Neoplasien gehen ätiologieabhängig unterschiedlich häufig mit behandlungsbedürftigen Schmerzen einher. Der Schmerz wird vom Patienten als Zeichen destruktiver und fataler Progression seiner Tumorerkrankung erlebt.

Tumorschmerzen sind nicht nur „Schmerzen“, sondern auch „Pein“

Nicht zuletzt deswegen spielt der Schmerz im subjektiven Empfinden des Tumorkranken eine bestimmende Rolle: Die Beeinflussung von Aktivität, Schlafverhalten, psychosozialer Kompetenz und allgemeiner Lebensqualität wird als Kontrollverlust erlebt. Ziel der Therapie muss daher die Schmerzprävention, zumindest aber die Schmerzreduktion auf ein individuell akzeptables Analgesieniveau sein. In fast 90% kann dieses Ziel mit „konservativer“ nichtinvasiver systemischer Pharmakotherapie sowie nichtpharmakologischen und lokalen Therapieansätzen erreicht werden, für die kein „Schmerzspezialist“ notwendig ist. Deshalb ist Tumorschmerztherapie für die meisten Patienten keine Aufgabe der „Speziellen Schmerzmedizin“, sondern sollte als „Allgemeine Schmerzmedizin“ Behandlungsbestandteil aller Fachdisziplinen sein, die Tumorerkrankte behandeln. Die Novelle der ärztlichen Approbationsordnung von 2012 mit der Einführung der Schmerzmedizin in die Pflichtlehre als Querschnittfach 14 wird möglicherweise helfen, dass die zukünftige Ärztegeneration diese Aufgabe besser wahrnehmen kann.

In der Praxis bestimmt noch immer eine aus Unkenntnis, Unverständnis oder mangelndem Interesse resultierende Fehl-, Unter-, aber auch Überbehandlung die Wirklichkeit des Patienten. Zirka 80% aller Tumorpatienten weltweit haben keinen Zugang zu Opioiden, obwohl die WHO schon 1986 aus didaktischen Überlegungen heraus zur Überwindung der damals aufgrund des „War on Drugs“ bestehenden Opioidphobie die WHO-Stufenleiter zur Behandlung von Tumorschmerzen veröffentlicht hatte. Nur in Westeuropa und Nordamerika und einigen wenigen anderen Ländern hat die WHO-Stufenleiter zur wünschenswerten Zunahme und damit adäquaten Opioidverschreibung geführt. In Deutschland besteht inzwischen keine Unterversorgung mit Opioiden mehr. Vorurteile bei Patienten, Angehörigen und Behandlern existieren ebenfalls nicht mehr, die eine adäquate Nutzung der Opioidanalgesie in der Vergangenheit verhinderten. Allerdings gibt es weiterhin häufig eine durch Fehlbehandlungen bedingte insuffiziente Versorgung von Tumorschmerzpatienten, insbesondere durch zu zögerliche Therapieinitiierung, den Verzicht auf wirksame Lokalmaßnahmen (z. B. Strahlentherapie) und die unzureichende Anwendung von Bedarfsmedikation und antineuropathisch wirksamen Koanalgetika bei tumor- oder tumortherapiebedingten Neuropathien.

Für die klinische Praxis darf zudem die WHO-Stufenleiter nicht als ausreichendes Therapieschema angesehen werden, denn die WHO-Stufenleiter hatte allein die Intention, als Appell an die Ärzteschaft und die Legislative, die Opioidphobie zu beenden. Daher muss die meist ausreichende orale Behandlung mit Opioiden und Nichtopioidanalgetika bei therapierefraktären Patienten mit alternativen Applikationswegen oder (selten) neurolytischen und neurodestruktiven Verfahren ergänzt werden können. Die dafür notwendige Kompetenz ist in den Schmerzzentren vorzuhalten. Weiterhin sollte die Analgetikabehandlung für alle Patienten mit supportiven Therapieoptionen ergänzt werden. Wie in der Behandlung chronischer Schmerzpatienten gilt der Grundsatz von Aronoff

You do not treat pain in a patient, but a patient who is in pain.

Das heißt, der Tumorschmerz darf nicht nur als „nozizeptives Ereignis“ wahrgenommen werden, sondern das damit einhergehende Leiden, die „Pein“, muss erkannt, angesprochen und therapiert werden. Die Behandlung von Tumorschmerzen ist also wie die Behandlung chronischer Schmerzsyndrome „multimodal“ und ggf. auch „multidisziplinär“ und sollte das „Total Pain Concept“ nach Cicely Saunders berücksichtigen, d. h., die Übergänge zwischen Schmerz- und Palliativmedizin sind bei der Versorgung von Tumorschmerzpatienten als fließend anzusehen. Dazu gehören eine ausführliche Patientenanamnese und -edukation für einen kooperativen Behandlungsstil mit einer ausreichenden kommunikativen Kompetenz des Arztes, eine Exploration hinsichtlich der biopsychosozialen Dimensionen des Schmerzes, ggf. eine zusätzliche psychoonkologische oder psychiatrische Begleitung und Behandlung und auch die Berücksichtigung spiritueller Bedürfnisse des Patienten. Denn die Patienten wollen spirituelle (existenzielle) Fragen mit ihrem Arzt besprechen. Dabei müssen die Ärzte die religiösen und spirituellen Haltungen ihrer Patienten nicht unbedingt teilen, sie aber wertschätzen und entsprechend reflexiv reagieren können. Der Arzt muss daher auch das eigene Menschenbild hinsichtlich der Bedeutung von Schmerzen, Leiden und Tod reflektieren können. Es wäre schön, wenn in der (nichtmedikamentösen) Behandlung von Tumorschmerzpatienten der Unterschied zwischen dem Seelsorger und dem Arzt nur die Chip-Karte wäre!

Insgesamt muss die Schmerztherapie als Teil der Gesamtbehandlung geplant und durchgeführt werden. Wer das nicht beherzigt, sollte gar nicht schmerztherapieren.

Für die Schriftleiter des Schwerpunktthemas

A. Kopf

Für die Herausgeber

K. Höffken