Zusammenfassung
Tumoren vor dem 50. Lebensjahr, spezielle Tumorentitäten bzw. eine Tumorhäufung bei einzelnen Personen oder bei mehreren Personen derselben Familie legen den Verdacht auf eine erblich bedingte Tumorerkrankung nahe. Betroffenen Personen oder Angehörigen sollte eine genetische Beratung und/oder Diagnostik bezüglich einer genetischen Prädisposition angeboten werden. Die Diagnostik erfolgt in der Regel im Rahmen einer Hochdurchsatzsequenzierung und ermöglicht so die Analyse einer Vielzahl bekannter Tumorprädispositionsgene gleichzeitig. Dabei können Basenaustausche, kleine Deletionen und Duplikationen wie auch exonüberspannende Deletionen und Duplikationen detektiert werden. Dieser Ansatz erlaubt eine umfängliche Diagnostik in kurzer Zeit, sodass ein Befund in der Regel nach etwa 2–3 Wochen vorliegt. Das Ergebnis dieser genetischen Diagnostik erlaubt eine gezielte Beratung der Familie und kann gegebenenfalls individuelle Präventions- und Therapieoptionen ermöglichen.
Abstract
Early onset cancer development, multiple tumors within one person, or one family with the same type of cancer are suggestive of hereditary cancer predisposition syndromes. Genetic counselling and/or diagnostics should be offered to affected people or people at risk. Today, next generation sequencing is the method of choice to analyze most of the causative genes. Single nucleotide variants, small deletions and duplications as well as larger (exon spanning) deletions and duplications can be detected within 2–3 weeks. Results enable the counsellor/physician to inform the patient and the family about individual therapeutic options, recurrence risk and the possibility of preventive procedures.
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Wissenschaftliche Leitung
H. Christiansen, Hannover
I. Gockel, Leipzig
M.-O. Grimm, Jena
A. Hasenburg, Mainz
A. Hochhaus, Jena
R. Hofheinz, Mannheim
F. Lordick, Leipzig
C. Röcken, Kiel
D. Schadendorf, Essen
M. Untch, Berlin
M. Mertens und I. Schumann sind gleichberechtigte Erstautorinnen.
V. Strehlow und J. Hentschel sind gleichberechtigte Letztautor:innen.
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CME-Fragebogen
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Welche Aussage zur genetischen Prädisposition und somatischen Tumorentstehung trifft am ehesten zu?
Bei einer genetischen Tumorprädisposition liegt der „first hit“ bereits seit Befruchtung in allen Körperzellen vor.
Bei sporadischen Tumoren liegt der „first hit“ bereits seit Befruchtung in allen Körperzellen vor.
Der „first hit“ spielt in der Unterscheidung zwischen sporadisch und genetisch bedingten Tumoren keine Rolle.
Umwelteinflüsse sind für die Entstehung von genetisch bedingten Tumoren irrelevant.
Der „second hit“ ist nie somatisch.
Welche der aufgeführten Personen ist eine genetische Beratung vor genetischer Diagnostik anzubieten?
65-jährige Patientin mit metastasiertem Ovarialkarzinom
72-jähriger Patient mit metastasiertem Prostatakarzinom
20-jährige, gesunde Patientin mit pathogener CHEK2-Variante in der Familienanamnese.
40-jährige Patientin mit Mammakarzinom
70-jährige Patientin mit Ovarialkarzinom und drei am Mammakarzinom erkrankten Verwandten
Zu Ihnen kommt ein 20-jähriger gesunder Ratsuchender ohne Vorerkrankungen. Er berichtet, dass bei seiner älteren Schwester eine pathogene Keimbahnvariante in MSH6 diagnostiziert wurde. Was wird für eine genetische Diagnostik im vorliegenden prädiktiven Setting nicht benötigt?
Unterschriebene Einwilligungserklärung
Genetische Beratung
Tumormaterial der Schwester
Angaben zur familiär bekannten pathogenen Variante in MSH6
Ethylendiamintetraessigsäure(EDTA)-Blut
Welche genetische Analysemethode wird am ehesten zur gezielten Diagnostik auf eine in der Familie vorbekannte Variante verwendet?
Sanger-Sequenzierung
Genomsequenzierung
Analyse aus Tumormaterial
Next-Generation-Sequencing
Chromosomenanalyse
Für Träger:innen einer pathogenen Variante in welchem Gen kann bei bestimmten Tumorerkrankungen eine Behandlung mit Poly-(ADP-Ribose)-Polymerase(PARP)-Inhibitoren infrage kommen?
BRCA2
MUTYH
TP53
KIF11
GRIN2A
Bei Ihnen stellt sich eine gesunde Ratsuchende vor. Die genetische Diagnostik erbrachte bei ihr eine pathogene Variante in BRCA1. Sie fragt nach Möglichkeiten zur Prävention einer Tumorerkrankung. Welche Aussage trifft nicht zu?
Die Patientin sollte in das Intensivierte Früh- und Nachsorgeprogramm des Deutschen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs aufgenommen werden.
Es besteht die Option zu risikoreduzierenden Operationen.
Eine Therapie mit Poly-(ADP-Ribose)-Polymerase(PARP)-Inhibitoren kann als Tertiärprävention in Betracht kommen.
Es besteht die Möglichkeit der Wahrnehmung der Krebsfrüherkennungsuntersuchungen der Regelversorgung.
Jährliche Bestimmung des Tumormarkers CA15‑3 zum Screening.
Welche Aussage über die Lebenszeitrisikoangabe bei Tumorerkrankungen ist nicht zutreffend?
Lebenszeitrisiken bei genetisch bedingten Tumorprädispositionen sind meistens kumulative Risikoangaben.
Lebenszeitrisiken werden aus dem Quotienten von Erkrankten und der Population von Personen im Alter bis zu 80 Jahren errechnet.
Individuelle Risikoangaben sind besser zur Risikovermittlung für Patient:innen geeignet als die Angabe von Lebenszeitrisiken.
Lebenszeitrisiken sind hilfreich zum Beschreiben einer bestimmten Personengruppe.
Lebenszeitrisiken steigen mit zunehmendem Alter an.
Bei Ihrer 45-jährigen Patientin diagnostizieren Sie eine Raumforderung im Bereich der Nebenniere. In Zusammenhang mit den paraklinisch erhobenen Werten besteht der Verdacht auf ein Phäochromozytom. Die Patientin berichtet Ihnen von einer Cousine mit einer ähnlichen Erkrankung und einer Tumorerkrankung der Schilddrüse bei ihrer Großmutter. An welche familiäre Tumorprädisposition denken Sie?
Familiärer Brust- und Eierstockkrebs
Hereditäres, nicht-polypöses Kolonkarzinom
Li-Fraumeni-Syndrom
Multiple endokrine Neoplasie
Hereditärer diffuser Magenkrebs
Welche Aussage zum Polygenic Risk Score ist zutreffend?
Der Polygenic Risk Score kann Aussagen über die Dauer einer Remissionszeit liefern.
Der Polygenic Risk Score steht nur Patient:innen mit Magenkarzinomerkrankungen zur Verfügung.
Der Polygenic Risk Score basiert auf monogenen Varianten.
Der Polygenic Risk Score kann das ungefähre Erkrankungsalter im Laufe des Lebens angeben.
Der Polygenic Risk Score basiert auf Varianten in einer Vielzahl von Loci.
Bei Ihnen stellen sich die Eltern und ihr 10-jähriger Sohn vor, der aufgrund einer Leukenzephalopathie eine Stammzelltransplantation erhalten hat. Was trifft am ehesten zu? Was sollte bei Patient:innen nach Stammzelltransplantation beachtet werden?
Eine Keimbahndiagnostik aus Blut ist nur im Falle eines Rezidivs möglich.
Eine Keimbahndiagnostik ist unabhängig vom Material durchführbar und aussagekräftig.
Eine Keimbahndiagnostik kann nach Stammzelltransplantation nicht mehr durchgeführt werden.
Eine Keimbahndiagnostik ist für Personen nach Stammzelltransplantation nicht mehr notwendig, es sollte stattdessen der Spender untersucht werden.
Eine Keimbahndiagnostik sollte anhand mehrerer Gewebeproben in Zusammenschau mit der DNA des Spenders erfolgen.
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Mertens, M., Schumann, I., Stiller, M. et al. Genetische Tumorprädispositionssyndrome. Onkologie 28, 534–545 (2022). https://doi.org/10.1007/s00761-022-01156-1
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00761-022-01156-1
Schlüsselwörter
- Individuelles Tumorrisiko
- Polygenic Risk Score
- Individuelle Tumorprävention
- Interpretation von genetischen Befunden
- Therapierelevanz genetisch bedingter Tumorerkrankungen