Die Ergebnisse der molekularen und zellbiologischen Tumorforschung haben die klinische Onkologie in den letzten Jahren grundlegend beeinflusst. Dies betrifft nicht nur die molekulare Diagnostik und Subtypisierung der Tumorerkrankung, sondern auch zunehmend die molekulare Stratifizierung der Therapieverfahren sowie die Therapieformen selbst.

Das vorliegende Schwerpunktheft will hierzu einen aktuellen Überblick zu neuen Entwicklungen auf diesem Gebiet geben.

Im Beitrag von Lehrach et al. wird aufgezeigt, warum das Thema der molekularen Onkologie heute so relevant ist: Die modernen molekularen Techniken haben es ermöglicht, Mutationen in einzelnen Basenpaaren nicht nur in bereits bekannten tumorrelevanten Onkogenen, wie z. B. KRAS, sondern gerade Mutationen in noch unbekannten Tumorgenen aufzuspüren.

Neue Sequenziertechnologien ermöglichen es immer rascher, das Tumorgenom eines individuellen Patienten zu sequenzieren

Dies ist durch die Revolution in den Sequenziertechnologien ermöglicht worden, welche es vermutlich gestatten werden, noch in den nächsten 10 Jahren innerhalb einer Wochenfrist das Tumorgenom eines individuellen Patienten zu sequenzieren. Der Artikel gibt Einblick in die individualisierte Tumortherapie durch komplette Genomsequenzierung, RNA-Sequenzierung und auch Analyse der entsprechenden Proteine. Hierauf baut sich das Konzept auf, durch vertiefte „Omics-Analysen“ und deren bioinformatische Modellierung die personalisierte Auswahl von gezielt wirksamen Medikamenten zu optimieren. Mit Spannung sind daher die Ergebnisse von darauf aufbauenden klinischen Studien zu erwarten.

Im Artikel von Röcken geht es um das faszinierende Kapitel der Mikro-RNAs. Mikro-RNAs sind kleine regulatorisch eingreifende RNA-Moleküle, welche erst seit wenigen Jahren bekannt sind. Man geht zurzeit davon aus, dass weit mehr als 500 Mikro-RNAs im menschlichen Genom kodiert werden. Diese werden reguliert wie andere Gene und können dann posttranskriptionell und translational die Proteinexpression modifizieren. Dabei ist interessant zu wissen, dass eine Mikro-RNA teilweise mehrere Hundert mRNA-Species binden und somit regulieren kann. Mikro-RNAs werden häufig in fragilen Stellen des Genoms von Tumorzellen kodiert, was ihre Bedeutung in der malignen Transformation unterstreicht. Viele Mikro-RNAs haben tumorsupressiven, einige auch onkogenen Charakter. Interessant sind Mikro-RNAs auch deswegen, weil sie aufgrund ihrer Größe (sie kodieren nur 20 bis 22 Basenpaare!) möglicherweise im Hinblick auf therapeutische Applikationen einfacher zu handhaben sind als andere Nukleinsäuremoleküle.

Mit dem Thema Epigenetik beschäftigt sich der Artikel von Walter et al. Epigenetische Fragen spielen eine zunehmende Rolle in der Onkologie. Dies ist auch deshalb so interessant, weil hier bereits Wirkstoffe zur Verfügung stehen, die sowohl auf Histone einwirken (z. B. Histon-Deacetylase-Inhibitoren) wie auch auf DNA-Methylierung (DNA-Methyltransferase-Inhibitoren). Bei bestimmten Erkrankungen haben beide Wirkstoffklassen schon ihre Effizienz gezeigt und werden nun in weiteren Indikationen getestet. Die Bedeutung der Epigenetik erklärt sich auch daraus, dass diese – anders als genomische Veränderungen – sehr schnell regulatorische Vorgänge auslösen und modifizieren können. Damit sind epigenetische Veränderungen prinzipiell auch einfacher zu revertieren als genomische (z. B. Mutationen oder Translokationen).

Im Beitrag von Kaina et al. geht es um die klassische DNA-Schadensantwort. Die „alten Zytostatika“ sowie die Strahlentherapie sind im Hinblick auf die sog. gezielten Therapieverfahren heute oftmals in Verruf geraten. Dies ist widersinnig, da viele Fortschritte in der Onkologie durch klassische Zytostatika erreicht wurden. Es wäre auch verfehlt anzunehmen, dass klassische Zytostatika nicht gezielte Therapeutika sind. Als Beispiel seien hier Methotrexat oder auch Cytosin-Arabinosid erwähnt, welches z. B. bei der akuten myeloischen Leukämie einen wesentlichen DNA-Schadensweg anders regulieren lässt, wenn die AML-Stammzelle eine onkogene RAS-Mutation aufweist als wenn RAS in der Wildtyp-Konformation vorliegt. Darüber hinaus konnte z. B. auch beim Lungenkarzinom gezeigt werden, dass cisplatinhaltige Therapien in Anwesenheit bestimmter DNA-Reparaturenzyme möglicherweise in der adjuvanten Situation im Vergleich zur Nichtexpression dieser Proteine nicht vorteilhaft wirken. Ungeachtet dessen ist die Erforschung der molekularen Mechanismen der DNA-Schadensantwort und deren Regulation von zentraler Wichtigkeit, um primäre oder sekundäre Resistenzen zu überwinden. Ob dies im Zusammenspiel mit sog. „gezielten Therapeutika“ besser möglich wird, ist Gegenstand laufender Forschungsvorhaben.

Der Beitrag von Augustin et al. adressiert das wichtige Thema der Gefäßneubildung. Inwieweit das Konzept der Beeinflussung der Tumorneoangionese in nachhaltigen Behandlungsstrategien umgesetzt wird, bleibt weiter abzuwarten. Unlängst wurde die Zulassung von Bevacizumab, einem Antikörper, der den löslichen Wachstumsfaktor VEGF erkennt und bindet und somit zu neutralisieren vermag, beim Mammakarzinom in den USA zurückgezogen. Bei kritischer Betrachtung auch anderer Entitäten bleibt die Wirksamkeit dieses Therapieverfahrens häufig hinter den zunächst in Phase-II-Studien publizierten Ergebnissen zurück und kann das Überleben vieler Patienten mit Tumorerkrankungen bisher nicht signifikant verändern. Hier muss auch darauf hingewiesen werden, dass insbesondere klassisch applizierte Zytostatika häufig auf Sauerstoff (und damit Gefäße) angewiesen sind, um Apoptose zu exekutieren.

Der Beitrag von Belka et al. widmet sich speziell der Induktion von Apoptose, dem programmierten Zelltod als Ziel onkologischerTherapie, insbesondere auch unter radioonkologischen Gesichtspunkten.

Wir sind sicher, dass unsere Leser aus den zusammengestellten Artikeln eine Fülle von aktuellen Informationen entnehmen können. Diese beziehen sich dabei nur z. T. auf eine unmittelbare klinische Umsetzung. Hierfür ist der spannende Weg vom Molekül zur maßgeschneiderten Therapie auch viel zu komplex. Verständnis und Interesse, diese Komplexizität, z. B. im Rahmen translationaler Studien, weiter aufzulösen, bleibt nach wie vor eine wichtige klinische Aufgabe.

Andreas Neubauer

Peter M. Schlag