Status quo

Am 09.04.2013 ist das Krebsfrüherkennungs- und Krebsregistergesetz (KFRG) in Deutschland in Kraft getreten. Dieses Gesetz beinhaltet die Einrichtung flächendeckender klinischer Krebsregister als Maßnahme zur Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Tumortherapie und Krebsfrüherkennung. Dies war eine dringend notwendige Entscheidung, da derzeit in Deutschland ein „Flickenteppich“ von rund 50 sehr unterschiedlichen Krebsregistern besteht. Über die umfangreichste Datensammlung verfügt das Gemeinsame Krebsregister (GKR) der neuen Bundesländer, welche auf Erfahrungen und Strukturen des 1952 gegründeten Nationalen Krebsregisters der DDR aufbauen konnte. Dieses Register verfügte über Informationen von 1,8 Mio. Patienten und war damit eine der größten onkologischen Datensammlungen weltweit. In den alten Bundesländern hat v. a. das Register des Saarlandes internationale Bedeutung erlangt. Das KFRG hat nun das Ziel, bundesweit eine einheitliche (möglichst vollständige) Erfassung aller Krebserkrankungen mit einem einheitlichen Datensatz oder zumindest eine allgemeine Vergleichbarkeit der Daten zu erreichen.

Dabei soll auch den beiden in ihrer Fragestellung und damit in ihrer Struktur unterschiedlichen Krebsregistertypen, nämlich dem epidemiologischen (bevölkerungsbezogenen) Krebsregister und dem Kooperationsverbund Qualitätssicherung durch Klinische Krebsregister (KoQK), Rechnung getragen und ihr Zusammenwirken verbessert werden.

Epidemiologische Krebsregister

Epidemiologische Krebsregister dokumentieren anonymisierte Daten über die Krebshäufigkeit in einer bestimmten Region im Zeitverlauf. Bereits 1995 wurden die Bundesländer durch das Bundeskrebsregistergesetz auf Länderebene verpflichtet, flächendeckend bevölkerungsbezogene Register einzurichten. Hieraus hat sich aber eine in der Umsetzung sehr heterogene Erfassung entwickelt. Kliniken, Ärzte und Zahnärzte sind mittlerweile in den meisten Bundesländern verpflichtet, alle Tumorerkrankungen, die sie diagnostizieren, an das eingerichtete Landeskrebsregister zu melden. Es gibt aber auch nach wie vor noch Bundesländer, in welchen bis vor kurzem die Meldungen auf den Daten von Pathologen und auf den freiwilligen Angaben Betroffener und ihrer Ärzte beruhen, wodurch nur bei rund 50 % vollständige Meldungen generiert wurden (z. B. Niedersachsen). Als eines der letzten Bundesländer hat Niedersachsen 2012 eine Meldepflicht umgesetzt. In diesen Bundesländern können Ärzte – müssen aber nicht – die von ihnen behandelten Krebsfälle an eine Krebsregisterstelle melden. Dabei werden generell keine personenbezogenen Daten an die epidemiologischen Krebsregister weitergeleitet. Detailinformationen zur aktuellen Situation und zu den Verfahrensweisen können in diesem Heft dem Beitrag von Heidinger et al. entnommen werden.

Von den jeweiligen Landeskrebsregistern der Bundesländer gelangen die anonymisierten Daten schließlich zum „Zentrum für Krebsregisterdaten“ am Robert Koch-Institut (www.rki.de), wo sie auf Vollständigkeit und Zuverlässigkeit geprüft und länderübergreifend ausgewertet werden. In regelmäßigen Berichten können dadurch vom Robert Koch-Institut aktuelle Trends in der Inzidenz der verschiedenen Krebserkrankungen und der Krebsletalität in Deutschland publiziert werden.

Klinische Krebsregister

Ziel der KoQK ist die Qualitätssicherung der Krebsbehandlung. Während somit bei den epidemiologischen Registern der Wohnort für die Erfassung ausschlaggebend ist, ist es bei den klinischen Registern die Institution, in welcher der Patient primär behandelt oder (ambulant) nachbetreut wird. Dabei sollen die behandelnden Ärzte alle Therapien im Verlauf einer Krebserkrankung zu den jeweiligen unterschiedlichen Zeitpunkten (nach Möglichkeit) lückenlos dokumentieren. Insofern ist es für die Erfassung dieser Daten besonders wichtig, auch die niedergelassenen Fachärzte an das klinische Tumorregister zu binden. In Anbetracht der zunehmenden Komplexität sowohl in der Diagnostik als auch in der multimodalen Karzinomtherapie erfordert die Dokumentation Krebskranker eine Zusammenführung mehrerer Dokumente, die an unterschiedlichen Stellen – ambulant und stationär – generiert werden. Ein einheitlicher Datensatz ist die Grundvoraussetzung für die flächendeckende, vergleichbare und somit aussagekräftige longitudinale Dokumentation.

Die Aufgabe der Vereinheitlichung des klinischen Datensatzes obliegt der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT) und dem Kooperationsverbund Qualitätssicherung durch KoQK. Die hierzu aktuell erarbeiteten und diskutierten Konzepte werden im Beitrag von Haier u. Möslein in diesem Heft skizziert.

Neben der Festlegung auf einen für alle verbindlichen, einheitlichen und klinisch relevanten Datensatz wird für eine erfolgreiche Umsetzung des Bundesrahmengesetzes zur klinischen Krebsregistrierung auch eine Weiterentwicklung und Vereinheitlichung der Datenschutzrichtlinien auf Länderebene entscheidend sein. Dies ist auch für den sachgerechten Austausch von Daten zwischen den Registern notwendig, um der zunehmenden Patientenmigration Rechnung tragen zu können. Durch entsprechende Regelungen wäre es dann auch den Krankenkassen möglich, einen wichtigen Beitrag zur Vervollständigung der Datensätze zu leisten.

Zusammenarbeit von epidemiologischen und klinischen Krebsregistern

Der Erkenntnisgewinn, der sich aus der gekoppelten Auswertung epidemiologischer und klinischer Daten ergeben kann, wird im Beitrag von Michaelis u. Kaatsch am Beispiel des „Deutschen Kinderkrebsregisters“, welches seit über 30 Jahren alle Krebserkrankungen bei unter 18-Jährigen praktisch vollständig und flächendeckend erfasst, belegt. Dieses Register gilt national und international als Leuchtturm-Beispiel für den Nutzen, der aus epidemiologisch-klinischen Daten von Krebspatienten gewonnen werden kann.

Für Tumorerkrankungen im Erwachsenenalter besteht in Deutschland hierzu flächendeckend noch erheblicher Nachholbedarf. Vereinzelt können aber auch heute schon bevölkerungsbezogene und klinische Datensätze (v. a. aus Brandenburg, Bayern und Sachsen) gemeinsam ausgewertet werden, um Trendentwicklungen auf Landesebene darzustellen sowie Klinikvergleiche vorzunehmen und damit zu einer transparenten Qualitätssicherung beizutragen. Einen interessanten Überblick hierzu vermittelt der Beitrag von Tillack u. Klug.

Auch die Erfahrungen aus dem Ausland für die Umsetzung einer flächendeckenden Krebsregistrierung können hilfreich sein. Der Beitrag von Katalinic u. Pritzkuleit widmet sich dieser Thematik. Diese Erfahrungen werden aber aufgrund der Unterschiede der Gesundheitssysteme im europäischen und außereuropäischen Ausland nur bedingt übertragbar sein.

Perspektive auf nationaler Ebene

Der Nationale Krebsplan wird hoffentlich dazu beitragen, dass die in diesem Heft aufgezeigten Beispiele Schule machen und mit Hilfe der im neuen Krebsregistergesetz formulierten Rahmenbedingungen in allen Bundesländern flächendeckend in Deutschland verwirklicht werden.

Durch das Krebsregistergesetz allein wird sich aber die bestehende Kluft zwischen dem Anspruch einer flächendeckenden und longitudinalen klinischen und epidemiologischen Krebsregistrierung in Deutschland durch das duale ambulant/stationäre Versorgungssystem, dem berechtigten Schutz persönlicher Daten sowie der Anforderung einer möglichst lückenlosen Nachverfolgung des Krankheitsverlaufs jedes einzelnen Tumorpatienten, den technischen Möglichkeiten und den hierfür zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen nicht allein überwinden lassen. Wohin der weitere Weg führt, wird von einem breiten Konsens und Willen der Ärzte und Patienten, der Gesundheits(ver)sicherungssysteme sowie des Datenschutzes und von IT-technologischen Innovationen abhängen.

Für die Schriftleiter des Schwerpunktthemas

G. Möslein

Für die Herausgeber

P.M. Schlag