Das Themenschwerpunktheft Integrative Onkologie spannt einen weiten Bogen von den ersten Ansätzen der Naturheilkunde bis zur modernen komplementären Onkologie und von der Prävention über die begleitenden Therapiemaßnahmen bis zur tertiären Prävention.

Ziel dieses Hefts ist es, dem onkologisch tätigen Arzt auf der einen Seite einen wissenschaftlich fundierten Überblick über die derzeit am häufigsten verwendeten Methoden und auf der anderen Seite Hilfestellungen in der Kommunikation mit den Patienten zu geben.

Viele Patienten fühlen sich mit der berechtigten Frage, ob und − wenn ja − was sie zum Therapieerfolg beitragen können, alleine gelassen. Aus diesem Grund haben wir im ersten Artikel Komplementäre Onkologie – ein überflüssiges Konzept? der Patientenperspektive breiten Raum gegeben. In diesem Beitrag sollen die Chancen und Grenzen der modernen evidenzbasierten komplementären Onkologie ausgelotet werden. Der Artikel verdeutlicht, dass komplementäre Medizin mehr als die kundige Anwendung von aus der Naturheilkunde stammenden Verfahren ist. Vielmehr handelt es sich im Wesentlichen um die Wahrnehmung von Patientenbedürfnissen und um die Bemühungen um eine gelingende Kommunikation. Komplementäre Methoden ermöglichen dem Patienten, sich aktiv an der Therapie zu beteiligen. Integriert in das onkologische Gesamtkonzept, stärkt die komplementäre Onkologie die Patientenautonomie und unterstützt Entscheidungsprozesse.

Viele Betroffene, aber auch ihre Angehörigen und andere, gesunde Menschen fragen sich, ob sie mit Ernährung, Lebensstilveränderung oder der Einnahme von Präparaten wie Nahrungsergänzungsmitteln Krebs verhindern können. Der Artikel von Schmidt, Kubin und Barnes zeigt die Möglichkeiten und Grenzen komplementärer Methoden der Prävention auf.

Jeder einzelne kann durch eine gesunde Lebensführung das Risiko für eine Krebserkrankung senken

Die positive Botschaft ist, dass jeder einzelne durch eine gesunde Lebensführung das Risiko für eine Krebserkrankung senken kann. Die gleichen Maßnahmen senken auch die Risiken für andere wesentlichen Erkrankungen wie Herzkreislauf- und Stoffwechselerkrankungen. Die Botschaft einer gesunden Lebensführung spricht eine einheitliche Sprache für alle Bevölkerungsgruppen und alle Altersstufen.

Die Möglichkeiten der Primärprävention lassen sich nach heutigen Erkenntnissen durchgehend auf die Phase der tertiären Prävention übertragen. Sowohl in der primären wie in der tertiären Prävention leisten die Landeskrebsgesellschaften bundesweit einen erheblichen Beitrag zur Aufklärung der Bevölkerung und bieten insbesondere für Krebspatienten zahlreiche, meist kostenfreie Angebote. Beispielhaft ist dies mit dem in diesen Artikel integrierten Programm der Bremer Landeskrebsgesellschaft „Jetzt Aktiv“ dargestellt.

Viele Patienten wünschen sich, durch komplementäre Maßnahmen einen wesentlichen Einfluss auf den Krankheitsverlauf zu nehmen. Ist dieser Wunsch zu hoch gegriffen oder haben wir hierfür ein fundiertes Angebot?

Die Antwort gibt der Artikel von Münstedt, Giessler und Schopperth. Dem berechtigten Wunsch des Patienten auf Heilung oder zumindest Lebenszeitverlängerung, möglichst mit natürlichen Methoden, sollte der Arzt mit Empathie, aber auch mit Ehrlichkeit antworten. Auch die Natur bietet keine Wunderheilmittel; aber sie kann den Patienten in der Zeit der Therapie wesentlich unterstützen und damit die Adhärenz verbessern. Was dies konkret in der Kommunikation mit dem Patienten bedeutet, wird in diesem Beitrag ebenso dargestellt wie die aktuelle Evidenz. Mit sanften, natürlichen, nebenwirkungsfreien Methoden den Krebs zu bekämpfen, ist nach allem heute vorliegenden Wissen nicht möglich und wird wahrscheinlich ein Traum bleiben.

Den komplementären Verfahren kann aber, ergänzend zur schulmedizinischen supportiven Therapie, eine wesentliche Bedeutung in der Unterstützung der Patienten bei der Symptomkontrolle zukommen. In zwei Artikeln werden die Möglichkeiten der Phytotherapie (Beer und Hübner) und der Nahrungsergänzungsmittel (Mücke und Zomorodbakhsch) dargestellt.

Der Beitrag zur Phytotherapie zeigt auf der einen Seite die rationale, dem westlichen Wissenschaftsverständnis entsprechende Herangehensweise der europäischen Phytotherapie und stellt dem das Konzept der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) gegenüber. Während die westliche Medizin versucht, aus den Pflanzen der Erfahrungsheilkunde Inhaltstoffe zu charakterisieren, sie zu isolieren und ihre Wirkweise zu verstehen, setzt die TCM auf komplexe Mischungen mehrerer Heilpflanzen. Während sich die europäische Phytotherapie mit ihrem analytischen Grundverständnis in die moderne supportive Therapie ohne weiteres eingliedern lässt und bei entsprechender Evidenz auch Eingang in Leitlinien finden kann, gibt es in der TCM kein Konzept für das Krankheitsbild Krebs. Die Beschreibung von Krankheiten und Symptomen erfolgt in einem tradierten Verständnis körperlicher und funktionaler Prozesse, für die die Wissenschaft kein Korrelat in Anatomie, Physiologie oder Biochemie findet. Für beide, sowohl für die europäische Medizin wie für die TCM, muss beim Einsatz von Heilpflanzen ein möglichst genaues Wissen über das Neben- und Wechselwirkungsspektrum gefordert werden, um den Patienten keinen Risiken auszusetzen.

Nahrungsergänzungsmittel sind die häufigsten von Patienten derzeit meist ohne Kenntnis des behandelnden Arztes eingesetzten komplementären Substanzen. Mücke und Zomorodbakhsch haben zum letzten Themenheft eine aktuelle systematische Literaturrecherche der publizierten Daten zwischen 2013 und 2016 durchgeführt und die Ergebnisse in den Gesamtkontext des Wissens zu Mikronährstoffen eingeordnet.

Das Heft findet einen Abschluss mit dem Thema Alternative Medizin. Während Patienten in der Regel keine Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen alternative und komplementäre Medizin treffen und dies auch in den Medien meist vernachlässigt wird, ist aus ärztlicher Sicht eine solche Unterscheidung unbedingt zu fordern. Patienten, die sich für eine komplett außerhalb der konventionellen, an den Leitlinien orientierten Medizin stattfindende Versorgung entscheiden, verlassen die Behandlung durch qualifizierte Fachärzte in Praxen, Kliniken und Zentren. In ihrem Artikel leiten Münstedt, Kastrati und Micke die Spannungen zwischen einer modernen wissenschaftlich orientierten komplementären Medizin und der alternativen Medizin her. Sie zeigen die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale auf und weisen auf die besondere Bedeutung einer gelingenden Kommunikation mit dem Patienten, der vor der Entscheidung für eine alternative Therapie steht, hin.

Die verschiedenen Beiträge in diesem Themenheft vermitteln einen Eindruck von der Bandbreite der Themen und Methoden der komplementären wie der alternativen Medizin.

Wir wünschen uns, dass diese Artikel das Verständnis der Leser für die Motive der Patienten fördern, die Chancen und Risiken aufzeigen und die Bereitschaft fördern, sich wissenschaftlich mit dieser Therapieform auseinanderzusetzen. Keine andere Substanz und keine anderen Methode werden in der Onkologie häufiger verwendet als komplementäre oder alternative Therapien.

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Jutta Hübner

Für die Schriftleiter

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Klaus Höffken

Für die Herausgeber