Bevorzugt treten onkologische Erkrankungen im höheren Lebensalter auf. Die demographische Entwicklung der letzten Jahre weist eine zunehmende Zahl alter und sehr alter Menschen in unserer Bevölkerung auf. Somit werden wir in Zukunft einen signifikanten Anteil der Krebsbehandlungen beim hochbetagten und geriatrischen Patienten vornehmen.

Gleichzeitig kam es in der letzten Zeit zu einer ebenso dynamischen Entwicklung in der Onkologie; einerseits durch die zunehmende molekulare Charakterisierung von Tumoren mit Erweiterung der multimodalen Optionen bis zu neuen immunonkologischen Therapieansätzen, andererseits durch neue minimalinvasivere und robotische, rekonvaleszenzbeschleunigenden chirurgischen Resektionsverfahren und die Weiterentwicklung der Präzisionsradioonkologie mit maximaler Organschonung. Limitationen sind allgegenwärtig durch eine oftmals fehlende Repräsentation geriatrischer Kohorten in den vorhandenen Studien und die begrenzte Anwendbarkeit der gängigen Risikoscores bei diesen Patienten. Besonders hier sind interdisziplinäre Therapiekonzepte und -absprachen essentiell, um optimale Resultate zu erzielen.

Dies impliziert aber nicht nur eine zunehmende Fokussierung der Besonderheiten der spezifischen onkologischen Entitäten im Alter per se, sondern auch die assoziierten Komorbiditäten sowie weitere funktionelle, mentale, kognitive, psychosoziale und Mobilitätseinschränkungen – bis hin zur oftmals vorhandenen Katabolie, Malnutrition, Sarkopenie und Polypharmazie. Hier spielt v. a. die Einschätzung des biologischen vs. chronologischen Alters eine wichtige Rolle bei der Frage, ob überhaupt, wie weit und wie intensiv eine tumorspezifische Therapie in Anbetracht des erhöhten Komplikationsrisikos sowie der begrenzten Gesamtlebenszeit, vorgenommen wird. Aggraviert werden diese diffizilen und individuellen Abwägungen des Therapieausmaßes durch die oftmals vorliegende „Frailty“, die vermehrte Gebrechlichkeit, in diesem Krankengut. Dabei handelt es sich um einen multidimensionalen Begriff, der nicht nur das Spektrum der vielschichtigen Begleiterkrankungen und erhöhten Therapierisiken umfasst, sondern insbesondere das labile Gleichgewicht des geriatrisch-onkologischen Patienten mit möglicherweise bereits irreversibel-reduzierten Organfunktionen reflektiert. Die Erhebung des funktionellen Status vor Beginn einer multimodalen oder rein chirurgischen Therapie durch verschiedene Assessments und Risikoscores ist bereits fest im klinischen Alltag verankert, während mögliche konsekutive Maßnahmen zur Optimierung der funktionellen Reserven im Sinne einer Präkonditionierung/Prähabilitation derzeit noch nicht zur Routine gehören. Grund dafür ist, dass die hierfür notwendigen Ressourcen in unserem Gesundheitssystem (noch) nicht adäquat gegenfinanziert sind. Auch ein über den funktionellen Status hinausgehendes Assessment mit daraus abgeleiteten Therapien wird im klinischen Alltag meist nicht praktiziert.

Ebenso bedeutsam ist die sich mit dem Alter kontinuierlich entwickelnde Lebensplanung. Insofern ist immer neben dem Therapieziel auch das Lebensziel des alten Patienten in das Gesamtkonzept einzubeziehen – dies deutlich mehr als bei jungen Patienten.

Namhafte Experten aus verschiedenen Bereichen der Onkologie nehmen in diesem Themenschwerpunktheft Stellung zu den Sondersituationen des geriatrischen Patienten und speziellen Behandlungskonzepten. Das geriatrische Assessment, analog der Empfehlungen der AG „Geriatrische Onkologie“ der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), erfasst die Funktions- und Fähigkeitseinschränkungen verschiedener Dimensionen – von der Selbstversorgung/unabhängigen Lebensführung, über Mobilität, Gangsicherheit, Kognition, Gedächtnis, Stimmung, Begleiterkrankungen, Ernährung – bis zur Sozialsituation. Ob dieses Instrument die Therapieentscheidung verbessert, diskutieren U. Wedding (Jena) und B. van Oorschot (Würzburg) kontrovers und führen damit in der neu geschaffenen Rubrik „Pro und Kontra“ wichtige Aspekte des Leitthemas fort. Dadurch erhält der Leser ein besseres Gefühl für den Evidenzgrad mancher als gesichert erscheinenden Fakten.

Die Besonderheiten der onkologischen Chirurgie beim alten Patienten, v. a. der Spannungsbogen zwischen technischer Machbarkeit moderner chirurgischer Resektionsverfahren und altersbedingten Risikofaktoren für die Operation, werden von T. Keck (Lübeck) dargestellt. Dies geschieht unter den speziellen perioperativen Aspekten minimalinvasiver Operationstechniken, der Delirprophylaxe auf der Intensivstation sowie der akut-geriatrischen postoperativen Weiterbehandlung.

Der alte Patient mit hämatologischer Erkrankung stellt eine besondere Herausforderung dar. Den Stellenwert des geriatrischen Assessments in diesem Krankengut fokussiert N. Neuendorff (Heidelberg).

Derzeit existieren verschiedene „Frailty“-Kriterien, -Scores, -Skalen und -Indices. Die aktuellen Daten zu Sinn und Nutzen in der Radioonkologie stellt B. van Oorschot (Würzburg) dar. Konsequenzen des geriatrischen Assessments mit gezielten geriatrischen Interventionen werden von V. Goede (Köln) reflektiert. S. Pigorsch (München) nimmt zum wichtigen Thema der Besonderheiten der Strahlentherapie beim alten Kopf-Hals-Patienten Stellung. Weitere wichtige Aspekte der geriatrischen Onkologie werden in den Rubriken „Epidemiologie“, „Psychoonkologie“, „Palliativmedizin und Supportivtherapie“ und „Integrative Onkologie“ erörtert.

Nach Studium dieses immer wichtiger werdenden Themenkomplexes in der Onkologie wird der Leser in die Lage versetzt, Therapieabwägungen beim geriatrisch-onkologischen Patienten balanciert und risikoadaptiert vorzunehmen – im Sinne bestmöglicher onkologischer Ergebnisse und der Gewährleistung einer adäquaten Lebensqualität.

Für die Schriftleiter

Birgitt van Oorschot

Für die Herausgeber

Klaus Höffken