Kinderkrebsregister, das Krebsregister des Saarlands vor allem im internationalen Kontext noch als Referenz für Deutschland, erreichte die bevölkerungsbezogene Krebsregistrierung im Jahr 2009 die bundesweite Flächendeckung. Damit war nicht nur eine deutlich breitere Datenbasis, sondern auch die Voraussetzung für Analysen regionaler Unterschiede zur Krebsepidemiologie in Deutschland geschaffen.

Die Krebsregistrierung in Deutschland hat sich in den letzten drei Jahrzehnten deutlich verändert

Nur vier Jahre später folgte durch das aus den Beratungen zum Nationalen Krebsplan entstandene Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz (KFRG) eine deutliche Erweiterung der Aufgaben: Die Krebsregister, die bisher in erster Linie Daten zum Diagnose- und Sterbezeitpunkt erhoben hatten, erfassen nun in einem einheitlichen Datensatz Angaben im gesamten Verlauf der Erkrankung und damit auch zu allen tumorbezogenen Therapien.

In den folgenden Jahren war viel Aufbau- und Abstimmungsarbeit in und zwischen den Landeskrebsregistern nötig, um dieses, auch im internationalen Maßstab, hochambitionierte Ziel umzusetzen.

Rund 10 Jahre nach Einführung des KFRG ist nun ein guter Zeitpunkt gekommen, eine erste Bilanz zu ziehen. Der Schwerpunkt des vorliegenden Themenhefts liegt darin, das breite Aufgabenspektrum der Krebsregister, das von der Qualitätssicherung, der Bereitstellung von Daten und Ergebnissen für die Versorgung über die Unterstützung der Forschung bis zur epidemiologischen Berichterstattung und der Mitwirkung an der Evaluation organisierter Krebsfrüherkennungsprogramme reicht, aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.

V. Arndt und S. Siesling erweitern mit ihrem Beitrag zunächst den Blick auf Europa: Das Europäische Netzwerk der Krebsregister (European Network of Cancer Registries [ENCR]) fördert die Zusammenarbeit zwischen Krebsregistern, legt Standards für die Datenerfassung fest, bietet Schulungen für Mitarbeiter von Krebsregistern an und veröffentlicht regelmäßig Daten zu Krebsinzidenz und -mortalität in Europa über das Europäische Krebsinformationssystem (ECIS). Die Autoren stellen jedoch erhebliche Unterschiede in der Qualität und in der jeweiligen landesweiten Flächendeckung der inzwischen über 180 bevölkerungsbezogenen europäischen Krebsregister fest. Zwar ist der Erfassungsgrad steigend, aber dennoch wird circa ein Drittel der Bevölkerung in Europa noch nicht von einer bevölkerungsbezogenen Krebsregistrierung abgedeckt. Durch noch unzureichende Harmonisierung und Vergleichbarkeit der Verfahren und Daten sowie durch heterogene Rechtsvorschriften, die die Möglichkeiten der Krebsregister zur Vernetzung, Zusammenarbeit und Teilnahme an der Forschung einschränken, bedarf es gerade auch im Hinblick auf den europäischen Gesundheitsdatenraum weiterer Anstrengungen.

C. Kowalski und Koautor*innen gehen in ihrem Beitrag auf das Potenzial einer Zusammenarbeit von Krebsregistern und zertifizierten Zentren ein. Sie stellen die Entwicklung beider Instrumente zur Qualitätssicherung der onkologischen Versorgung dar. Die Zentren erheben Kennzahlen und Daten des onkologischen Basisdatensatzes für die Zertifizierung. Die klinischen Krebsregister liefern zusätzlich Follow-up-Daten. Die Zusammenführung der Daten aus beiden Quellen hat ein Potenzial, das deutlich über die Qualitätssicherung hinausgeht. Die flexiblere Dokumentation für die Zertifizierung eröffnet durch die Zusammenführung mit den Verlaufsdaten der Register Möglichkeiten für die Evidenzgenerierung aus versorgungsnahen Daten. Die Autoren*innen legen dafür Beispiele von Forschungsprojekten vor, die diese Möglichkeit exemplarisch aufzeigen.

Die COVID-19-Pandemie hat die Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen auch in Deutschland zumindest zweitweise spürbar beeinträchtigt, es ist aber derzeit noch unklar, inwieweit sich dies auf die Prognose der Betroffenen ausgewirkt hat. Im Beitrag von M. Imhoff und Koautoren wird zusammenfassend dargestellt, was die Krebsregister bisher zur Beantwortung dieser Fragen veröffentlicht haben und in den nächsten Jahren noch beitragen werden.

Nutzungsmöglichkeiten der Daten von Krebsregistern in Bezug auf die Prognose nach Tumorerkrankungen werden von B. Holleczek und Koautoren anhand von drei Beispielauswertungen aus den Krebsregistern Hamburg und Saarland exemplarisch dargestellt. Dabei zeigen die Autoren deutlich, wie wichtig die Kenntnis der Stärken und Limitationen dieser Daten und die damit verbundene Auswahl an Methoden ist. Vergleiche der Prognose von Patient*Innen mit unterschiedlichen Therapieansätzen mittels Krebsregisterdaten erfordern beispielsweise das Einbeziehen von Einflussfaktoren wie Multimorbidität, Auswirkungen von „immortal time bias“ und Vollzähligkeit der Daten und des Follow-ups. Insgesamt sind für aussagekräftige, relevante Ergebnisse die Analysen jeweils an klinische Subgruppen, Letalität der Erkrankung und Art des Endpunkts anzupassen, um Scheinkorrelationen zu vermeiden.

A. Katalinic und Koautoren beschreiben die Möglichkeiten, aber auch die noch bestehenden Hürden bei der Forschung mit Krebsregistern. Eine wachsende Zahl jährlicher Publikationen auf Basis der deutschen Daten wird als ermutigend angesehen, gleichzeitig erscheinen Probleme, die sich aus hohen Datenschutzanforderungen ergeben, noch nicht befriedigend gelöst, was für manche wissenschaftlich sinnvollen Projekte hohe, manchmal nicht zu überwindende Hürden aufbaut. Gesetzesinitiativen wie das Gesundheitsdatennutzungsgesetz und der europäische Gesundheitsdatenraum könnten, wenn sie umgesetzt werden, die Situation mittelfristig verbessern, vor allem bezüglich der Verknüpfung mit anderen Datenkörpern.

Dieser Aspekt wäre auch in regulatorischer Sicht relevant: V. Vervölgyi und T. Kaiser beschreiben den Bedarf an anwendungsbegleitenden Datenerhebungen für die Nutzenbewertung von Orphan Drugs. Die Autoren sehen die Krebsregister perspektivisch als ideale Datenquelle, doch reicht der Datenumfang des onkologischen Basisdatensatzes hierfür nicht für alle Fragestellungen aus und es fehlt derzeit in den meisten der Landeskrebsregister noch die gesetzliche Möglichkeit, für solche Studien zusätzliche Daten zu erheben oder durch Verlinkung zu generieren.

M. Klora und Koautor*innen stellen die Rolle der Landeskrebsregister zur Abbildung einer flächendeckenden onkologischen Qualitätssicherung dar. Durch das KFRG von 2013 wurde die Voraussetzung für eine umfassende onkologische Qualitätssicherung durch die Landeskrebsregister geschaffen. Sie wird derzeit bereits genutzt und stellt eine wesentliche Komponente des Qualitätszyklus Onkologie dar, indem sie Daten aus der onkologischen Versorgung und damit aus den von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierten onkologischen Zentren erfasst. Die Grundlage der klinischen Versorgung in onkologischen Zentren stellen S3-Leitlinien zu diversen Tumorentitäten dar. In diesen wurden Qualitätsindikatoren konsentiert. Die Autor*innen stellen am Beispiel des Lungen- und Zervixkarzinoms dar, dass es mithilfe von Landeskrebsregistern möglich ist, Behandlungsqualität zu beurteilen.

Mit der Verabschiedung des Gesetzes „zur Zusammenführung von Krebsregisterdaten“ im August 2021 erhielten die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT), die Deutsche Krebsgesellschaft, die Krebsregister, die Deutsche Krebshilfe, das Zentrum für Krebsregisterdaten (ZfKD) sowie Vertretende von Patient*innenorganisationen den gesetzlichen Auftrag, ein Konzept zur Schaffung einer Plattform zu entwickeln, deren Ziel es ist, Daten aus den Krebsregistern der Länder zusammenzuführen sowie die Verknüpfung von Krebsregisterdaten mit anderen Daten zu ermöglichen. Durch Bereitstellung einer qualitätsgesicherten Datenbasis und Förderung von Analysekompetenz soll die Plattform dazu beitragen, den Nutzungsgrad von Krebsregisterdaten zur Beantwortung drängender Fragen der Krebsforschung zu steigern und sie damit noch nützlicher für die Behandlung von Krebspatient*innen zu machen.

Für die Schriftleitung

Klaus Kraywinkel

Sylke Zeißig

Olaf Ortmann

Für die Herausgebenden

Klaus Höffken