Wie kaum ein anderer Bereich der Medizin ist die onkologische Versorgung den demographischen, technologischen, medizinisch-wissenschaftlichen, ökonomischen und kulturell-sozialen Veränderungen ausgesetzt. Ob das Versorgungssystem darauf in der „richtigen“ Weise reagiert, kann uns nur die Versorgungsforschung beantworten. Die Erforschung der Versorgung in der Onkologie tut Not, denn die Menschen, die Ressourcen und die Erwartungen, die hiervon betroffen sind, werden unaufhaltsam mehr.

Versorgungsforschung will Orientierung liefern

Es geht insbesondere um Bedürfnisse und Bedarf, Qualität und Effizienz in den vielfältigen Strukturen und sozialen Konfigurationen, die die Akteure in diesem System hervorbringen. Eine wohlverstandene Versorgungsforschung ist dabei mittelbar immer auch eine Intervention in dieses System. Versorgungsforschung will und muss die verschiedenen Teilnehmerpositionen zur Sprache bringen und ihnen Gehör verschaffen. Sie will dazu beitragen, dass die Teilnehmer am Versorgungssystem auf einer rationaleren Grundlage Entscheidungen treffen können, wo ansonsten die Bewertungsgrundlagen fehlen und unverstandene Traditionspflege oder latente Machtpositionen dominieren. Insofern ist Versorgungsforschung nicht nur für die Selbstverständigung der Akteure in diesem System unverzichtbar, sondern auch um dessen Leistungsfähigkeit und eine Entwicklung zu mehr Rationalität und Ausgleich zu befördern.

Eine evidenzbasierte Gesundheitsversorgung setzt eine methodisch anspruchsvolle Versorgungsforschung voraus. Die im Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung zusammengeschlossenen Organisationen haben in einer Stellungnahme unlängst noch einmal hervorgehoben, dass „Versorgungsforschung unverzichtbar bei Allokationsentscheidungen“ ist. Es gibt Anlass zu Hoffnung, dass auch die Gesundheitspolitik die Notwendigkeit von Versorgungsforschung zunehmend erkannt hat. Der Nationale Krebsplan hebt an vielen Stellen die Wichtigkeit der Versorgungsforschung hervor.

Dies zeigt sich nicht allein beim Thema der Kosten- und Nutzenbewertung von Arzneimitteln, sondern z. B. auch an der Diskussion über routinemäßige Dokumentationsverfahren in Registern oder der Beobachtung psychosozialer Dynamiken in der Patientensituation. Gerade in der Onkologie nimmt die Versorgungsforschung unmittelbar Anschluss an die klinisch-evaluative Therapieforschung. Es kann der Eindruck entstehen, dass sich Versorgungsforschung in besonderem Maße auf die Verlängerung der Evaluation und der Prüfung von Therapieansätzen über die klinische Efficacy-Situation hinaus in den therapeutischen Alltag bezieht, was aber zu kurz gegriffen wäre.

Die Beiträge in diesem Heft liefern einen Einblick in die Vielfalt onkologischer Versorgungsforschung. Glaeske inspiziert das Spektrum der Versorgungsforschung in der Onkologie und arbeitet insbesondere aktuelle Fragestellungen und methodische Anforderungen heraus, die für Versorgungsforschungsstudien dringlich sind. Dabei wird auch deutlich, welche gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit Versorgungsforschung in der Routine eine Chance bekommt. Der Beitrag von Siewert et al. erläutert am Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein die Herausforderungen einer regional differenzierten Abschätzung des zukünftigen onkologischen Versorgungsbedarfs auf der Grundlage von Krebsregisterdaten. In gleicher Richtung sprechen auch der Beitrag von Klinkhammer-Schalke et al. ein Zentralproblem von Versorgungsforschung an, nämlich die unzureichenden Datengrundlagen. Ist schon im internationalen Vergleich die flächendeckende Erfassung der Inzidenz von Krebserkrankungen in Deutschland noch nicht zufriedenstellend, so stehen für die Prävalenzbeobachtung klinische Krebsregister überwiegend auf der Grundlage von Einzelinitiativen zur Verfügung. Der Beitrag beschreibt die Möglichkeiten von Registern insbesondere im Hinblick auf eine Beobachtung der Ergebnisqualität in der onkologischen Versorgung. Baumann et al. machen auf die Notwendigkeit einer eigenständigen Qualitätsforschung aufmerksam. Qualitätssicherung ist mit der Versorgungsforschung eng verbunden, aber nicht jede Versorgungsforschungsstudie ist gleichzeitig schon ein Beitrag zur Qualitätssicherung. Geyer zeigt auf Basis der begrenzten aktuellen Studienlage, dass die Gleichheit des Zugangs zu einer hochwertigen onkologischen Versorgung in Deutschland bislang offenbar gewährleistet wird. Allerdings wird auch deutlich, dass es immer wieder Anstrengungen bedarf, um dieses wichtige Qualitäts- und Gerechtigkeitsmerkmal der Versorgung auch auf Dauer abzusichern. Schulte und Pfaff befassen sich noch weitergehend mit den sozialen Veränderungen, die Beziehungen von Patienten und Versorgungssystem womöglich zukünftig kennzeichnen werden. Es wird deutlich, dass an das Selbstmanagement der Patienten in Zukunft immer höhere Anforderungen gestellt werden. Für Patienten wird sich die Qualität in besonderem Maße bemessen, wie die Organisationsverantwortung für ihre Versorgung übernommen wird.

Alle Beiträge legen die vielfältigen Einflusstendenzen dar, dem der Wandel der onkologischen Versorgung ausgesetzt sein wird. Die onkologische Versorgung wird sich dynamisch verändern, und nur mit Hilfe einer gut aufgestellten Versorgungsforschung kann dieser Wandel erfasst oder Fehlentwicklungen begegnet werden. Eine solche Versorgungsforschung benötigt nicht nur mehr finanzielle Ressourcen, sondern auch eine zielgerichtete Identifizierung und Vergabe von Forschungsaufgaben. Stuppardt erörtert zum Abschluss dieses Hefts verschiedene Möglichkeiten, wie das deutsche Gesundheitssystem auf diese Herausforderungen eingestellt werden könnte.

Das Anliegen des Hefts ist, die Bedeutung der Versorgungsforschung in der Onkologie aufzuzeigen und Anregungen zu vermitteln, diesen immer noch jungen Wissenschaftszweig weiter zu fördern, um auch hierdurch eine weitere Optimierung der Versorgung von Tumorpatienten zu erreichen.

Besonderer Dank gilt Herrn Dr. Baumann vom Wissenschaftlichen Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen GmbH (WINHO) für die Zusammenarbeit und Mitwirkung bei dieser Ausgabe von Der Onkologe.

S. Schmitz

Für die Herausgeber des Schwerpunkthefts

P.M. Schlag

Für die Herausgeber