Nichtmuskelinvasives Harnblasenkarzinom (NMIBC)
Derzeit basiert die prognostische Einschätzung (Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens und der Progression) von NMIBC insbesondere auf klinischen und pathologischen Merkmalen wie Tumorgradierung, Tumorstadium, Tumorgröße, Anzahl der Tumoren und vorausgegangener Rezidive sowie begleitendes Carcinoma in situ (CIS; [23, 24]). Molekulare Biomarker spielen bisher in der klinischen Praxis keine wesentliche Rolle.
Die in der Literatur beschriebenen gewebebasierten molekularen Biomarker werden im Folgenden erläutert.
Prognostische gewebebasierte Biomarker – Rezidiv
Als Biomarker zur Vorhersage eines Rezidivs ist die Bedeutung von TP53-Mutationen am ausführlichsten untersucht worden. Die Studienergebnisse sind jedoch widersprüchlich [25,26,27]. Auch in einer 26 Gene umfassenden Signaturanalyse beim NMIBC ergab sich keine Korrelation mit dem Auftreten von Rezidiven [28]. Hingegen haben van Rhijn et al. die Kombination des FGFR3-Mutationsstatus und die immunhistochemische MIB-1-Expression als unabhängigen Prädiktor der Rezidivrate beschrieben [29]. In neueren Publikationen wird die Expression bestimmter micro RNAs (miRNAs) als Biomarker für Tumorrezidive diskutiert [30,31,32].
Prognostische gewebebasierte Biomarker – Progression
Verschiedene gewebebasierte Biomarker haben sich in Bezug auf eine Progression für das NMIBC als klinisch relevant erwiesen. Wolf et al. konnten zeigen, dass die immunhistochemische Überexpression von p53 und Bcl‑2 mit einem aggressiven Verlauf von pT1-G3-Karzinomen assoziiert war und damit Patienten für eine radikale Zystektomie qualifizieren [33]. In anderen Arbeiten korrelierte die Kombination aus den immunhistochemischen Markern p53, p21, p27, pRB, MMP‑2 und PAI‑1 mit der Progression und dem Überleben [27, 34]. Daneben erwiesen sich sowohl der FGFR3-Mutationsstatus in high-grade NMIBCs [35] als auch der FGFR3-Mutationsstatus in Kombination mit der immunhistochemischen MIB-1-Expression [29] und dem Methylierungsstatus von GATA2 [36] als signifikante Parameter zur Vorhersage einer Tumorprogression.
Auch die zuvor beschriebenen molekularen Subtypen des NMIBC bieten eine Grundlage, um Tumorrezidive und -progression vorherzusagen. Für eine klinische Anwendbarkeit sind jedoch noch weitere klinische Studien nötig.
Prädiktive gewebebasierte Biomarker – Ansprechen auf BCG-Therapie
Nur wenige Studien haben bisher den prädiktiven Wert von Biomarkern in Hinblick auf das Ansprechen einer intravesikalen Therapie, wie der BCG-Behandlung, untersucht.
Pietzak et al. beobachteten, dass NMIBCs, die eine ARID1A-Mutation aufwiesen, mit einem erhöhten Rezidivrisiko nach BCG-Therapie assoziiert waren [37]. In einer kleinen Studie mit 25 NMIBCs war eine niedrige Tumormutationslast (TMB) signifikant mit einer vermehrten Progression unter BCG-Therapie verbunden [38]. Malmström et al. untersuchten die immunhistochemische Expression von Ezrin, CK20 und Ki-67 als Prädiktoren für das Ansprechen auf eine BCG-Therapie und einer intravesikalen Chemotherapie, jedoch war keiner der Biomarker in der Lage, ein Ansprechen vorherzusagen [39].
Muskelinvasives Harnblasenkarzinom (MIBC)
Prognostische gewebebasierte Biomarker
Verschiedene Biomarker wurden auf die Assoziation eines MIBC mit dem Wiederauftreten und Überleben nach einer radikalen Zystektomie untersucht. Dabei konnten für die immunhistochemische Expression von p53 [40], RB1 [41] und Survivin [42] signifikante Zusammenhänge festgestellt werden. Für die Expression des humanen epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptor 2 (HER2) ergaben sich hingegen widersprüchliche Ergebnisse [43, 44]. Neben singulären Markern wurden auch Markerkombinationen geprüft. So war die Anzahl der alterierten Marker bestehend aus p53, pRB, p21, p27, and Cyclin E1 bei Patienten mit einem MIBC nach radikaler Zystektomie und bilateraler Lymphadenektomie mit dem Wiederauftreten und Überleben verknüpft [45]. Schließlich haben sich auch die von Kamoun et al. beschriebenen molekularen Subtypen des MIBC als prognostische bedeutsam erwiesen. Karzinome der LumP-Gruppe waren mit dem längsten, hingegen Karzinome der NE-like-Gruppe mit dem kürzesten medianen Gesamtüberleben assoziiert [22].
Prädiktive gewebebasierte Biomarker
Nachfolgend werden die wichtigsten prädiktive Biomarker des MIBC erläutert, welche auch in Tab. 1 zusammengefasst dargestellt sind.
Tab. 1 Relevante prädiktive Biomarker des muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms (MIBC)
PD-L1-Expression.
In Deutschland kann eine Immuntherapie in der Erst- und Zweitlinienbehandlung von lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinomen bei erwachsenen Patienten unter bestimmten Voraussetzungen angewendet werden.
Eine Erstlinien-Monotherapie mit den Substanzen Atezolizumab und Pembrolizumab ist nur für Cisplatin-ungeeignete Patienten, deren Tumoren eine positive PD-L1-Expression aufweisen, zugelassen. Die Beurteilung der PD-L1-Expression erfordert in der Pathologie eine komplexe Auswertung mit je nach Medikament unterschiedlichen „Scoring“-Systemen („immune cell score versus combined positive score“). Für Pembrolizumab gilt als positive PD-L1-Expression ein „combined positive score“ (CPS) ≥ 10; für Atezolizumab ein Flächenanteil tumorinfiltrierender Immunzellen von ≥ 5 % (IC2/3). Eine Immuntherapie in zweiter Linie (nach einer platinhaltigen Chemotherapie) mittels Atezolizumab, Pembrolizumab oder Nivolumab kann ohne zusätzliche PD-L1-Testung erfolgen [46, 47].
Die Vorhersage eines Immuntherapie-Ansprechens stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. So korreliert zwar eine PD-L1-Expression mit höheren Ansprechraten, jedoch spricht auch ein großer Teil der Patienten mit einer hohen PD-L1-Expression nicht auf eine Immuntherapie an. Andererseits können Patienten mit einem PD-L1-negativ getesteten Tumor teilweise auch von einer Immuntherapie profitieren (eingeschränkter prädiktiver Wert). Da eine Immuntherapie teils mit signifikanten Nebenwirkungen assoziiert ist, wäre es wünschenswert, in Zukunft Biomarker insbesondere mit einem hohem negativem Vorhersagewert verfügbar zu haben, um Patienten, die nicht auf eine Immuntherapie ansprechen, ausschließen zu können. Für die immunhistochemische PD-L1-Testung besteht, anders als in den USA, in Deutschland eine freie Plattform- und Antikörperauswahl im Rahmen validierter Testsysteme (Tab. 2). Verschiedene Studien konnten weitgehend übereinstimmende Färbeergebnisse mit den Antikörper-Klonen 22C3, SP263, 28–8, SP142 und E1L3N zeigen [48, 49].
Tab. 2 Immuntherapeutika und PD-L1-Testung bei Urothelkarzinomen
Mikrosatelliteninstabilität (MSI).
Einen weiteren prädiktiven Marker für das Ansprechen auf eine Immuntherapie stellt der Nachweis einer hohen Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) bzw. der Mismatch-Reparaturprotein-Defizienz (dMMR) dar. Eine Zulassung für das MIBC wurde bisher nur von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) im Rahmen der tumoragnostischen Zulassung von Pembrolizumab für die Behandlung aller inoperablen oder metastasierten soliden Tumoren mit MSI-H/dMMR in den USA erteilt [50]. Die Europäische Medicines Agency (EMA) hat sich dieser Zulassung nicht angeschlossen. Bei MIBC lässt sich ein MSI-H/dMMR in ca. 0,5–3 % nachweisen [51,52,53]. Iyer et al. untersuchten in einer Studie 424 Urothelkarzinome mittels NGS (Next Generation Sequencig) und stellten eine MSI‑H in 3 % der Tumoren fest. Alle detektierten MSH-H-Fälle (n = 5) zeigten eine erhöhte TMB, ein sehr gutes Ansprechen auf Immuntherapie und ein verlängertes Überleben [51]. Diese Daten passen zu den Ergebnissen von Le et al., die das Ansprechen einer Immuntherapie anhand unterschiedlicher MSI-H-Karzinomen (insgesamt 12 Tumortypen) untersuchten und dabei eine radiologische Ansprechrate von 53 % und einer Tumorrückbildung bei 21 % der Patienten feststellen konnten [54].
Für den Nachweis von MSI‑H bzw. dMMR stehen neben der Immunhistochemie (MLH1, PSM2, MSH2 und MSH6), PCR- (Bethesda-Panel) sowie NGS-basierte Verfahren zur Verfügung, die sich zum Teil in Form eines Testalgorithmus kombinieren lassen [55].
Tumormutationslast (TMB).
Einen weiteren immuntherapeutisch prädiktiven Biomarker stellt die TMB dar. Derzeit liegt lediglich in den USA eine tumoragnostische Zulassung für eine Immuntherapie aufgrund eines erhöhten TMB-Wertes vor [56, 57]. In Deutschland ist ein erhöhter TMB-Wert bisher kein anerkanntes Zulassungskriterium für eine Immuntherapie beim MIBC. Jedoch konnte in der IMvigor210-Studie gezeigt werden, dass MIBCs, die auf eine Atezolizumab-Therapie ansprachen, eine signifikant höhere mittlere Mutationslast aufwiesen [58]. Auch für den TMB wurde, ähnlich wie für die PD-L1-Expression, ein limitierter negativ prädiktiver Wert beschrieben, sodass auch Patienten mit niedriger TMB ansprechen können.
Nach wie vor bestehen bei der Bestimmung des TMB-Wertes erhebliche Herausforderungen
Nach wie vor bestehen bei der Bestimmung des TMB-Wertes erhebliche Herausforderungen insbesondere im Hinblick auf inkludierte genetische Alterationen, Grenzwerte, Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Plattformen, Sequenziertiefe und Notwendigkeit der Normalgewebesequenzierung [59].
FGFR2/3-Veränderungen.
Im April 2019 wurde in den USA der FGFR-Inhibitor Erdafitinib von der FDA bei Erwachsenen mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom mit genetischen FGFR2/3-Veränderungen und Progress während oder nach platinhaltiger Therapie zugelassen. In einer Phase-II-Studie konnte eine Gesamtansprechrate von 40 % im entsprechenden Patientengut erreicht werden [9]. Parallel wurde auch eine Companion-Diagnostik zur FGFR-Testung mittels therascreen® FGFR RGQ RT-PCR Kit (Qiagen, Hilden) von der FDA zugelassen; [60]). Der Test detektiert 4 Punktmutationen im FGFR3-Gen und insgesamt 5 Translokationen der Gene FGFR2 und 3. FGFR3-Mutationen oder -Translokationen können in etwa 15 % der MIBCs nachgewiesen werden [21].
FGFR3-Mutationen/-Translokationen können in etwa 15 % der MIBCs nachgewiesen werden
Aktuell ist Erdafitinib in Deutschland (noch) nicht für diese Indikation zugelassen. Interessanterweise finden sich FGFR3-Genveränderungen hauptsächlich bei Tumoren mit dem molekularen Subtyp LumP, die oft immunologisch kalt sind und schlecht auf Immuntherapie ansprechen.
Adjuvante und neoadjuvante Chemotherapie.
Zur Vorhersage des Ansprechens einer adjuvanten Chemotherapie (CT) sind insbesondere Alterationen in den DDR(„DNA damage response and repair“)-Genen, wie z. B. BRCA‑1, BRCA‑2, RAD51, PAR, PARP1, etc., ein wichtiger prädiktiver Marker. In einer Studie von Teo et al. wurde Tumorgewebe von 100 Patienten mit einem nicht respektablen lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinom vor Beginn einer CT sequenziert. Bei denjenigen mit einer Mutation in einem oder mehreren DDR-Genen (n = 47) zeigten sich ein verbessertes progressionsfreies Überleben und Gesamtüberleben [61]. Daneben wurden weitere prädiktive Biomarker für das Ansprechen einer CT beschrieben. Dazu gehören u. a. Emmprin und Survivin [62], „piwi like RNA-mediated gene silencing 2“ (Piwil2; [63]), „multidrug resistance gene 1“ (MDR1) und „excision repair cross-complementing 1“ (ERCC1) [64] sowie „transcription factor AP-2α“ (TFAP2α; [65]).
Daneben wurden zahlreiche Biomarker auf ihre prädiktive Aussagekraft in Bezug auf ein Ansprechen einer neoadjuvanten Cisplatin-basierte Chemotherapie (NAC) untersucht.
Ein signifikantes erhöhtes Ansprechen auf eine NAC sowie ein verlängertes Gesamtüberleben (OS) wurde bei Patienten mit niedrigen/mittleren BRCA1-mRNA-Expressionswerten in MIBC beobachtet [66]. Plimack et al. konnten zeigen, dass-Mutationen in einem oder mehreren der DNA-Reparaturgene ATM, RB1 und FANCC mit einem erhöhten Ansprechen auf eine NAC sowie mit einem besseren OS in MIBC einhergingen [67]. Tumorgewebe von Patienten mit vollständigem (ypT0N0) und ohne/geringem Ansprechen (mindestens ypT2) auf eine NAC wurde von Groenendijk et al. sequenziert. Dabei zeigte sich, dass 9 der 38 Patienten mit vollständigem Ansprechen ERBB2-Mutationen aufwiesen, jedoch keiner der 33 Nonresponder [68]. In einer Studie von Pietzak et al. wurde berichtet, dass Patienten mit einem primären, d. h. bereits bei der Initialdiagnose muskelinvasiven Harnblasenkarzinom, von einer platinhaltigen NAC profitierten. Patienten mit einem sekundären Urothelkarzinom hingegen, welches sich aus einem primär nichtmuskelinvasiven Tumor entwickelte, zeigten ein ungünstigeres Überleben unter NAC [69]. Unterschiedliche Arbeiten konnten signifikant vermehrt Mutationen im Gen ERCC-excision-repair‑2 (ERCC2) in MIBC nachweisen, die auf eine NAC ansprachen [70, 71]. MIBCs, die der luminal nichtspezifizierten (LumNS) und basal/squamösen (Ba/Sq) molekularen Subgruppe nach Kamoun et al. zugeordnet werden konnten, zeigten ein besseres Gesamtüberleben nach NAC [22].
MIBCs der LumNS- und der Ba/Sq-Subgruppe zeigten nach NAC ein besseres Gesamtüberleben
Allerdings ist zum jetzigen Zeitpunkt die Anwendung der genannten chemotherapeutisch prädiktiven Marker nicht verpflichtend und spielt daher im klinischen Alltag eine untergeordnete Rolle.
Ausblick.
Am 9. Juli 2021 bzw. 13. April 2022 erteilten die FDA bzw. die EMA die Zulassung für eine weitere zielgerichtete Therapie mit dem Wirkstoff Enfortumab-Vedotin, ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat bestehend aus einem Nectin-4-Antikörper und einem Mikrotubuli-Inhibitor. Dafür kommen erwachsene Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom infrage, die entweder zuvor einen PD-1/PD-L1-Inhibitor und eine platinhaltige Chemotherapie erhalten haben oder für eine cisplatinhaltige Chemotherapie nicht geeignet sind und bereits eine oder mehrere vorherige Therapielinien erhalten haben. Eine prädiktive Gewebetestung ist jedoch keine Voraussetzung für die Verabreichung dieses Medikaments [10, 72, 73].
Alterationen in DDR-Genen lassen sich in ca. 25 % [21] aller MIBCs nachweisen, jedoch konnte überraschenderweise in bisherigen Studien die Wirksamkeit von PARP (Poly-ADP-Ribose-Polymerase)-Inhibitoren nicht nachgewiesen werden [74, 75].