Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das kleinzellige Lungenkarzinom ist die thorakale Tumorerkrankung, die uns in gleicher Weise Wirksamkeit und Grenzen unserer onkologischen Therapie aufzeigt. Kein anderer Lungentumor spricht so eindrucksvoll auf eine Chemo- oder Strahlentherapie an, aber auch bei keinem anderen Lungentumor kämpfen wir so oft vergeblich gegen das viel zu früh einsetzende Rezidiv.

Während das nichtkleinzellige Lungenkarzinom sich in den letzten Jahren geradezu zu einem Therapiemodell für innovative Therapieansätze jeglicher Art entwickelt hat, stellt sich der Therapiefortschritt beim kleinzelligen Lungenkarzinom deutlich nüchterner dar – ja, man kann eigentlich sagen, dass wir über Jahrzehnte hinweg trotz erheblicher wissenschaftlicher Anstrengungen keine substanzielle Verbesserung gesehen haben. Das hat sich erfreulicherweise in der letzten Zeit durch neue Therapieansätze und neue Techniken doch geändert, und wir freuen uns, dass wir Ihnen im aktuellen Leitthema zum kleinzelligen Lungenkarzinom einen interdisziplinären Überblick über eine bunte Palette an Innovationen geben dürfen.

Zu Beginn stellt S. Steurer zusammen mit Kollegen aus dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf den aktuellen Stand der morphologischen Diagnostik und Differenzialdiagnostik des kleinzelligen Lungenkarzinoms dar. Ein wichtiger innovativer Bereich sind dabei die genetische Struktur und genetische Faktoren des kleinzelligen Lungenkarzinoms, die für die Möglichkeit der zielgerichteten Therapie, aber auch der Immuntherapie von entscheidender Bedeutung sind.

Nach Dekaden ohne substanziellen Fortschritt ist die Therapie des kleinzelligen Lungenkarzinoms im Wandel

Als erster therapeutischer Beitrag folgt von M. Horn u. I. Watermann aus der LungenClinic Grosshansdorf eine Vorstellung der systemtherapeutischen Möglichkeiten beim kleinzelligen Lungenkarzinom. Aufgrund des häufig fortgeschrittenen Tumorstadiums spielt die medikamentöse Behandlung dieses Tumors klinisch eine sehr große Rolle. Ein Schwerpunkt dabei ist die Integration der Immuntherapie in das Therapiekonzept, die nach Jahrzehnten der Stagnation zum ersten Mal zu einer Verbesserung der therapeutischen Effektivität und bei einzelnen Patienten zu einer Verlängerung des Langzeitüberlebens geführt hat. Gleichzeitig zeigen diese Ergebnisse allerdings auch sehr deutlich die Schwierigkeiten einer optimalen Patientenselektion, insbesondere was die Entwicklung spezifischer Biomarker angeht. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Frage der zielgerichteten Therapie, die sich allerdings trotz guter prätherapeutischer Konzepte immer noch als sehr schwierig erweist.

Von der Systemtherapie geht es weiter zur Strahlentherapie, der zweiten wichtigen Säule der Behandlung beim kleinzelligen Lungenkarzinom. E. Gkika u. Kolleginnen aus dem Universitätsklinikum Freiburg beschreiben die aktuelle Entwicklung der Strahlentherapie bei Patienten mit nichtmetastasiertem oder metastasiertem kleinzelligem Lungenkarzinom. Neben der Optimierung der multimodalen Therapie im lokal begrenzten Stadium geht es dabei auch um Möglichkeiten der konsolidierenden Strahlentherapie und Optionen einer Bestrahlung des zentralen Nervensystems bei Patienten mit fortgeschrittenen Stadien. Durch die rasante technische Entwicklung der Strahlentherapie in den letzten Jahren ergeben sich hier ganz neue Möglichkeiten.

Das kleinzellige Lungenkarzinom war aufgrund der raschen Tumordynamik traditionell keine Entität, bei der man ein operatives Vorgehen in Betracht zog. Nun zeigen S. von Weihe u. D. Ellebrecht aus der LungenClinic Grosshansdorf auf, dass es durchaus Situationen gibt, in denen Patienten von einem chirurgischen Vorgehen profitieren. Kritisch analysieren sie die publizierten Daten zur chirurgischen Behandlung des kleinzelligen Lungenkarzinoms, um dann unter Nutzung eines intensiven Stagings die Patienten zu definieren, bei denen die Chirurgie Teil eines multimodalen Konzepts sein könnte.

Der nächste Beitrag macht einen kleinen Exkurs zu Tumoren, die man früher auch dem kleinzelligen Lungenkarzinom zugeordnet hat und die mittlerweile eine eigene Entität darstellen: die neuroendokrinen Tumoren (NET) der Lunge. F. Weigold u. G. Leschber aus der Evangelischen Lungenklinik in Berlin geben einen Überblick über den aktuellen Stand der Diagnostik und Therapie bei dieser seltenen Tumorerkrankung. Begleitet wird dieser Teil von einer hochinteressanten Darstellung eigener Registerdaten zu Patienten, die mit einem NET an der Lungenklinik behandelt wurden.

M. Sebastian aus der Universitätsklinik Frankfurt und Kollegen schließen dieses Leitthema ab mit einer Analyse der Behandlungsrealität des kleinzelligen Lungenkarzinoms und einer laufenden Registerstudie im Rahmen der CRISP-Studie. Wir müssen uns immer klar machen, dass die Mehrzahl aller neuen Therapiedaten an teilweise hoch selektionierten Patienten gewonnen wird – insofern ist dieser Blick in das „alltägliche“ Leben ungemein wertvoll, um die Situation unserer Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom in Deutschland zu verstehen.

Insgesamt sehen wir beim kleinzelligen Lungenkarzinom ähnlich wie bei der nichtkleinzelligen Form mit neuen Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten eine deutliche Entwicklung hin zur individualisierten Behandlung unserer Patienten. Immer wichtiger wird gerade bei komplexen, multimodalen Therapieschemata die interdisziplinäre Expertise und Erfahrung spezialisierter Zentren. Nur so wird es uns möglich sein, weiterhin neue Behandlungsansätze und vor allem geeignete Biomarker zu identifizieren, die uns bei dieser immer noch sehr schwierig zu behandelnden Erkrankung weiterhelfen.

Wir wünschen Ihnen viel Freude und hoffentlich viel praktischen Nutzen bei der Lektüre der vielfältigen Beiträge und bedanken uns ganz herzlich bei den Co-Autoren für ihr großartiges Engagement!

Mit besten Wünschen!

Martin Reck

Für die Schriftleiter

Christiane Bruns

Für die Herausgeber