Als Theodor Billroth 1881 die erste erfolgreiche Resektion eines Magenkarzinoms vornahm, hatte er es vergleichsweise leicht: Seine onkologischen Patienten wurden nur in seiner chirurgischen Klinik behandelt, in der er alleine die Standards bestimmte. Es war keine Auseinandersetzung mit weiteren, konkurrierenden oder unterstützenden Fachgebieten erforderlich. Keine Leitlinie machte Vorgaben für Diagnostik und Therapie. Keine Ethikkommission beschränkte seinen wissenschaftlichen Tatendrang, keine komplizierte Gesetzgebung seine Ressourcen. Allerdings war dies Ausdruck der damals äußerst beschränkten Möglichkeiten, eine Krebserkrankung zu diagnostizieren und zu behandeln. „Trial and error“ war möglich.

Mit den verschiedensten Möglichkeiten, die sich seitdem in 130 Jahren entwickelt haben, ist die Behandlung von Krebserkrankungen um ein Vielfaches komplexer geworden. Die Anwendung aller diagnostischen und therapeutischen Optionen hat zu einer Arbeitsteilung geführt. Hierdurch bedingt, mussten sich die Leistungserbringer immer besser absprechen und vernetzen, um für den Patienten unter Ausnutzung aller Möglichkeiten zu dem besten Ergebnis zu kommen.

Ein interdisziplinärer Ansatz wurde zum allgemein akzeptierten Prinzip in der Onkologie

Vor diesem Hintergrund ist ein interdisziplinärer Ansatz zu einem allgemein akzeptierten Prinzip in der Onkologie geworden. Interdiziplinarität ist aber kaum in den Strukturen des Gesundheitssystems abgebildet. Besonders die sektorale Trennung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung sowie die Fort- und Weiterbildung innerhalb von Fachdisziplinen mussten durch neue Strukturen, die den Erfordernissen der Interdisziplinarität in der Onkologie entgegenkommen, aufgehoben werden. Der erste Ansatz der „interdisziplinären Tumorkonferenz“ als ein Kernelement des Austausches über sektorale und fachgebietsbezogene Grenzen hinweg, wurde durch umfassende Anforderungskataloge zu interdisziplinären Zentren weiterentwickelt.

Es ist bemerkenswert, dass diese Entwicklung nicht durch die Ressourcenverteilung (hierzu gleich mehr), sondern nur aus den inhaltlichen Erfordernissen, befördert von den Fachgesellschaften, eingeleitet und bestimmt wurde. Als ein nächster Schritt der Entwicklung werden derzeit die Organzentren konsequenterweise in „Onkologische Zentren“ zusammengeführt. Unterstützt wird der Prozess wiederum durch die Fachgesellschaften, die jedoch in teilweise noch konkurrierenden Verfahren durch eine „Zertifizierung“ die Zentren in fachlicher und organisatorischer Sicht anerkennen.

Diese Entwicklung, die einen Teil der neuen Rahmenbedingungen für die Onkologie schafft, wird nicht von der Politik oder der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen bestimmt. Damit erklärt sich auch, warum die zwingend notwendige Ressourcenverteilung – um nicht zu sagen: Reallokation – dieser Entwicklung noch nicht gefolgt ist.

Ein weiterer Teil der neuen Rahmenbedingungen wird durch die längst überfällige Bündelung der Ressourcen zur Bekämpfung von Krebs bestimmt. Auf Initiative der Europäischen Union wurde auch Deutschland zur Entwicklung eines „Nationalen Krebsplans“ angeregt, vergleichbar mit dem „National Cancer Act“ der USA, der dort bereits 1971 beschlossen wurde. Die dabei definierten Handlungsfelder werden durch eine Akzentuierung der Früherkennung, der Behandlungsqualität und der Patientenbeteiligung in absehbarer Zeit Auswirkungen auf die onkologische Versorgung haben.

Das vorliegendeHeft legt einen Schwerpunkt auf den aktuellen Stand dieser Veränderungen, zunächst in Beiträgen, welche die Rahmenbedingungen direkt betrachten: In einer Übersicht von Bruns und Hohenberger werden die bisher erzielten Ergebnisses des Nationalen Krebsplans zusammengefasst, in einem weiteren Beitrag von Schmalenberg zu den Zertifizierungsverfahren onkologischer Zentren werden die Vorgaben der verschiedenen Verfahren miteinander verglichen. Wesselmann gibt eine Übersicht, wie sich die Zertifizierungsverfahren der Deutschen Krebsgesellschaft entwickelt haben und wie die damit betriebene Qualitätssicherung bei mittlerweile 680 zertifizierten Zentren zu einem landesweit vergleichbaren Instrument ausgebaut wird. Ein weiterer Beitrag von Buchali beschäftigt sich mit dem beispielhaften Einsatz Klinischer Krebsregister zur Qualitätssicherung in Brandenburg und zeigt die Möglichkeiten auf, die eine konsequente Dokumentation der Erkrankungsfälle der meldenden Institution bieten kann. Welche Auswirkungen die neuen Rahmenbedingungen für den stationären Bereich bedeuten, wird in zwei Beiträgen über ein onkologisches Zentrum im universitären (Universitätsklinikum Hamburg, Arnold) und nichtuniversitären Bereich (Klinikum Erfurt, Göbel) deutlich. Aber auch der ambulante Bereich verändert sich durch Zentrumsbildung, wie in dem Beitrag von Baumann über die Entwicklungsperspektiven onkologischer Praxen deutlich wird. Letztlich wird die Qualitätssicherung am Beispiel einer radioonkologischen Schwerpunktpraxis in Hamburg dargestellt (Strahlenzentrum Hamburg, Seegenschmidt).

Nach Oscar Wilde ist „Fortschritt die Verwirklichung von Utopien“.

Es ist das Anliegen der Autoren, mit den vorliegenden Beiträgen die neuen Konzepte und ihre Auswirkungen in verschiedenen Bereichen der Onkologie zu erläutern. Welcher Fortschritt damit erzielt werden kann, muss einer zukünftigen Betrachtung überlassen werden.

Für die Herausgeber

K. Höffken

Für die Herausgeber des Leitthemas

M.H. Seegenschmidt

H. Schmalenberg